OLG Dresden – Absenkung der Tagessatzhöhe bei nahe am Existenzminimum Lebenden


Das Amtsgericht hatte eine Asylbewerberin wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5,00 Euro verurteilt. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 1,00 Euro verurteilt.

Die Angeklagte wohnt im Asylbewerberheim und ist Mutter eines 4jährigen Sohnes. Monatlich stehen ihr Sozialleistungen in Höhe von 163,84 Euro für Kleidung, Verpflegung zum überwiegenden Teil in Form von Sachbezügen. Bargeld steht ihr monatlich in Höhe von 46,00 Euro zur Verfügung.

Gegen das Urteil des Landgerichts legte die Staatsanwaltschaft Revision ein und beanstandete insbesondere die Tagessatzhöhe, die auf mindestens 5,00 EUR anzuheben sei. Das OLG Dresden wies die Revision zurück und stellte zum einen klar, dass dem Tatrichter ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Bemessung einer Geldstrafe zusteht und dieser vom Revisionsgericht nur begrenzt überprüft werden kann. Zum anderen vertritt das OLG Dresden die Auffassung, dass auch Sachbezüge dem zur Ermittlung der Tagessatzhöhe zu berücksichtigenden Nettoeinkommen hinzuzurechnen sind. Allerdings kann es bei nahe am Existenzminimum Lebenden angezeigt sein, vom Nettoeinkommensprinzip abzuweichen und die Tagessatzhöhe zu senken, ausnahmsweise auch auf den Mindestsatz von einem Euro.

Aus den Gründen:

(…) Bei der Verhängung einer Geldstrafe bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB). Dabei ist die Bemessung der Tagessatzhöhe ein Teil der Strafzumessung. Sie kann durch das Revisionsgericht nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden. Denn der Tatrichter hat einen weiten Beurteilungsspielraum, der es ihm gestattet, seine eigene Wertung dergestalt zur Geltung zu bringen, dass sie neben anderen abweichenden Meinungen, auch der des Revisionsgerichts, als gleich richtig zu bestehen vermag und bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist (BGHSt 27, 228 [230]).

Die Urteilsgründe müssen allerdings eine Ermessensüberprüfung ermöglichen (Fischer, StGB 56. Aufl. § 40 Rdnr. 22 m.w.N.) Diese Prüfung des Revisionsgerichts ist darauf beschränkt, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters ausreichend festgestellt und in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt worden sind. Das Revisionsgericht kann den Tatrichter jedoch nicht auf eine bestimmte Berechnungsmethode verpflichten (vgl. BGHSt 27, 212; 27, 228; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 167 [168]; LK-Häger, StGB 12. Aufl. § 40 Rdnr. 21).

Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen die notwendige Ermessensüberprüfung zu; durchgreifende Rechtsfehler sind nicht zu erkennen.

a) Der Gesetzgeber hat sich in § 40 Abs. 2 Satz 2 StGB bei der Bemessung der Tagessatzhöhe für das Nettoeinkommensprinzip entschieden. Dabei wird als Einkommen ein rein strafrechtlicher und nicht steuerrechtlicher Begriff, der nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise auszulegen ist, zugrundegelegt (Fischer, § 40 Rdnr. 7; LK-Häger, § 40 Rdnr. 26). Er umfasst grundsätzlich alle Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie aus sonstigen Einkunftsarten; dabei ist alles einzubeziehen, was dem Täter an Einkünften zufließt und wirtschaftlich gesehen, seine Leistungsfähigkeit und seinen Lebenszuschnitt bestimmt (Fischer, § 40 Rdnr. 7; LK-Häger, § 40 Rdnrn. 26 ff. jeweils m.w.N.).

b) In der Rechtsprechung ist dabei allerdings umstritten, inwieweit auch Naturalbezüge unter die Einkünfte fallen. So wird teilweise die Auffassung vertreten, die in Form von Gutscheinen gewährten Sachbezüge hätten generell außer Betracht zu bleiben, weil sie nicht kapitalisierbar seien (vgl. OLG Dresden, 6 1. Strafsenat, Urteil vom 07. August 2000, Az: 1 Ss 323/00; entgegengesetzt entschieden allerdings mit Beschluss vom 25. Juli 2006, Az: 1 Ss 331/06 unter Hinweis auf MK-Radtke, StGB § 40 Rdnr. 76; OLG Celle StV 2009, 131; LG Karlsruhe StV 2006, 473; LG Traunstein StV 2007, 473; LG Frankfurt/ Main StV 2009, 139).

Mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung sind jedoch bei der Bemessung der Tagessatzhöhe auch die Sachbezüge dem Einkommen hinzuzurechnen (OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 6; OLG Stuttgart StV 2009, 131; Fischer, § 40 Rdnr. 7; LK-Häger, § 40 Rdnr. 27; MK-Radtke, § 40 Rdnr. 76 jeweils m.w.N.). Denn es ist kein Grund dafür ersichtlich, die Naturalbezüge von Asylbewerbern anders zu bewerten als andere Formen geldwerter Einkünfte. Es wäre vielmehr inkonsequent, denjenigen besser zu stellen, der nicht von Bareinkünften, sondern Naturalleistungen lebt (LK-Häger § 40 Rdnr. 27; Frank MDR 1976, 626).

c) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen weisen deshalb insoweit eine Lücke auf, als das Urteil nicht auch mitteilt, in welcher Höhe der Angeklagten weitere geldwerte Einkünfte in Form von Unterbringung zur Verfügung stehen. Dieser Fehler wirkt sich im vorliegenden Fall jedoch nicht aus. Denn das Landgericht ist bei der Bemessung der Tagessatzhöhe zu Recht erkennbar davon ausgegangen, dass es geboten sein kann, bei nahe am Existenzminimum Lebenden vom Nettoeinkommensprinzip abzuweichen und die Tagessatzhöhe zu senken, weil dieser Personenkreis systembedingt härter betroffen wird als Normalverdienende und er insbesondere wesentlich länger braucht, bis er die Schmälerung seiner Mittel wieder ausgeglichen hat (Fischer, § 40 Rdnr. 11 a; LK-Häger, § 40 Rdnr. 37 jeweils m.w.N.).

