Der faktische Geschäftsführer und das Rostocker Landrecht


Der Mandant suchte mich 2005 auf und fragte allen Ernstes, ob unsere Kanzlei auch „richtige Strafsachen“ machen würde. Das Amtsgericht Rostock hatte ihn Ende 2003 wegen Insolvenzantragsverschleppung, Nichtabführen von Sozialversicherungsbeiträgen und unterlassener Bilanzerstellung zu einer saftigen Geldstrafe von 450 Tagessätzen verurteilt, die Berufungshauptverhandlung war nun angesetzt worden und sein vorheriger Verteidiger war nicht mehr verfügbar. Ich nahm mich der Sache an, ohne zu wissen, dass mich dieses Verfahren fünf lange Jahre beschäftigen und viele Nerven kosten würde.

Der Mandant hatte sich nach der Wende mit einer GmbH selbstständig gemacht, diese an die Wand gefahren und war als Geschäftsführer schon einmal wegen Insolvenzstraftaten zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Als Geschäftsführer konnte er daher für eine gewisse Zeit nicht mehr tätig werden. Es wurde dann eine neue GmbH gegründet, in der er zunächst nur Gesellschafter war. Die Geschäftsanteile übertrug er später seiner Ehefrau.

Der Geschäftsführer warf irgendwann das Handtuch und die Ehefrau des Mandanten wurde als Geschäftsführerin berufen. Auch diese GmbH ging dann pleite. Dem bestellten Insolvenzverwalter mangelte es ein wenig an der Mitwirkung, er erstattete Strafanzeige und bezeichnete in dieser den Mandanten als „faktischen Geschäftsführer“ ohne zu wissen, was er damit los trat. Die Staatsanwaltschaft Rostock griff dies begierig auf und leitete 1999 ein Ermittlungsverfahren sowohl gegen die Ehefrau meines Mandanten als eingetragene Geschäftsführerin und ihn selbst als faktischen Geschäftsführer ein. Gegen die Ehefrau erging in 2002 ein Strafbefehl, der lediglich in der Höhe reduziert rechtskräftig wurde. Sie verteidigte sich mit der Behauptung, nicht sie, sondern ihr Mann habe die eigentlichen Geschäfte geführt. Das hatte ihr Verteidiger so angeraten.

Gegen meinen Mandanten, erging dann 2003 auch ein Strafbefehl, da ja eigentlich er für die Pleite verantwortlich gewesen sei und seine Ehefrau als „Strohfrau“ nur vorgeschoben habe. Das Amtsgericht Rostock benötigte nach Einspruch gegen den Strafbefehl nur zwei Verhandlungstage um den Mandanten als überführt anzusehen und ihn zu verurteilen. Die Verteidigung war, um es höflich auszudrücken, suboptimal. Das Urteil allerdings auch. Wenigstens hatte der vorherige Verteidiger fristgerecht Berufung eingelegt, so aber auch die Staatsanwaltschaft, die eine höhere Strafe erreichen wollte. Also auf in den Kampf.

Da ich mich in die umfangreichen Akten zunächst einmal einarbeiten musste, wurde die Berufungshauptverhandlung verschoben und fand dann Ende 2005 statt. Der Vorsitzende bat am ersten Verhandlungstag zunächst einmal zu einer Vorbesprechung, bei der er mit breiter Brust verkündete, er sei zuvor Vorsitzender einer Wirtschaftsstrafkammer gewesen und ob ich nicht nochmal in mich gehen und die Berufung auf das Strafmaß beschränken wolle. Wenig beeindruckt wollten weder mein Mandant noch ich irgendetwas beschränken.

Die inzwischen Ex-Ehefrau meines Mandanten war als Zeugin geladen und machte deutlich, dass sie nicht nur Strohfrau war, sondern von der Baubranche und der Führung eines Unternehmens tatsächlich Ahnung hatte. Auf die Frage des Gerichts, warum sie dann in ihrem Verfahren die Unwahrheit gesagt habe, erklärte sie mit entwaffnender Ehrlichkeit, dass ihr Verteidiger ihr dazu geraten und sie sich dadurch eine mildere Bestrafung erhofft habe.

