Problematik der Vollstreckung mehrerer gleichzeitig rechtskräftig werdender bzw. sich überschneidender Fahrverbote nach § 25 StVG


In Bußgeldsachen stellt sich bei der Konstellation, dass mehrere getrennte Fahrverbote aus Bußgeldbescheiden zeitgleich oder kurz hintereinander rechtskräftig werden, eine interessante Frage. Darf, da die Fahrverbote sich somit zeitweilig überschneiden, eine „parallele“ Verbüßung erfolgen, oder wird die Vollstreckung jeweils nacheinander durchgeführt?
Zum Verständnis: ein Fahrverbot als Nebenfolge eines Bußgeldbescheides wird erst dann wirksam und vollstreckbar, wenn der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden ist (§ 25 Abs. 2 Satz 1 StVG). Eine Ausnahme von dieser Regel bildet § 25 Abs. 2a StVG, wonach bei „Ersttätern“ ein verhängtes Fahrverbot innerhalb einer „Schonfrist“ von 4 Monaten nach Rechtskraft angetreten werden kann.

Rechtskraft des Bußgeldbescheides tritt erst ein, wenn kein Rechtsmittel mehr geltend gemacht werden kann. Durch geschicktes Taktieren mit dem Rechtsmittel des Einspruchs und der daraus resultierenden Bearbeitungszeiten bei der Verwaltungsbehörde bzw. den Amtsgerichten kann es durchaus möglich sein, mehrere Bußgeldbescheide mit Fahrverboten zeitgleich oder wenigstens kurz hintereinander rechtskräftig werden zu lassen, indem man einfach die Einsprüche gleichzeitig zurücknimmt.

Ein solches Taktieren würde natürlich nur Sinn machen, wenn die verhängten Fahrverbote mit gleichzeitiger Rechtskraft der Bußgeldentscheidungen „parallel“ verbüßt werden können. Wenn die Vollstreckung hintereinander erfolgt, ergibt sich in der Regel kein Vorteil. Zu dieser Vollstreckungsproblematik gibt es keine einheitliche Rechtsprechung, vielmehr lassen sich beide Vorgehensweisen finden.

Parallele Vollstreckung mehrerer Fahrverbote

Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung des § 25 Abs. 2 Satz 1 StVG (Rechtskraft), beginnt die Verbotsfrist, wenn sich der Führerschein bereits wegen eines anderen Fahrverbots in amtlicher Verwahrung befindet, für das weitere Fahrverbot mit der Rechtskraft der zugrundeliegenden Entscheidung, so dass die zweite Verbotsfrist bereits läuft, auch wenn die erste noch nicht abgelaufen ist (so BayObLG, Urt. v. 20.07.93, NZV 93, 489 = DAR 94, 74 f. unter Hinweis auf OLG Celle NZV 93, 157; AG Augsburg NZV 90, 244 ff; LG Münster NJW 80, 2481; BayObLGSt 76, 58 (61); AG Hannover, Beschl. v. 15.07.96, 240 OWi 5/95; AG Aurich MDR 1998, 903 [AG Aurich 04.03.1998 – 5 OWi 15 Js 12287/97 180/97]; AG Braunschweig zfs 2002, 552; AG Leipzig, Beschl. v. 29.4.2004 – 223 OWi Js 0858/04; s. auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 13.12.2004, 1 Ss 201/04, NZV 2005, 211; Mühlhaus/Janiszewski, StVO 13. Aufl., § 44 StGB Rd.-Nr. 13; Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., § 44 StGB Rd.-Nr. 21; SK 5. Aufl., § 44 Rd.-Nr. 16; Lackner, StGB, 20. Aufl., § 44 Rd.-Nr. 11, Janiszewski, VerkehrsstrafR, 3. Aufl., Rd.-Nr. 674 a; Karl, NJW 87, 1063; Widmaier, NJW 71, 1158 ff.).

Eine parallele (gleichzeitige) Vollstreckung von mehreren Fahrverboten findet danach statt, wenn ein Fahrverbot während der Zeit rechtskräftig wird, in der der Führerschein des Betroffenen wegen eines anderen Fahrverbotes nach § 25 Abs. 2 und Abs. 5 StVG schon amtlich verwahrt ist. Die Vollstreckungsregelungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 StVG (auch des § 44 StGB bei Anordnung eines Fahrverbotes durch ein Strafgericht) dienen allein der Überwachung des Fahrverbotes und damit seiner Sicherung, sie enthalten keine Klarstellung über die Reihenfolge der Vollstreckung mehrerer gleichzeitig oder sich überschneidender Fahrverbote. Nach dem entscheidenden Wortlaut des § 25 Abs. 5 Satz 1 StVG kommt es für den Beginn der Fahrverbotsfrist nach Eintritt der Rechtskraft allein auf die amtliche Verwahrung des Führerscheins an. Zwar ist § 25 Abs. 2 Satz1 StVG (bzw. § 44 Abs. 3 Satz 1 StGB) ausdrücklich geregelt, dass ein Fahrverbot mit der Rechtskraft der es anordnenden Entscheidung wirksam wird, allerdings beginnt die Verbotsfrist erst mit der amtlichen Verwahrung des Führerscheines. Deshalb beginnt die Verbotsfrist für weitere Fahrverbote jeweils mit der Rechtskraft der einzelnen Bescheide, wenn gegen einen Kraftfahrer, der keinen Führerschein mehr besitzt, mehrere Fahrverbote gleichzeitig oder kurz hintereinander angeordnet werden.