Zwar kann auch in diesen Fällen nur ausnahmsweise der Mindestsatz von einem Euro in Betracht kommen (Fischer, § 40 Rdnr. 11 a; MK-Radtke, § 40 7 Rdnr. 77), weil dies dem Ernst und der Bedeutung einer Kriminalstrafe nicht mehr hinreichend Rechnung tragen würde (LK-Häger, § 40 Rdnr. 37 m.w.N.). Es kann jedoch auch nicht darauf abgestellt werden, dass bei Empfängern von Mindestversorgungsleistungen in der Regel der drei- bis vierfache Betrag der Differenz zwischen dem Einkommen und dem zum Leben unerlässlichen Betrag die Bemessungsobergrenze für die Geldstrafe darstellt (vgl. OLG Stuttgart NJW 94, 745; OLG Celle NStZ-RR 1998, 272; OLG Frankfurt, 1. Strafsenat, StV 2009, 137). Denn dies würde eine Feststellung des Einkommens aufgrund strikter Regelungen darstellen, die mit der Ausübung tatrichterlicher Strafzumessung nicht mehr einherginge (vgl. LKHäger, § 40 Rdnr. 21) und würde zu einem den Besonderheiten nicht ausreichend Rechnung tragenden Schematismus führen (MK-Radtke, § 40 Rdnr. 77; vgl. auch OLG Frankfurt, 2. Strafsenat, NStZ-RR 2007, 167 unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung).

Vor diesem Hintergrund begegnen die vertretbaren Strafzumessungserwägungen des Landgerichts keinen Bedenken. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass ein anderes Tatgericht möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Revisionsgerichte müssen es bei der Bemessung der Tagessatzhöhe hinnehmen, wenn selbst bei vollkommen gleichartiger tatsächlicher Beurteilungsgrundlage das rechtlich einwandfrei ausgeübte Ermessen des Tatrichters zu unterschiedlichen Bewertungen führt (BGHSt 27, 228 [230]).

d) Die von der Staatsanwaltschaft angestrebte Tagessatzhöhe wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass bei einer Tagessatzhöhe von einem Euro im vorliegenden Fall die allein rechnerische Bestimmung der Geldstrafe zu einer nicht mehr schuldangemessenen Geldstrafensumme führen würde. Das System der Verhängung von Geldstrafen in Tagessätzen führt zwangsläufig dazu, dass es bei niedrigen Einkommen zu schuldunangemessenen Entlastungen genauso kommt, wie bei hohen Einkommen unverhältnismäßige Härten erreicht werden (vgl. LK-Häger, § 40 Rdnr. 60) und eine akzeptable Proportionalität nur im Bereich mittlerer Einkommen erzielt wird (Fischer, § 40 Rdnr. 21). Der Fall ist auch nicht deshalb anders zu bewerten, weil die Ausländerbehörden – nach Ausführung der Staatsanwaltschaft – bei Verstößen gegen die dem Asylbewerber auferlegten räumlichen Beschränkungen regelmäßig Bußgelder zwischen 30,00 und 50,00 EUR verhängen. Die Zumessungspraxis von Verwaltungsbehörden gibt zu einer Anpassung der Strafzumessungspraxis keine Veranlassung. Denn eine Strafzumessung nach Taxen ist unzulässig (Fischer, § 46 Rdnr. 75 m.w.N.) Im Übrigen hätte ein Gericht selbst bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten auch außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse zu berücksichtigen (Göhler- Gürtler, OWiG 15. Aufl. § 17 Rdnr. 23).

Im vorliegenden Fall dürfte zudem bei der von der Staatsanwaltschaft angestrebten Tagessatzhöhe von 5,00 EUR – auch unter der Berücksichtigung der Zubilligung von Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB – bei einer Tagessatzanzahl von 80 Tagessätzen eine Gesamtbelastung erreicht werden, die zu einem Einwirkungsübermaß und zu desozialisierenden Folgen führen könnte (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 167 [168]; OLG Dresden, Beschluss vom 02. August 2007, 2 Ss 65/07). Es bestünde schließlich die Gefahr, dass sich bei Zubilligung einer Ratenzahlung die Ratenzahlungszeit unverhältnismäßig lang über das mehrfache des sich aus der Tagessatzanzahl ergebenden Zeitraums hinweg erstrecken würde (vgl. BGHSt 26, 325 [331]). (…)

OLG Dresden, Urteil vom 03.07.2009, Az: 2 Ss 163/09 (Volltext)

Praxisrelevanz:

Geldstrafen werden in Deutschland in Tagessätzen bemessen. Mit dem aus Skandinavien übernommenen Tagessatzsystem soll die Strafe den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters entsprechend angepasst werden. Über die Anzahl der zu verhängenden Tagessätze entscheidet das Gericht im Rahmen der eigentlichen Strafzumessung.

Das Gericht kann bei einer Einzeltat 5 bis maximal 360 und bei mehreren Taten maximal 720 Tagessätze verhängen (§§ 40 I, 54 II StGB). Die Höhe des einzelnen Tagessatzes bemisst sich hingegen nach den wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters. Ein Tagessatz entspricht daher in der Regel dem Nettoeinkommen, das dem Täter durchschnittlich an einem Tag zur Verfügung steht und wird auf mindestens einen und höchstens dreißigtausend Euro festgesetzt (§ 40 II StGB).

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