Der Halter eines Fahrzeuges, mit dem die außerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 64 km/h überschritten worden war, mochte sich nicht erinnern, wer aus seiner Familie das gewesen sein könnte. Das Bild sei so undeutlich, ob man ihm keines mit höherer Auflösung schicken könne, schrieb er nach Erhalt der Anhörung. In Frage käme eventuell sein Schwager. Der Landkreis konnte und wollte kein anderes Foto schicken. Das Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde eingestellt, stattdessen bekam der Halter eine Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 12 Monaten. Dies wiederum wollte der Halter nicht akzeptieren und legte Widerspruch ein, dem die Behörde nicht statt gab. Die Klage des Halters zum Verwaltungsgericht Göttingen hatte keinen Erfolg. Wer ein Fahrzeug hält, welches auch von anderen Personen genutzt wird, müsse schon genauere Angaben zum möglichen Fahrer machen.
Aus den Gründen:
(…) Die Rechtmäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage beurteilt sich nach § 31 a StVZO. Nach dieser Vorschrift kann die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge – auch Ersatzfahrzeuge – die Führung eines Fahrtenbuches anordnen, wenn die Feststellung eines Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen eine Verkehrsvorschrift nicht möglich war. (…)
Die Feststellung derjenigen Person, die das Fahrzeug des Klägers bei dem Verkehrsverstoß geführt hat, war auch i. S. d. § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich. Eine Unmöglichkeit i. S. dieser Vorschrift liegt vor, wenn die Behörde nach den Umständen des Einzelfalls nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen hierfür getroffen hat. Die in diesem Rahmen gebotene Anhörung begründet für den Halter die Obliegenheit, zur Aufklärung eines mit seinem Fahrzeug begangenen Verkehrsverstoßes so weit mitzuwirken, wie es ihm möglich und zumutbar ist. Dazu gehört es insbesondere, dass er den bekannten und zumindest den möglichen Täterkreis eingrenzt und die Täterfeststellung durch Nachfragen im Kreis der Nutzungsberechtigten fördert. Art und Umfang der Ermittlungstätigkeit der Behörde können sich an dem Verhalten und der Erklärung des Fahrzeughalters ausrichten. Lehnt dieser erkennbar die Mitwirkung an der Aufklärung des Verstoßes ab, so ist es der Behörde regelmäßig nicht zuzumuten, wahllos zeitraubende und kaum Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen zu betreiben. An der zu fordernden Mitwirkung des Halters fehlt es bereits dann, wenn er den Anhörungs- oder Zeugenfragebogen nicht zurücksendet bzw. weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht. Damit hat es regelmäßig sein Bewenden. Weitere Bemühungen der Bußgeldstelle zur Feststellung des Fahrzeugführers ändern an dieser Rechtslage nichts (ständige Rechtsprechung, z. B. Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 07.08.2009 – 12 LA 126/08 -).
Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Ordnungswidrigkeitenverfahren darauf hingewiesen, dass sein Fahrzeug von anderen Familienangehörigen genutzt werde und der Fahrer eventuell sein Schwager gewesen sei. Der Schwager räumte ein, in dem genannten Zeitraum den Wagen des Klägers genutzt zu haben, sich aber nicht mehr an den genauen Tag erinnern zu können. Aufgrund der schlechten Bildqualität führte ein Abgleich der beim zuständigen Einwohnermeldeamt vorhandenen Ausweisfotos des Klägers und seines Schwagers nicht zur eindeutigen Feststellung des Fahrzeugführers. Aufgrund der wagen Aussage des Schwagers des Klägers und der schlechten Bildqualität war der Landkreis Goslar entgegen der Auffassung des Klägers nicht gehalten, gegen den Schwager einen Bußgeldbescheid zu erlassen. Denn die Tat war ihm nicht eindeutig nachzuweisen und in einem eventuellen Einspruchsverfahren wäre der Bescheid mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aufgehoben worden. Weitere Ermittlungen musste die Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht anstellen. Denn die weiteren Angaben des Klägers zum Nutzerkreis des Fahrzeugs „mehrere Familienangehörigen“ sind dazu zu unbestimmt gewesen. Die Feststellung des Fahrzeugführers war damit objektiv unmöglich und die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31a StVZO liegen vor.
