Nach § 316 StGB – Trunkenheit im Verkehr – macht sich strafbar, wer vorsätzlich oder fahrlässig im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge zuvor konsumierten Alkohols oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen. Die Strafvorschrift knüpft an das sichere Führen eines Fahrzeuges, die so genannte Fahrtüchtigkeit an, die abhängig vom Grad der Beeinflussung durch Alkohol oder Drogen relativ oder absolut beeinträchtigt sein kann.
Ab einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,3 ‰ bis 1,1 ‰ gilt man im Sinne des § 316 StGB als „relativ fahruntüchtig“, wenn zusätzlich sogenannte alkoholbedingte „Ausfallerscheinungen“ vorliegen. Ab einer BAK von 1,1 ‰ gilt man nach der Rechtsprechung unwiderlegbar als „absolut fahruntüchtig“, auf Ausfallerscheinungen kommt es dann nicht mehr an. Während die BAK-Werte als gesichert und in der Rechtsprechung anerkannt anzusehen sind, fehlt es an einer dementsprechend sicheren Grenzziehung bei Drogen. Das liegt daran, dass die verschiedenen Betäubungsmittel auf das physische oder psychische Leistungsvermögen unterschiedlich wirken und der Abbau nicht wie bei Alkohol geradlinig, sondern exponentiell in Halbwertzeiten verläuft.
In Kenntnis dessen, hat das Amtsgericht Tiergarten einen Kraftfahrer, bei dem 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Kokain, und 2,5 ng/ml Tedrahydrocannabinol, dem Wirkstoff von Cannabis, im Blut festgestellt wurden, wegen einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt. Von der Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe sah man trotz auch einschlägiger Voreintragungen gerade noch ab. Die Fahrerlaubnis konnte dem Angeklagten nicht entzogen werden, er hatte ja keine, allerdings wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm vor Ablauf einer Sperrzeit von 12 Monaten keine Fahrerlaubnis erteilen. Das AG Tiergarten nahm mit ausführlicher Begründung absolute Fahruntauglichkeit an, da der nach der Empfehlung der Grenzwertekommission für Kokain ermittelte verbindliche Grenzwert an Benzoylecgonin um mehr als das 4,6 Fache übertroffen wurde, so dass es auf die fehlenden Ausfallerscheinungen nicht ankam.
Aus den Gründen:
(…) Auf Grund des Gutachtens der kriminaltechnischen Untersuchungsstelle des LKA Berlin (…) wurden in der zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 10.45 Uhr (…) gewonnenen Serumprobe des Angeklagten 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Cocain, 8,5 ng/ml Cocain und ca. 97,7ng/ml Ecgoninmethylester, ein Abbauprodukt von Cocain, nachgewiesen. Dies ist ein massiv hoher Wert, der den aktiven, deutlichen und aktuellen Konsum von Cocain offenbarte. Denn nach der Empfehlung der Grenzwertekommission, die unter der Leitung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung – und aufgrund der Entscheidung der Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft „Bundeseinheitlicher Tatbestandskatalog“ vom 04.09.2007 – verbindliche Grenzwerte erarbeitet hat, bei deren Vorliegen sicher eine rauschbedingte Fahruntauglichkeit anzunehmen ist (sog. absolute Grenzwerte), und Grenzwerte, denen sich die Rechtsprechung insoweit angenommen hat, als dass auch Feststellungen darunter zu einer Verurteilung führen können (also erweiterte Anwendung), beträgt der analytische Grenzwert, ab dem sicher mit dem Auftreten von Ausfallerscheinungen, also mit einer Einschränkung der Fahrtüchtigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen ist, für Benzoylecgonin 75 ng/ml. Beim Angeklagten lag der festgestellte Wert mehr als 4,6 Fache höher als dieser Grenzwert. Damit ist die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit im Sinne von § 316 StGB erreicht, ohne dass es der Feststellung weiterer Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler bedarf.
Ferner wurde festgestellt, dass in der Serumprobe des Angeklagten 2,5 ng/ml THC (Tedrahydrocannabinol), der Wirkstoff des Haschisch, ca. (161) ng/ml THC-Carbonsäure, der Hauptmetabolit des THC und 1,6 ng/ml 11-Hydroxy-THC, ein Metabolit des THC, nachgewiesen wurden. Es lag mithin ein aktueller Cannabiskonsum vor Fahrtantritt vor. Der hohe THC-Carbonsäurewert beweist zudem einen regelmäßigen Konsum von Cannabis-Produkten. Der THC-Wert betrug mehr als das zweieinhalbfache des von der Grenzwertekommission empfohlenen Wertes von 1,0 ng/ml THC zum Beginn der Fahruntauglichkeit bei Bußgeldsachen. Infolge der Wechselwirkung zum Cocain ist auch hier die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit im Sinne von § 316 StGB erreicht, ohne dass es der Feststellung weiterer Ausfallerscheinungen oder Fahrfehler bedarf.
