Der Maserati eines Autohauses wurde bei einem unverschuldeten Unfall erheblich beschädigt. Ein Sachverständiger schätzte die Reparaturkosten auf rund 37.500 Euro netto, den Wiederbeschaffungswert auf 45.500 Euro brutto bei einem Restwert von 18.000 Euro. Die Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners holte ein höheres Restwertangebot über rund 23.000 Euro ein und zahlte dem Autohaus nur den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert. Das Autohaus, welches das Fahrzeug auch reparieren ließ, wohl aber erheblich preiswerter als vom Sachverständigen kalkuliert, verlangte die fiktiven Reparaturkosten, legte also keine Reparaturrechnung vor, sowie Nutzungsausfall für 120 Tage.
Aus den Gründen:
Für die Berechnung eines Kraftfahrzeugschadens stehen dem Unfallgeschädigten im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: die Reparatur des Unfallfahrzeuges oder die Anschaffung eines „gleichwertigen“ Ersatzfahrzeuges. Der Geschädigte, der sein Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt, kann grundsätzlich Ersatz der Reparaturkosten verlangen, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen.
Vorliegend begehrt die Klägerin nicht (etwa unter der Vorlage von Reparaturrechnungen) die Erstattung der Kosten einer tatsächlich durchgeführten Instandsetzung. Sie will vielmehr ihren Schaden fiktiv auf der Basis der geschätzten Kosten für die Instandsetzung gemäß dem „Phantomkalkulationsgutachten“ des Sachverständigenbüros (…) ersetzt haben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann der Geschädigte die vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes ohne Abzug des Restwertes dann verlangen, wenn er das Fahrzeug tatsächlich reparieren lässt und weiter benutzt, ohne dass es auf die Qualität und den Umfang der Reparatur ankommt (Urt.v.23.05.2006, VI ZR 192/05, NJW 2006, 2179 m. w. N.). Voraussetzung ist allerdings in der Regel, dass der Unfallgeschädigte das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und zu diesem Zweck – falls erforderlich verkehrssicher (teil-)reparieren lässt (BGH, Urt. v. 29.04.2008, VI ZR 220/07, NJW 2008, 1941). Veräußert er das Fahrzeug ohne die erforderliche Weiterbenutzung, dann wird der Anspruch auf den Wiederbeschaffungsaufwand (= Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) begrenzt, auf den die Beklagte hier bereits 15.245,30 € gezahlt hat.
Vorliegend ist demnach entscheidend, ob die Klägerin den verunfallten Pkw Maserati sechs Monate nach dem Unfall weiter genutzt hat, was das Landgericht auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Fotos über den Kfz-Brief (…) bejaht hat. Dies greift die Beklagte mit ihrer Berufung zu Recht an. Durch Vorlage einer Versicherungsauskunft (…) hat sie belegt, dass das polizeiliche Kennzeichen (…) gelöscht wurde (…). Die Klägerin hat bestätigt, das streitgegenständliche Fahrzeug abgemeldet zu haben; dies sei erfolgt als absehbar gewesen sei, dass die Reparatur zu lange dauern würde. Nach der erfolgten Reparatur und dem gescheiterten Verkauf nach Italien sei das Fahrzeug von ihr nicht mehr angemeldet worden; es befinde sich aber weiterhin (…) bei der Klägerin. (…)
Dies zugrundelegend liegt eine Weiternutzung des Fahrzeuges für mindestens sechs Monate, die der Bundesgerichtshof für eine Schadensregulierung auf der Basis fiktiver Reparaturkosten bis zum Wiederbeschaffungswert ohne Abzug des Restwertes in der Regel voraussetzt, nicht vor. Umstände, die eine Verkürzung dieser (Regel- )Nutzungszeit rechtfertigen, sieht der Senat bereits deshalb nicht, weil die Zeit der Reparatur nach der insoweit zutreffenden Ansicht des Landgerichts in die erforderliche Nutzungszeit von sechs Monaten nicht einzurechnen ist und die Klägerin das Fahrzeug nach erfolgter Reparatur überhaupt nicht mehr genutzt hat. Allein der Umstand, dass sie weiter Eigentümerin des – abgemeldeten – Fahrzeuges war, ist keine Weiternutzung, die eine Schadensregulierung auf der Basis fiktiver Reparaturkosten rechtfertigt. Denn hätte der Versuch der Klägerin, das Fahrzeug (…) nach Italien zu veräußern, Erfolg gehabt, dann stünde außer Frage, dass eine Weiternutzung nicht stattgefunden hat. Gleichermaßen ist auch das – wegen eines gescheiterten Verkaufs – bloße „Behalten“ eines abgemeldeten Fahrzeuges nicht als Weiternutzung zu werten. (…) Auch bei einem sog. „Liebhaberfahrzeug “ ist das Integritätsinteresse jedenfalls dann nicht allein an der Frage zu bemessen, ob es veräußert wurde oder nicht, wenn – wie hier – ein geplanter Verkauf des Fahrzeuges an der Finanzierung des Kaufpreises durch den Käufer gescheitert ist. Wegen ihres fehlenden Integritätsinteresses an einer Reparatur kann die Klägerin Schadensersatz nur in Höhe des Wiederbeschaffungsaufwandes verlangen, der sich aus dem Wiederbeschaffungswert abzüglich des Restwertes errechnet. (…)