Additive Vollstreckung mehrer Fahrverbote

Die gegenteilige Auffassung hält diese Auslegung nicht mit der sog. „Denkzettel- und Besinnungsfunktion“ des § 25 Abs. 2 StVG (bzw. § 44 Abs. 3 StGB) eines Fahrverbotes für vereinbar. Diese gesetzgeberische Intention würde bei gleichzeitiger Vollstreckung zweier Fahrverbote jedenfalls hinsichtlich eines der Fahrverbote nicht zum Zuge kommen. Zudem könne unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht hingenommen werden, dass bei einer parallelen Vollstreckung der Betroffene ein nicht zu vertretenden Bonus erlangen würde, nämlich durch „geschicktes Taktieren“ den gleichzeitigen Eintritt der Rechtskraft zweier gegen ihn verhängter Fahrverbote erreichen zu können. Der Betroffene würde dadurch faktisch nur einmal ein Fahrverbot verbüßen müssen, während ein anderer gegen den mehrere Fahrverbote mit unterschiedlichen Rechtskraftdatum verhängt wurden, die gesamte ausgesprochene Verbotsfrist verbüßen müsse. Auch wäre ein Betroffener, der durch die Verhängung eines Fahrverbots im Jahr zuvor bereits vorgewarnt ist (und bei dem eine Schonfrist nicht mehr eingeräumt werden dürfte) besser gestellt, als ein anderer, gegen den ohne jegliche Vorbelastung zwei Fahrverbote wegen zweier dicht beieinander liegender Verstöße verhängt werden müssen. Eine Privilegierung des „taktierenden“ Betroffenen sei unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 GG sowie des Rechtsstaatsgebotes gem. Art. 20 GG nicht zu rechtfertigen. Mehrere Fahrverbote müssten daher nacheinander vollstreckt werden (so LG Flensburg, NJW 65, 2309; AG Liebenwerda, Beschl. v. 30.09.2002, 41 OWi 422/02, DAR 2003, 42; AG Bottrop, Beschl. v. 03.03.1995, 29a OWi 44/95, DAR 1995, 262 „bis zur Höchstgrenze von drei Monaten“ mit abl. Anm. von Engelbrecht; AG Stuttgart, Beschl. v. 16.02.2006, 13 Owi 346/06, NZV 2006, 328; Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., § 44 Rd.-Nr. 2; Göhler, OWiG, 10. Aufl., § 90 Rd.-Nr. 31 b; Hentschel, NZV 90, 245 ff. und Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 25 StVG Rn. 28 m.w.N.).

Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden, da sich hierfür im Gesetz keine Stütze findet. Die mit der parallelen Vollstreckung ermöglichte Begünstigung eines geschickt taktierenden Betroffenen ist mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung einer additiven Vollstreckung hinzunehmen. Der Gesetzgeber hätte, wenn er diese Möglichkeit ausschließen wollte, ansonsten die Regelung des § 25 Abs. 5 Satz 2 StVG dahingehend erweitert, dass auch die Dauer der amtlichen Verwahrung eines Führerscheins zur Vollstreckung eines Fahrverbotes aus einem anderen Bußgeldbescheids in die Verbotsfrist nicht eingerechnet wird.

Sonderfall des § 25 Abs. 2a StVG

Mit Einführung des § 25 Abs. 2a StVG kann der Betroffene, wenn er die Voraussetzungen erfüllt und sog. „Ersttäter“ ist, innerhalb von vier Monaten nach Rechtskraft des Bußgeldbescheids den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des Fahrverbots durch dessen Abgabe selbst bestimmen. Dies stellt eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des § 25 Abs. 2 StVG dar, wonach das Fahrverbot grds. mit der Rechtskraft der Bußgeldentscheidung wirksam wird. Die Vergünstigung des § 25 Abs. 2a StVG ist davon abhängig, dass gegen den Betroffenen in den zwei Jahren vor Begehung der Ordnungswidrigkeit und auch bis zur jeweiligen Entscheidung kein anderweitiges Fahrverbot angeordnet worden ist.

