Der „Kuh“-Handel


Der Mandantin wurde eine Unfallflucht vorgeworfen. Sie hätte beim Einparken ein hinter ihr stehendes Fahrzeug angestoßen, sei ausgestiegen, habe am Kofferraum rumhantiert  und sich anschließend entfernt. Ein  Rentner mit Zeit und Muße einparkende Autos zu beobachten, hielt es nicht für notwendig die  Mandantin anzusprechen. Mein weiß ja wie Damen mittleren Alters reagieren. Da wartete er lieber bis sie gegangen war und hinterließ am anderen Fahrzeug, eingeklemmt hinter dem Scheibenwischer eine Pappe der Größe DIN A4, auf die er seinen Daten kritzelte und „falls das neu sein sollte, bin ich ihr Zeuge für die Verursacherin“.

Die Mandantin erfuhr erst durch die polizeiliche Anhörung, dass ein Unfall stattgefunden haben soll und versicherte nichts dergleichen bemerkt zu haben. Insbesondere die Angabe des angeblichen Unfallortes, einem Parkplatz eines Einkaufmarktes, bereitete ihr Kopfzerbrechen, da sie diesen überhaupt nicht kannte.

Die Akteneinsicht brachte zumindest hier Erleuchtung. Die angeblich Geschädigte war mit ihrem Auto und der Pappe hinter dem Scheibenwischer noch stundenlang durch die halbe Stadt zum Einkaufen gefahren. Selbst dort bemerkte sie die Pappe zunächst nicht. Erst als sie mit ihrem Einkauf zu ihrem Auto ging, fiel ihr „sofort“ auf, dass vorn die Stoßstange herunterhing und an der Scheibe die Pappe klemmte. Den Schaden schätzte sie gleich selbst mit 2.000 Euro. Die von der Polizei in der Verkehrsunfallanzeige geschätzten 200 Euro trafen es dann wohl eher. Lackabbrieb war nicht festzustellen, stattdessen zahlreiche Altschäden. Am Fahrzeug der Mandantin fand sich schon mal gar kein Schaden, noch nicht einmal ein Kratzer.

Erhaben über die unter Hinweis auf diverse Widersprüche abgegebene Stellungnahme beantragte die Amtsanwaltschaft einen Strafbefehl. In der nach Einspruch anberaumten Hauptverhandlung hörte sich die Richterin zunächst die Geschädigte und den Rentner mit Zeit an,  dann im Rahmen eines „Rechtsgesprächs“  geduldig nochmals die Argumente der Verteidigung, um dann die Katze aus dem Sack zu lassen. Zur Frage der Bemerkbarkeit des Unfalls, zur Schadenverursachung und -höhe müsse man wohl in der Tat ein Gutachten einholen.  Man möge aber auch die zahlreichen Voreintragungen im Verkehrszentralregister und den aktuelle Stand von 17 Punkten mit ins Kalkül ziehen. Sollte das Gutachten nicht wie erwartet ausfallen, wäre bei einer Verurteilung und Eintragung weiterer Punkte die Fahrerlaubnis weg. Man bot eine Verfahrenseinstellung gegen Zahlung einer Auflage an. Eine klassische § 153a-Nötigung eben.

Die Mandantin ließ vor dem Sitzungssaal kurz Luft ab, bedachte die Richterin mit unschönen Worten (u.a. einem Vergleich mit dem Milch gebenden Tier), stellte dann aber sehr pragmatisch eine wirtschaftliche Abwägung an. Da sie keine Rechtsschutzversicherung hatte, würde im Falle einer Verurteilung und dem Verlust der Fahrerlaubnis noch das Kostenrisiko einschließlich der Gutachterkosten hinzukommen. Da war die Geldauflage das kleinere Übel, auch wenn das aus Sicht der Mandantin nichts anderes war als ein „Kuhhandel“. Im wahrsten Sinne des Wortes.

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