Diese hier vertretenen Rechtsansichten zu absoluten Wirkstoffmengen bei Cocain und Cannabis sind durchaus umstritten. Die obergerichtliche Rechtsprechung und die herrschende Ansicht in der Literatur gehen bislang davon aus, dass sich im Strafrecht für die Fahruntauglichkeit aufgrund von Betäubungsmitteln keine „absoluten“ Wirkstoffgrenzen feststellen lassen. Der Nachweis von Drogenwirkstoffen im Blut eines Fahrzeugführers soll für sich allein noch nicht die Annahme der Fahruntüchtigkeit nach § 316 StGB rechtfertigen (BGH, Beschluss vom 25. Mai 2000, 4 StR 171/00, zitiert in JURIS). Entscheidend seien die Gesamtschau der Umstände und die Beurteilung der Beweisanzeichen (vgl. OLG München, Beschluss vom 30.01.2006, 4St RR 11/06 zitiert in JURIS).
Dieser Rechtsansicht wird nicht beigetreten. Denn sie berücksichtigt nicht die inzwischen eingetretene wissenschaftliche Entwicklung in der chemischen Analyse der Wirkstoffe sowie ihrer Abbauzeiten und –Werte sowie die mittlerweile gewonnenen Erkenntnisse über die verkehrsmedizinisch relevanten Wirkungen von Cocain und Cannabis sowie über den Verlauf des Cocain- und/oder Cannabisrausches. Diese Entwicklungen und Erkenntnisse werden in der Rechtsprechung zunehmend anerkannt. So reicht es – entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdelikts – aus, eine Konzentration festzustellen, die es als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer in seiner Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war und dennoch am Straßenverkehr teilgenommen hat (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 30. Juni 2005, 8 Ss-OWi 103/05 zu § 24a StVG, zitiert in JURIS – Das Gericht nimmt dabei Bezug auf §24a StVG als abstraktes Gefährdungsdelikt).
Es kann eine berauschende Wirkung angenommen werden, wenn die betreffende Substanz in einer Konzentration nachweisbar ist, die eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lässt (OLG Köln, aaO.). Daher wurden unter Rückgriff auf die Empfehlungen der Grenzwertkommission von der Rechtsprechung im Bußgeldbereich zu § 24a StVG Grenzen zwischen ungefährlichen und gefährlichen Wirkstoffmengen gezogen, ohne dass es für die Verurteilung auf die Feststellung und Beschreibung von Ausfallerscheinungen oder sonstigen Beweisanzeichen ankam. Das ist nunmehr im Bußgeldbereich gängige Meinung. Es besteht aber keinerlei Rechtfertigung, derlei Grenzziehung beim abstrakten Gefährdungsdelikt nach § 24a StVG zuzulassen, beim abstrakten Gefährdungsdelikt nach § 316 StGB aber abzulehnen, zumal die Rechtsprechung, die diese Unterscheidung zwischen § 316 StGB und § 24a StVG vollziehen will, sie nicht schlüssig begründen kann.
Wenn ausgeführt wird, bei § 24a StVG handele es sich wegen der generell-abstrakten Gefährlichkeit des Genusses von Drogen um einen abstrakten Gefährdungstatbestand als Vorfeld- oder Auffangtatbestand gegenüber der an engere Voraussetzungen geknüpften Strafvorschrift des § 316 StGB (OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 03. Mai 2001, 1 Ss 87/01, zitiert in JURIS), handelt es sich um eine schlichte Behauptung, nicht aber um eine Begründung. Absolute Grenzwerte sind bei Alkohol längst anerkannt, nachdem sie von der Wissenschaft und Rechtsprechung entwickelt worden sind. Dies hat auch bei Rauschmitteln zu gelten. Ein Kraftfahrer, bei dem 352 ng/ml Benzoylecgonin, ein Abbauprodukt von Cocain, im Serum zur Tatzeit festgestellt wurden und bei dem der nach der Empfehlung der Grenzwertekommission für Cocain ermittelte verbindliche Grenzwert an Benzoylecgonin um mehr als das 4,6 Fache übertroffen ist, ist im Sinne von § 316 StGB fahruntauglich, ohne dass es auf den Nachweis von Ausfallerscheinungen oder Fahrfehlern ankommt. (…)
AG Tiergarten, Urteil vom 10.02.2010, Az: (310 Cs) 3033 PLs 10607/09 (144/09), 310 Cs 144/09
Anderer Auffassung ist der BGH, der betont, dass Wirkstoffmengen allein noch nicht viel aussagen. Daneben bedürfe es noch weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des betreffenden Kraftfahrzeugführers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, sicher zu steuern.