Als weitere Zeugen waren nur ein paar Ex-Arbeitnehmer, ausschließlich aus dem Rostocker Raum, Krankenkassenmitarbeiter und der ehemalige Insolvenzverwalter, dessen Vernehmung wir uns erst ertrotzen mussten, geladen. Nach sieben zähen Verhandlungstagen, in denen das Gericht mit zahlreichen Beweis- und Hilfsbeweisanträgen malträtiert wurde, sah man sich nach den Schlußvorträgen genötigt, nochmal in die Beweisaufnahme einzutreten, um dann im nächsten Termin doch alle Beweisanträge abzulehnen und im Januar 2006 ein völlig konfuses Urteil zu verkünden.

Wegen der Insolvenzantragsverschleppung erfolgte ein Teilfreispruch, da nicht erwiesen sei, dass mein Mandant faktischer Geschäftsführer war, hinsichtlich der anderen Taten sei er aber verantwortlich und wurde hierfür zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, ausgesetzt zur Bewährung. Sogar eine Strafmilderung wegen überlanger Verfahrensdauer war nach der Urteilsbegründung berücksichtigt, nur hatte der Herr Vorsitzende da wohl eine wesentliche Änderung in der Rechtsprechung des BGH, wie diese vorzunehmen sei verschlafen. Selbst dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der einen wirklich guten Job abgeliefert hatte, sah man bei der Urteilsverkündung die Fragezeichen deutlich an. Ich verabschiedeten mich mit den Worten „bis in einem Jahr“ und legte Revision beim Oberlandesgericht Rostock ein.

Dort entschied man recht zeitnah und benötigte für die Aufhebung des Urteils des ehemaligen Vorsitzenden einer Wirtschaftsstrafkammer nur knapp zwei Seiten. Allerdings waren die OLG-Richter da noch der Meinung, eine andere kleine Strafkammer könne es vielleicht besser und verwiesen zurück an das Landgericht Rostock. Es dauert dann allerdings länger als ein Jahr bis zur Neuauflage des Verfahrens.

Erst 2009 sah man sich dort in der Lage eine neue Berufungshauptverhandlung zu terminieren. Der nun zuständige Vorsitzende war vorher bei einer Handelskammer und dazu noch Mediator. Er brachte es tatsächlich fertig, am ersten Verhandlungstag nicht einen einzigen Zeugen zu laden und versuchte alle Beteiligten zu einer Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage zu überreden, was aber in Anbetracht der langen Verfahrensdauer und der Verteidigerkosten, die der Mandant dann allein zu tragen hätte, nicht wirklich in Frage kam. Also musste er wohl oder übel die Beweisaufnahme durchführen und sich mit den erneut zahlreich gestellten Anträgen der Verteidigung befassen, wobei ihm der eine oder andere Patzer unterlief, die im Stillen bereits auf der Habenseite für die zu erwartende Revision gebucht wurden. Überraschend für alle Beteiligten berief sich die Exfrau meines Mandanten plötzlich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht und das Gericht spürte Oberwasser. Nach erneut sieben Verhandlungstagen wurde der Mandant verurteilt, diesmal zu einer Geldstrafe, wovon aufgrund der überlangen Verfahrensdauer 2/3 bereits als verbüßt anzusehen waren. Also musste das Oberlandesgericht Rostock erneut bemüht werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft gab zur Revisionsbegründung eine sehr gelungene Stellungnahme ab, war ebenfalls der Meinung, dass dieses Urteil keinen Bestand haben kann, und zog eine sehr pragmatische Lösung heran, die in der Revisionsschrift vorsorglich am Rande erwähnt worden war. Ein weiteres Verfahren würde wiederum Zeit kosten, was angesichts der bisherigen Verfahrensdauer nicht mehr hinnehmbar sei, so dass das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernis einzustellen ist.

Aus Sicht der Staatsanwaltschaft war zwar eine Verurteilung in einem neuen Verfahren selbstverständlich, dort war man ja von Anfang an der Meinung, unseren Mandanten verknacken zu können. Man fand bloß keinen Richter der dies auch umsetzen konnte. Das OLG Rostock stellte das Verfahren dann tatsächlich wegen überlanger Verfahrensdauer ein und erlegte die gesamten Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen der Landeskasse auf. Angesichts der aufgelaufenen Kosten für dieses Verfahren und damit sind nicht nur die Verteidigerkosten gemeint, sondern die so zahlreich vergeudeten Arbeitsstunden von Polizisten, Zeugen, Staatsanwälten und Richtern, war das demnach ein kompletter Schuss in den Ofen. Für uns nicht.

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