Wie kürzlich berichtet, fiel unsere Mandantin an einem Wochentag um die Mittagszeit bei einer allgemeinen Verkehrskontrolle durch gerötete Bindehäute und verlangsamte Pupillenreaktion auf. Ein freiwillig durchgeführter Drogentest reagierte positiv auf THC. Der freundliche Beamte der Polizeidirektion Bad Oldeslohe ordnete wegen „Gefahr im Verzuge“ eine Blutentnahme an.
Nach einem Aktenvermerk hätten die Beamten den für die Anordnung der Blutentnahme geltenden Richtervorbehalt „bedacht“, dann aber wegen der Erforderlichkeit einer zeitnahen Blutprobe und auch aufgrund einer polizeilichen Dienstanweisung in angenommener Eigenkompetenz entschieden. Auf das Anhörungsschreiben zum Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a StVG hatten wir etwas längere Ausführungen zum Richtervorbehalt, zu den Voraussetzungen von Gefahr im Verzug und zu der Frage eines Beweisverwertungsverbots gemacht und darüber hinaus die mangelnde Vorwerfbarkeit problematisiert. Eine Menge Papier für den Owi-Sachbearbeiter beim Landrat des Kreises. Dort holte man sich erst einmal fachkundigen Rat und zwar von dem Beamten, der sich berufen fühlte, die Anordnung der Blutentnahme zu treffen.
In seiner dienstlichen Stellungnahme führt er zum Vorwurf der Mißachtung des Richtervorbehalts aus:
„Im Gegensatz zur Einlassung des Rechtsanwalts Herrn Kümmerle wurde im Verfahren gegen … der Richtervorbehalt gemäß § 81 a StPO durch mich bedacht Allerdings entschied ich mich aufgrund von Gefahr im Verzuge die Blutprobenentnahme selbst anzuordnen Nach allg. Rechtsauffassung ist eine richterliche Entscheidung nur dann herbeizuführen wenn nach den eigenen medizinischen Fachkenntnissen und Erfahrungswerten eine Beweismittelgefährdung ausgeschlossen ist. Ansonsten ist die Polizei befugt, die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen (§ 81 a Abs. 2 StPO). Zielrichtung im vorliegenden Fall war eine Beweissicherung nach § 24a StVG, da bei der Probandin zwar eine Cannabiswirkung festzustellen war, sich aber ansonsten keine Anhaltspunkte für eine rel. Fahruntüchtigkeit nach § 316 StGB ergaben. Durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 21.12.2004, ist ein Verstoß nach § 24a StVG erst ab einem THC-Gehalt von 1 ng/ml im Blut zu ahnden. Daher ist es erforderlich, die Blutprobe in Nähe zum Tatzeitpunkt entnehmen zu lassen. Zudem besteht das AG Lübeck auf eine schriftliche Antragstellung, so daß die Gefahr des Beweismittelverlustes durch die zeitliche Verzögerung erhöht wird.“
Nach § 81a Absatz 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme originär einzig und allein einem Richter zu, ausnahmsweise und lediglich bei sogenannter Gefahr im Verzug der Staatsanwaltschaft bzw. deren Ermittlungspersonen nach § 152 GVG. Hier wurden die Voraussetzungen des Begriffs Gefahr im Verzug im Sinne eines drohenden Beweismittelverlustes völlig verkannt. In der Zeit zwischen Vortest und der Blutprobenentnahme, also einem Zeitraum von 40 Minuten, wäre es ein Leichtes gewesen, eine richterliche Anordnung, notfalls telefonisch einzuholen. Selbstverständlich ist auch die telefonische Anordnung durch einen Ermittlungsrichter möglich und zulässig (zur Durchsuchung (sic) siehe BGH, Urteil vom 18. April 2007, Az: 5 StR 546/06 – BGHSt 51, 285; NJW 2007, 2269; NStZ 2007, 601; StV 2007, 337 ; Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 105 Rdnr. 3). Im Allgemeinen müssen sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Ermittlungsrichter und die Gerichtsorganisation im Rahmen des Möglichen sicherstellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene „Verteilung der Gewichte“, nämlich die Regelzuständigkeit des Richters, gewahrt bleibt. (grundlegend BVerfG, Urteil vom 20. 2. 2001 – 2 BvR 1444/00). Es handelt sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt, bei dem hinreichende Gründe für die zu beantragende Anordnung vorgelegen hätten. Eine Gefährdung des Untersuchungserfolges und damit eine Annahme von Gefahr im Verzug lagen nicht vor.