Die Einführung der „Erstäterregelung“ hat für die Problematik der Vollstreckung mehrere zeitgleich rechtskräftig werdender bzw. sich überschneidender Fahrverbote jedenfalls keine eindeutige Klärung mit sich gebracht. Zwar sieht die Regelung des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG ausdrücklich eine Vollstreckung nacheinander vor, wenn „gegen den Betroffenen weitere Fahrverbote rechtskräftig verhängt“ werden. Allerdings bezieht sich die Änderung des Gesetzgebers durch ihre Stellung in § 25 Abs. 2a StVG eben nur auf diejenigen Fahrverbote, bei denen durch Bestimmung der Verwaltungsbehörde oder des Gerichts „abweichend von § 25 Abs. 2 Satz 1 StVG “ die sog. „Schonfrist“ von 4 Monaten eingeräumt wurde. Die gesetzgeberische Unklarheit, ob auch Fahrverbote, bei denen die Voraussetzungen des § 25 Abs.2 StVG, nicht aber die des § 25 Abs. 2a StVG vorliegen, neben- oder nacheinander verbüßt werden müssen, ist gerade nicht beseitigt worden.

Aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 25 Abs. 2a S.2 StVG ist eine Vollstreckung mehrerer Fahrverbote nacheinander nur im Falle des „Ersttäters“ i.S.d. § 25 Abs. 2a S.1 StVG vorzunehmen. Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG damit begründet, dass Mißbrauch ausgeschlossen werden soll, der darin bestehen könnte, dass der „Ersttäter“, der nach § 25 Abs. 2a Satz 1 StVG innerhalb von vier Monaten den Zeitpunkt der Wirksamkeit des Fahrverbotes selbst bestimmen kann, mehrere kurz hintereinander verhängte Fahrverbote zusammenlegt, um zu seinen Gunsten gerade die Wirkung einer parallelen Vollstreckung hervorzurufen.

Unter Berücksichtigung dieser gesetzgeberischen Intention kann die Regelung über die additive Vollstreckung nur für die Fälle gelten, in denen der sog. „Ersttäter“ innerhalb der „Schonfrist“ von 4 Monaten noch zu einem „Wiederholungstäter“ wird. Diese Schlussfolgerung bestätigt sich auch in der Systematik der Regelung. Sie ist im § 25 Absatz 2a StVG als Satz 2 eingefügt, weil unter „Betroffener“ in diesem Sinne nur der sog. „Ersttäter“ nach § 25 Absatz 2a Satz 1 StVG gemeint werden sollte. Mit der Einfügung des § 25 Absatz 2a StVG sollte der „Ersttäter“ aufgrund seines Status insoweit eine Begünstigung eingeräumt bekommen, dass er innerhalb einer Frist von 4 Monaten ab Rechtskraft selbst bestimmen kann, wann das Fahrverbot beginnen soll. Diese Begünstigung darf aber nicht soweit ausufern, dass der „Ersttäter“ diese weiterhin genießt, obwohl innerhalb der vier Monate weitere Fahrverbote gegen ihn verhängt wurden. Insoweit ist er im nachhinein wie ein „Wiederholungstäter“ zu behandeln. Da oftmals nicht auszuschließen ist, dass der Verwaltungsbehörde während der „Schonfrist“ parallele Verfahren unbekannt bleiben, und deshalb dem sog. Ersttäter trotz mehrerer später verhängter Fahrverbote weiterhin die Begünstigung nach § 25 Abs. 2a S.1 StVG eingeräumt bleibt, bedurfte es eines entsprechenden Korrektivs. Ein solches Korrektiv stellt die Regelung in § 25 Abs. 2a Satz 2 StVG dar.

Hätte der Gesetzgeber die Regelung einer additiven Vollstreckung für alle Fälle, in denen mehrere gleichzeitig rechtskräftig werdenden bzw. sich überschneidenden Fahrverbote vorliegen, beabsichtigt, so hätte er diese Regelung entweder als weiteren Satz in § 25 Absatz 2 StVG eingefügt oder diese als eigenständigen Absatz in die Vorschrift des § 25 StVG eingegliedert. Dies ist aber nicht der Fall. Im Umkehrschluss kann daher nur gefolgert werden, dass bei Wiederholungstätern i.S.d. § 25 Abs. 1 StVG grundsätzlich keine Vollstreckung mehrerer zeitgleicher Fahrverbote nacheinander vorzunehmen ist, sondern vielmehr eine parallele Vollstreckung zu erfolgen hat. Eine analoge Anwendung des § 25 Abs. 2a StVG zu Lasten des Betroffenen würde dem Bestimmtheitsgebot (§ 3 OWiG, Art. 103 Abs. 2 GG) widersprechen.

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