Das Landgericht hat eine Nutzungsausfallentschädigung für eine fiktive Reparaturdauer von 26 Arbeitstagen (…) zugebilligt. Da die Klägerin lediglich Ersatz des Wiederbeschaffungsaufwandes verlangen kann, ist der Berechnung der Nutzungsausfallentschädigung die Wiederbeschaffungsdauer zugrundezulegen, die das Sachverständigenbüro D mit 14 Tagen angegeben hat. (…) Der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei der Klägerin um ein Autohaus handelt. Dabei kann unentschieden bleiben, ob die Klägerin das Unfallfahrzeug gewerblich oder wie von ihr behauptet privat genutzt hat. Eine Entschädigung für zeitweise entzogene Gebrauchsvorteile kommt auch bei gewerblich genutzten Fahrzeugen in Betracht, falls sich deren Gebrauchsentbehrung nicht unmittelbar in einer Minderung des Gewerbeertrages (entweder in entgangenen Einnahmen oder über die mit der Ersatzverschaffung verbundenen Unkosten) niederschlägt (BGH, Urt.v.04.12.2007, VI ZR 241/06, NJW 2008, 913 f m. w. N). Ebenso wie bei der privaten Nutzung des Pkw kann es bei der gewerblichen Nutzung des Fahrzeuges Fallgestaltungen geben, in denen trotz Nutzungsausfalls keine Einnahmeverluste entstehen bzw. diese nicht beziffert werden können. So liegt der Fall hier. Das verunfallte Fahrzeug stand seinerzeit nicht zum Verkauf, sondern wurde wie an dem hier maßgeblichen Unfalltag von der Klägerin – sei es vom Geschäftsführer bzw. von dessen Vater oder von einem ihrer Mitarbeiter – zu Fahrten genutzt. Hierbei sind der Klägerin offensichtlich keine Einnahmeverluste entstanden. Ihr ist es daher grundsätzlich nicht verwehrt, an Stelle der Einnahmeverluste eine Nutzungsentschädigung zu verlangen, wenn ein fühlbarer wirtschaftlicher Nachteil für sie eingetreten ist (BGH, Urt.v.07.12.2007, VI ZR 241/06 a. a. 0.).
Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Zwar kann unterstellt werden, dass die Klägerin branchenspezifisch eine direkte Zugriffsmöglichkeit auf ein Ersatzfahrzeug gehabt hat. Sie muss sich allerdings nicht auf die Nutzung eines anderen Fahrzeuges aus ihrem Bestand verweisen lassen, da es sich bei dem beschädigten Fahrzeug um einen Pkw der Luxusklasse handelt. Die Benutzung eines solchen Fahrzeuges befriedigt nicht nur das Interesse seines Nutzers an Mobilität, sondern bietet in seinem Vergleich zu einem Fahrzeug der Mittelklasse auch ein völlig anders geartetes Fahrgefühl und -den spezifischen Gebrauchsvorteil, ein besonders hochwertiges, luxuriöses Fahrzeug zu fahren. Dieser spezifische Gebrauchsvorteil ist als Äquivalent seiner vermögenswerten Aufwendungen für den Erhalt dieses Fahrzeuges unfallbedingt entfallen und kann durch die Zugriffsmöglichkeit auf ein anderen – nicht gleichwertigen – Pkw nicht ersetzt werden. Dementsprechend bietet ein Fahrzeug der Oberklasse bereits nach ständiger Rechtsprechung eine vermögensmäßig höher bewerteten Gebrauchsvorteil, als ein Fahrzeug der Mittelklasse, obwohl die grundlegende Funktion der Mobilitätsgewährung bei beiden gleichermaßen erfüllt wird. Auch gewährt die Rechtsprechung einem Geschädigten, der ein kleineres Ersatzfahrzeug anmietet, den Anspruch auf abstrakte Nutzungsentschädigung anstelle der konkreten Mietwagenkosten (BGH, Urt.v.17.03.1970, VI ZR 108/68, a a.O.). (…)
OLG Rostock, Urteil vom 23.10.2009, Az: 5 U 275/08
Vorinstanz: LG Neubrandenburg, Urteil vom 29.07.2008, Az: 4 O 81/08
Praxisrelevanz:
Die geschätzten Reparaturkosten lagen hier unter dem Wiederbeschaffungswert, aber über dem Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzgl. Restwert). Nach den Entscheidungen des BGH vom 23.05.2006 (VI ZR 192/ 05) und vom 29.04. 2008 (VI ZR 220/ 07) kann der Geschädigte seinen Fahrzeugschaden, der unter dem Wiederbeschaffungswert liegt, fiktiv auf Grundlage der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten ohne Abzug des Restwerts ersetzt verlangen, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall entweder unrepariert oder falls erforderlich – verkehrssicher (teil-) repariert weiternutzt.
Hier wurde zwar repariert, das Autohaus rechnete aber nicht die tatsächlich angefallenen, wohl niedrigeren Kosten ab, sondern wollte die vom Gutachter kalkulierten, anscheinend höheren, fiktiven Kosten ersetzt haben. Damit musste aber zum Nachweis des Integritätsinteresses, der Maserati weitere 6 Monate genutzt werden. Diese Voraussetzung war nach Ansicht des Oberlandesgerichts Rostock nicht erfüllt, wobei dieser Punkt kritikwürdig ist. Regelfall der Weiternutzung ist natürlich das Fahren. Dies wäre hier bis zur Durchführung der Reparatur ohnehin unmöglich gewesen, so dass es auf die Abmeldung nicht ankommen kann. Dass der Maserati anschließend nicht wieder angemeldet wurde und sogar verkauft werden sollte, mag ein Indiz für mangelnden Nutzungswillen sein, mehr aber auch nicht. Letztlich befand sich der Wagen nach wie vor bei der Klägerin.
Um im Fall einer fiktiven Abrechnung ein solch missliches Ergebnis zu vermeiden, sollte ein Geschädigter nach einem Unfall alles vermeiden, was gegen einen Weiternutzungswillen sprechen könnte, zumindest für die Dauer von 6 Monaten.