Die Argumentation, der Richtervorbehalt wäre „bedacht“ worden, wird im Weiteren dann auch ad absurdum geführt, da man sich ohnehin aufgrund einer polizeilichen Dienstanweisung auf der sicheren Seite wähnte. Warum soll man etwas bedenken, was aus der Dienstanweisung als „in der Regel“ selbstverständlich angenommen werden darf?
„Zum Kontrollzeitpunkt hatte eine Dienstanweisung der PD Ratzeburg vom 06.05.2009 (Leiter der PD Ratzeburg …), bezugnehmend auf ein Schreiben vom 26.11.2008 der Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig Holstein Bestand in der für die Polizei folgendes Verfahren festgelegt wurde ´… 1. In der Nachtzeit (ab 21.00 Uhr) bis in den frühen Morgen (08.00 Uhr), ist die Polizei befugt, die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen (§ 152 Abs. 2 StPO). 2. Tagsüber ist die Polizei regelmäßig befugt die Entnahme einer Blutprobe anzuordnen (§ 512 Ab. 2 StPO). Eine richterliche Entscheidung ist ausnahmsweise dann herbeizuführen wenn nach den eigenen medizinischen Fachkenntnissen des Polizeibeamten eine Beweismittelgefahrdung durch Blutalkoholabbau Nachtrunksbehauptungsmöglichkeiten usw. bis zur richterlichen Entscheidung ausgeschlossen ist. …´ Um den Zeitverlust möglichst gering zu halten wurde eine Blutprobenentnahme aufgrund von Gefahr im Verzuge vor Ort durch mich nach Durchführung eines Drogenvortests, dieser war auf THC positiv, angeordnet. Ohne Verzögerung suchten wir dann hierzu auf direktem Weg das Krankenhaus in Reinbek auf Hierdurch wurde die Zeitdifferenz zwischen Tatzeitpunkt und Blutprobenentnahme auf 40 Minuten begrenzt. Die Einlassung der Betroffenen sie habe zuletzt am 02.08.2009 war zumindest zum Kontrollzeitpunkt nicht zu widerlegen. Gemäß meiner Erfahrung nach wäre bei einem Konsum am vorherigen Abend abhängig von der konsumierten Menge und der Hohe des THC-Gehalts im Blut ein knapper Wert um die 1 ng/ml THC zu erwarten.“
Der Beamte hat die Blutprobe angeordnet, ohne zuvor auch nur versucht zu haben, einen richterlichen Beschluss zu erwirken. Dass er willkürlich gehandelt hat, ist ihm sicher nicht vorzuwerfen. Er ging ja davon aus, hierzu befugt zu sein. Es liegt vielmehr ein grober Verstoß des Dienstvorgesetzten vor, der zum einen nicht zwischen StPO und GVG zu unterscheiden vermag und zum anderen nicht dafür Sorge getragen hat, dass der Bedeutung des Richtervorbehalts auch auf der Ebene des Polizeibeamten vor Ort Rechnung getragen wird.
Woher die Erfahrungen mit der Nachweisdauer von THC des Beamten herrühren, würde uns allerdings brennend interessieren. Waren es Eigenversuche? Die Rechtsprechung geht bei THC zwar in der Tat von kurzen Nachweiszeiträumen von 3 bis 6 bis hin zu 12 und auch mehr Stunden nach dem Konsum. Konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung und den Abbauzeitraum von THC gibt es allerdings nicht (Übersicht zum wiss. Meinungsstand zu THC bei Krause in HRRS 2005, 138 ff.; Tabelle mit Nachweiszeiten unter verkehrslexikon.de). Zumindest wäre über den Zeitraum von 40 Minuten vom Vortest bis zur Blutentnahme kein nennenswerter Abbau zu befürchten gewesen.
