Frau H. hat ein Girokonto bei einer Bank für das ihr eine bis Ende 2004 gültige EC-Karte mit persönlicher Geheimzahl („PIN“) zur Verfügung stand. Vom Konto der Frau H. wurden im November November 2004 an unterschiedlichen Geldautomaten an ihrem Wohnort, Geldbeträge in Höhe von insgesamt über 2.500 Euro € abgehoben; die Summe entsprach annähernd dem Guthabenstand zuzüglich eingeräumter Überziehungslinie. Die Geldautomaten waren nicht durch Videokameras überwacht.
Da Frau H. weder die neue Karte erhalten, noch die Abbuchungen vorgenommen hatte, verlangte sie diese rückgängig zu machen und beantragte, als die Bank sich weigerte, Prozesskostenhilfe für eine Klage vor dem Amtsgericht Frankfurt (Oder). Die Bank erklärte wie üblich in solchen Verfahren, dass die neue Karte ohne Kenntnis der PIN aufgrund von Sicherungsvorrichtungen gar nicht habe eingesetzt werden können und nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Kontoinhaber den Schaden in vollem Umfang zu tragen hat, wenn Pflichten grob fahrlässig verletzt wurden, insbesondere wenn die persönliche Geheimzahl auf der Karte vermerkt, mit ihr verwahrt oder einer anderen Person mitgeteilt wurde.
Das Amtsgericht Frankfurt (oder) lehnte den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussichten ab, da gegen Frau H. ein Beweis des ersten Anscheins spreche, dass sie ihrer Pflicht zur Geheimhaltung der PIN nicht nachgekommen sei oder die Abhebungen selbst veranlasst habe, die pauschale Behauptung, eine unbekannte Person im Organisationsbereich der Bank müsse sich Kenntnis von der Geheimnummer verschafft und die Beträge abgehoben haben, sei nicht ausreichend. Frau H. legte Beschwerde ein, die das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückwies. Eine weitere Gegenvorstellung und eine gehörsrüge blieben unbeachtet. Hiergegen legte Frau H. Verfassungsbeschwerde ein.
Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Versagung von Prozesskostenhilfe hier rechtswidrig war und hob die entsprechenden Beschlüsse auf. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage wurden sowohl vom Amts- als auch vom Landgericht Frankfurt (Oder) überspannt. Anders als in bereits von der Rechtsprechung entschiedenden Fällen, in denen die insoweit beweisbelasteten Banken zum Nachweis, dass grob fahrlässiges Verhalten zu den Automatenverfügungen geführt hat auf einen gegen den Kontoinhaber sprechenden Anscheinsbeweis berufen konnten, sofern nicht der Kunde dies durch einen atypischen Geschehensablauf entkräften konnte, liegt der Fall hier anders, denn Frau H. war unwidersprochen zu keiner Zeit im Besitz der bei den Abhebungen verwendeten EC-Karte, deren Zugang ohnehin die Bank nachweisen müsse. Von daher streite kein Anscheinsbeweis für die Bank.
Aus den Gründen:
Der Vermutung einer Eigenabhebung steht als atypischer Umstand schon der fehlende Besitz der Karte entgegen. Ein Anschein für ein vorwerfbares Verhalten der Beschwerdeführerin liegt nach dem Maßstab der herangezogenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 160, 308) gleichfalls nicht vor. Anknüpfungstatsachen für die – schon begrifflich den Karteninhaber betreffende – Beweisregel bilden der ursprüngliche Besitz und nachfolgende Verlust der EC-Karte sowie die Kenntnis des Karteninhabers von der ihm zugewiesenen PIN. Ist der Bankkunde von vornherein nicht im Besitz der Karte, fehlt es an einem maßgeblichen Teil des die Typizität begründenden Sachverhalts; denn für die Vermutung einer unsorgfältigen Aufbewahrung der Geheimzahl zusammen mit der Karte bietet sich keine Grundlage. Hinzu kommt, dass die Fachgerichte die Möglichkeit eines atypischen Verlaufs nicht erörtert haben, wonach ein Dritter sich im Zusammenhang mit der Versendung der Karte in ihren Besitz gebracht und zeitnah hierzu Kenntnis von der Geheimzahl bei ihrem Gebrauch seitens der Beschwerdeführerin erlangt haben könnte.
Soweit die Fachgerichte ein vorwerfbares Verhalten der Beschwerdeführerin allein aus dem Umstand folgern, dass die Abhebungen unter Verwendung der zutreffenden Geheimzahl ohne Fehlversuche vorgenommen wurden, konnten sie sich auch nicht auf anderweitige obergerichtliche Entscheidungen stützen. Ebenso wenig liegt eine gefestigte zivilgerichtliche Rechtsprechung zu vergleichbaren Fallgestaltungen vor, in denen bereits der ursprüngliche Besitz der Karte durch den Bankkunden in Frage steht. So ist verschiedentlich ausgesprochen worden, dass das Risiko eines Kartenmissbrauchs dem Bankkunden ohne nachgewiesenen Erhalt der Karte nicht zuzurechnen sei (vgl. OLG Bamberg, Urteil vom 23. Juni 1993 – 8 U 21/93 -, WM 1994, S. 194 <196>; AG Berlin, Urteil vom 18. Oktober 2001 – 16 C 202/01 -, MDR 2002, S. 654). Demgegenüber soll nach einer von den Fachgerichten im Ausgangsverfahren angeführten Entscheidung des LG Köln (Urteil vom 20. September 1994 – 11 S 338/92 -, WM 1995, S. 976) im Fall einer dem Kartenmissbrauch unmittelbar vorausgehenden, nach Behauptung des Kunden fehlgeschlagenen Versendung einer Ersatzkarte ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Bankkunden anzunehmen sein.
Die von der konkreten Fallgestaltung aufgeworfenen Rechtsfragen sind damit in der ergangenen Rechtsprechung noch nicht hinreichend geklärt. Sie sind auch im Übrigen nicht einfach oder eindeutig zu beantworten. Das Amts- und das Landgericht hätten daher über sie im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren zum Nachteil der Beschwerdeführerin nicht abschließend befinden dürfen. (…)
BVerfG, Urteil vom 8.12.2009, Az: 1 BvR 2733/06
Damit wird der Bankkundin lediglich Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zu bewilligen sein, eine Entscheidung über ihren Rückzahlungsanspruch hat das Bundesverfassungsgericht nicht getroffen. Das war auch nicht Gegenstand der Verfassungsbeschwerde und ist auch nicht Aufgabe des Verfassungsgerichts. Also noch keine Klatsche für das angeblich so sichere PIN-Verfahren. Wenn die Bankkundin Pech hat, geht es ihr nachher so wie einem Mandanten unserer Kanzlei, der nach der angeblichen Übersendung einer Geldkarte sogar noch in den Genuss eines Strafverfahrens kam, als er die nicht von ihm veranlassten Abhebungen reklamierte und Strafanzeige gegen unbekannt erstattete. Daraus wurde ein Vortäuschen einer Straftat, was einen sehr sehr kleinen Richter im Amtsgericht Frankfurt am Main, der offensichtlich auch ein Problem mit Berliner Strafverteidigern hatte, dazu brachte, unserem Mandanten eine Geldstrafe aufzubrummen und sich zu ärgern, dass nicht auch noch versuchter Betrug angeklagt war. Erst beim Landgericht war die Kammer professionell genug, im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden und unseren Mandanten freizusprechen.