Soweit der Kläger darauf hinweist, dass die Unmöglichkeit der Feststellung nicht von ihm verursacht wurde, führt dies nicht dazu, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 a StVZO zu verneinen wären. Der Umstand ist – wenn überhaupt – im Rahmen der Ermessensentscheidung zu berücksichtigen (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 10.02.2009 – Au 3 K 08.437 -, juris Rn. 20; OVG Münster, Beschluss vom 10.11.2007 – 8 B 1042/07 -, juris Rn. 6; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 1990 – 10 S 962/90 -, NZV 1992, 46 (47); Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, 2009, § 31 a StVZO Rn. 4).
Der Kläger kann gegen die ihm auferlegte Verpflichtung zur Führung eines Fahrtenbuchs auch nicht mit Erfolg einwenden, er sei nicht innerhalb von 14 Tagen seit dem Verkehrsverstoß angehört worden.
Zwar gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu dem als Voraussetzung für die Verhängung einer Fahrtenbuchauflage zu fordernden angemessenen Ermittlungsaufwand grundsätzlich die unverzügliche, d. h. regelmäßig innerhalb von zwei Wochen erfolgende Benachrichtigung des Fahrzeughalters von der mit seinem Kraftfahrzeug begangenen Zuwiderhandlung. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass ein konkreter Anstoß innerhalb dieser Frist ausreicht, um zu verhindern, dass etwa die Erinnerung entscheidend verblasst, so dass es dem Fahrzeughalter in den sich an den Verkehrsverstoß anschließenden Verfahren möglich bleibt, seine Verteidigung auf dieser Grundlage einzurichten. Die Zweiwochenfrist gilt aber für jene vom Regelfall abweichenden Gestaltungen nicht, in denen – bei typisierender Betrachtung – auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt oder erkennbar ist, dass die Rechtsverteidigung des Fahrzeughalters durch dessen spätere Anhörung nicht beeinträchtigt worden ist. Verzögerte Ermittlungshandlungen der Behörde schließen deshalb die Fahrtenbuchanordnung nicht aus, wenn feststeht, dass die Verzögerung für die unterbliebene Ermittlung des Täters nicht ursächlich gewesen ist (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 1987 – 7 B 139.87 -, Buchholz 442.16, Nr. 17 zu § 31 a StVZO; Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 31.10.2006 – 12 LA 463/05 -). Die Kausalität zwischen der verzögerten Anhörung und der Nichtfeststellung des Kraftfahrzeugführers ist insbesondere dann zu verneinen, wenn sich der Fahrzeughalter nicht bereits im Ordnungswidrigkeitenverfahren, sondern erst in dem sich daran anschließenden Verwaltungsverfahren betreffend die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches auf eine fehlende Erinnerung an den Fahrzeugführer beruft oder wenn dem Halter ein zur Identifizierung des Fahrers ausreichendes Foto vorgelegt worden ist, weil es in einem solchen Fall in erster Linie nicht auf das Erinnerungsvermögen, sondern auf das Erkenntnisvermögen ankommt (vgl. Nds. OVG Lüneburg, Beschluss vom 8.11.2004 – 12 LA 72/04-, juris). So verhält es sich hier. Der Kläger hat sich erst in dem Gerichtsverfahren zur Fahrtenbuchauflage auf die verzögerte Anhörung berufen.
Der Beklagte hat bei Erlass der Fahrtenbuchauflage auch das ihm durch § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO eingeräumte Ermessen (§ 114 VwGO) in nicht zu beanstandender Art und Weise ausgeübt. Selbst wenn man der Auffassung folgen würde, dass das Ermessen in den Fällen eingeschränkt und die Auferlegung eines Fahrtenbuches nicht gerechtfertigt sei, in denen das Verhalten des Fahrzeughalters für den Misserfolg der Ermittlungen nicht ursächlich gewesen ist, weil er das ihm Zumutbare und Mögliche zur Aufklärung beigetragen hat (vgl. VG Augsburg, Urteil vom 10.02.2009 – Au 3 K 08.437 -, juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Juli 1990 – 10 S 962/90 -, NZV 1992, 46 (47), führt dies hier zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger hätte nämlich diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Zu den Pflichten des Fahrzeughalters hat das Bundesverwaltungsgericht ausführt: „Gefährdet er (der Fahrzeughalter) die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs dadurch, dass er unter Vernachlässigung seiner Aufsichtsmöglichkeiten nicht dartun kann oder will, wer im Zusammenhang mit einer Verkehrszuwiderhandlung zu einem bestimmten Zeitpunkt ein Fahrzeug gefahren hat, darf er durch das Führen eines Fahrtenbuchs zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung angehalten werden.“ (Beschluss vom 23.06.1989, Buchholz 442.16 § 31 a Nr. 20). Der Kläger hat zwar angegeben, dass mehrere Familienangehörige sein Fahrzeug nutzen und eventuell sein Schwager der Fahrer gewesen sein könnte. Damit bleibt er aber – wie er selbst einräumt – vage und legt sich nicht fest. Ihm war es allerdings zumutbar und möglich, seine Familienangehörigen zu befragen, wer an dem fraglichen Tag seinen Wagen benutzt hat und dies dann mitzuteilen.