Doch damit nicht genug, weiß der Beamte auch mit Kenntnissen zur Fahrlässigkeit einer Drogenfahrt zu glänzen. Der Wortlaut des § 24a StVG ist so eindeutig formuliert, da kann man schon mal die Grundlagen des Ordnungswidrigkeitenrechts vergessen. Eine Ordnungswidrigkeit muss nämlich auch vorwerfbar begangen sein. Es kommt demnach beim § 24a StVG darauf an, ob die berauschende Wirkung zum Zeitpunkt des Fahrens erkennbar war und der Betroffene trotzdem vorwerfbar gefahren ist. Auch hierzu hat der Beamte ein fundierte Meinung; da kann mancher Richter eines Bußgeldsenates sich eine Scheibe abschneiden:
„Der Betroffenen war zum Kontrollzeitpunkt noch eine deutliche Cannabiswirkung anzumerken. Das … hinsichtlich ihres letzten Konsums von Cannabis vermutlich nicht die Wahrheit gesagt hatte sondern sie in den frühen Morgenstunden bzw. am Vormittag des 03 09 2009 nach meinem Erfahrungsstand ebenfalls Cannabis geraucht haben muß, stellte sich erst nach Erhalt des Forensischen-toxikologischen Gutachtens heraus Nachgewiesen wurde hier ein rel. hoher Wert von 8,64 ng/ml THC. Der von RA Kümmerle genannte theoretische Zeitraum von 35 Stunden 50 Minuten zwischen Konsum und Blutprobe hätte meiner Erfahrung nach zu einem Wert von 0,0 ng/ml THC geführt. Wäre ich zum Kontrollzeitpunkt von einer derart langen Zeitspanne ausgegangen hatte ich keine Blutentnahme angeordnet. Anhand der von mir gemachten Feststellungen hinsichtlich der Fahrtauglichkeit hielt ich aber eine Zeitspanne von unter 12 Stunden für wahrscheinlich. Nach meinem Kenntnisstand ist es nicht möglich nach 35 Stunden 50 Minuten den vorgeworfenen Blutwert zu erzielen. Da es für mich als Außenstehenden mit einfachen Mitteln möglich war eine Drogenwirkung bei … festzustellen hatte sie dies selbst natürlich ebenfalls erkennen müssen. Aufgrund des festgestellten Werts von 8,64 ng/ml THC lag vermutlich zum Kontrollzeitpunkt sogar noch ein akuter Cannabisrausch vor. Die Betroffene machte auf mich einen drogenerfahrenen Eindruck Bei selbstkritischer Prüfung hatte sie erkennen können, daß bei Fahrtantritt noch eine Cannabiswirkung vorlag Somit durfte sie wie vorgeworfen zumindest fahrlässig gehandelt haben.“
Da beißt sich aber die Katze doch aber in den Schwanz. Zum einen soll es aufgrund des schnellen Abbaus von THC so eilig gewesen sein, das ein Anruf beim Richter pure Zeitvergeudung gewesen wäre. Zum anderen soll unsere Mandantin aber noch „deutlich“ unter der Wirkung von Cannabis gestanden haben. Wozu dann die Eile? Nachweiszeit und „Wirkung“ im Sinne von Beeinflussung des Zentralnervensystems und Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit sind auch zwei verschiedene Paar Schuhe. Das hat zur Folge, dass auch dann noch ein positiver Drogenbefund bei der Blutuntersuchung festgestellt werden kann, wenn der Konsum des Rauschmittels schon längere Zeit vor der Fahrt erfolgte und von der Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit deshalb nicht mehr ausgegangen werden kann.
Wir sind von der dienstlichen Äußerung nur mäßig beeindruckt und werden diese Steilvorlage in einer weiteren Stellungnahme verwandeln. Mal sehen ob tatsächlich ein Bußgeldbescheid erlassen wird und wie weit wir das Spielchen treiben müssen.