Aber auch im Fall einer anderen Bewertung, liegt ein Ermessensfehler nicht vor. Das Gericht teilt nämlich nicht die Auffassung einer einschränkenden Auslegung bei fehlender Kausalität zwischen dem Verhalten des Fahrzeughalters und dem Misserfolg der Feststellung des Fahrzeugführers. Weder der Wortlaut noch der Zweck der Vorschrift gebieten diese Einschränkung. Der Wortlaut des § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO enthält gerade nicht das Erfordernis, dass die Nichtfeststellbarkeit des Fahrzeugführers auf der mangelnden Mitwirkungsbereitschaft des Halters beruht. Die Anordnung der Fahrtenbuchauflage hat den Zweck, künftig sicher zu stellen, dass bei einer weiteren Verkehrszuwiderhandlung der verantwortliche Fahrzeugführer im Hinblick auf die kurze Verjährung rechtzeitig ermittelt werden kann. Die Fahrtenbuchauflage stellt somit eine Maßnahme der Gefahrenabwehr dar und hat keinen Strafcharakter. Der Kläger hat selbst vorgetragen, dass sein Fahrzeug nicht nur von ihm allein genutzt werde und er deshalb den Fahrer nicht benennen könne. Damit hat er genau den Umstand beschrieben, der durch ein Fahrtenbuch verhindert werden soll. Die Führung eines Fahrtenbuchs ist deshalb nicht allein deswegen ausgeschlossen, dass die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde trotz Mitwirkung des Fahrzeughalters gleichwohl erfolglos geblieben sind (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 10.11.2007 – 8 B 1042/07 -, juris Rn. 6; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, 2009, § 31 a StVZO Rn. 4). Die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuchs ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist, der abstrakten, in der Risikosphäre des Fahrzeughalters liegenden Gefahr zu begegnen, dass künftig mit einem auf ihn zugelassenen Kraftfahrzeug unaufklärbar bleibende Verkehrsverstöße begangen werden (vgl. OVG Münster, a. a. O.). Daran bestehen hier allerdings keine ernsthaften Zweifel.
Weiteren vermag das Gericht im Hinblick auf die Dauer der Fahrtenbuchauflage einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu erkennen. Durch die Fahrtenbuchauflage soll der Fahrzeughalter zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung und zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Fall eines erneuten Verkehrsverstoßes angehalten werden. Dazu ist bereits eine gewisse Dauer der Fahrtenbuchauflage erforderlich. Schon ein Geschwindigkeitsverstoß, der zu einer Eintragung eines Punkts in das Verkehrszentralregister (vgl. § 4 StVG) führen würde, rechtfertigt eine Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuchs von sechs Monaten (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.05.1995 – 11 C 12.94 -, BVerwGE 98, 227; Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 17.09.2007 – 12 ME 225/07 -, NJW 2008, 167 und vom 08.07.2005 – 12 ME 185/05 -; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl. 2009, § 31a StVZO Rn. 8 m.w.N.). Handelt es sich um einen gravierenden Verkehrsverstoß, der nach dem Punktesystem (wie hier, vgl. § 40 FeV i. V. m. Nr. 4.3 der Anlage 13 zu dieser Vorschrift) mit vier Punkten und einem Fahrverbot von 2 Monaten (11.3.9 BKat) zu ahnden ist, ist es regelmäßig gerechtfertigt, die Fahrtenbuchauflage für die Dauer von zwölf Monaten anzuordnen (vgl. VG Göttingen, Beschluss vom 18.06.2009 – 1 B 134/09-; Urteil vom 30.03.2009 – 1 A 174/09 -; Hentschel/König/Dauer, a. a. O.). (…)
VG Göttingen, Urteil vom 16.12.2009, Az:1 A 210/09