AG Königs Wusterhausen vs. Bundesverfassungsgericht – Rechte im Fernabsatz


(c) tobman / Pixelio

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Eine Kollegin aus dem Bayerischen war über www.terminsvertreter.com auf unsere Kanzlei aufmerksam geworden und fragte an, ob wir für ihren Mandanten vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen einen Termin wahrnehmen könnten. Ihr Mandant hatte im Online-Shop eines Brandenburger Händlers eine PS2 erstanden und wollte, da diese beschädigt bei ihm ankam und nicht funktionierte, nach Rücksendung des Gerätes sein Geld zurück. Der Händler meinte nicht zahlen zu müssen, da die PS2 seiner Ansicht nach wunderbar funktionierte und schickte das Gerät nochmals los. Der Käufer verweigerte diesmal die Annahme und beauftragte nach erfolgloser Rückforderung des Kaufpreises und der Versandkosten die Kollegin zu klagen.

Eigentlich eine leichte Sache dachte der Verfasser, schließlich handelte es sich um ein Fernabsatzgeschäft und der Käufer hatte innerhalb von 14 Tagen die Ware zurückgesandt, was soll da also groß zu verhandeln sein, schnappte sich die Akte und fuhr nach Königs Wusterhausen. Zur großen Überraschung teilte der Richter mit, dass die Klage wohl keine Aussicht auf Erfolg haben wird, da ein zum Rücktritt berechtigender Sachmangel nicht bewiesen sei. Den Einwand, dass es auf den Sachmangel nicht ankomme, da der Käufer durch Rücksendung der Ware sein Widerrufsrecht ausgeübt hat, ein Widerruf keiner Begründung bedarf und sich danach alle Rechte aus den §§ 355, 357 BGB ergeben, nahm der Richter zur Kenntnis, meinte aber, der Kläger hätte mit der Geltendmachung von Sachmängelrechten bereits ein Gestaltungsrecht ausgeübt, da sei kein Platz mehr für einen Widerruf. Nun ja…

Iura novit curia – Das Gericht kennt das Recht. Wenn nicht, muss man eben nachhelfen. Der Verfasser bat daher ausdrücklich um Protokollierung des Hinweises auf die §§ 355, 357 BGB, damit es nachher nicht heißt, man hätte das Gericht nicht auf Fehler bei der Rechtsfindung aufmerksam gemacht. Schließlich muss ein Anwalt ja schlauer sein als das Gericht, sonst macht er sich haftbar. Im Sitzungsprotokoll steht dann auch wortwörtlich, der „Klägervertreter erlaubt sich im Übrigen „fürs Protokoll“ den Hinweis auf die §§ 355 in Verbindung mit § 357 BGB.“ Der Richter meinte sich nochmal einlesen zu wollen, Entscheidung am Schluss der Sitzung.

Die Kollegin bekam tatsächlich ein klagabweisendes Urteil, in dem sich das Gericht kurz und knapp mit dem nicht bewiesenen Sachmangel auseinandersetzte und zu dem Ergebnis kam, dass ein Rücktrittsrecht nicht bestehe. Zum Fernabsatzgeschäft erfolgte kein einziges Wort. War wohl gerade kein Palandt zum „einlesen“ zur Hand. Darin steht, dass der Widerruf als Gestaltungsrecht zwar bedingungsfeindlich, ein Eventualwiderruf für den Fall, dass die vom Verbraucher primär geltend gemachten Rechte erfolglos bleiben, aber zulässig ist (Palandt, § 355 Rn. 6). Die Kollegin erhob daraufhin Gehörsrüge, die ebenso knapp abgebügelt wurde. Eigentlich Ende der Fahnenstange, denn ein berufungsfähiger Streitwert war nicht erreicht. Aber die Bayern sind zäh. Die Kollegin erhob Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht, bekam dort Recht und der Richter beim AG Königs Wusterhausen a kräftige Woatschn.

In der Entscheidung des BVerfG vom 27.5.2009, Az: 1 BvR 512/09, heißt es:

„Mit dem angegriffenen Urteil hat das Amtsgericht das rechtliche Gehör verletzt, indem es den bereits mit dem Schriftsatz vom 27. Oktober 2008 durch den Beschwerdeführer ausdrücklich erklärten Widerruf des Kaufvertrages nicht berücksichtigt hat. In dem genannten Schriftsatz hat der Beschwerdeführer nicht nur den Widerruf erklärt, sondern darüber hinaus Umstände vorgetragen, nach denen ein wirksamer Widerruf nach den für Fernabsatzverträge geltenden Bestimmungen (…) in Betracht gekommen ist. Dementsprechend hätte das Amtsgericht unter Berücksichtigung dieses Vorbringens des Beschwerdeführers der Klage stattgeben, jedenfalls (…) auf den Gesichtspunkt des Widerrufs nach den für Fernabsatzverträge geltenden Bestimmungen hinweisen sowie (…) eventuell auf die Vervollständigung und Konkretisierung des das Widerrufsrecht betreffenden Vorbringens hinwirken müssen. In den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils ist das Amtsgericht auf den Gesichtspunkt eines Widerrufs nach den für Fernabsatzverträge geltenden Bestimmungen dennoch nicht eingegangen, sondern hat sich nur mit Ansprüchen wegen Sachmängelgewährleistung und ungerechtfertigter Bereicherung auseinandergesetzt. Auch auf Ausführungen eines für den Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung aufgetretenen Unterbevollmächtigten zu den §§ 355, 357 BGB ist das Amtsgericht nicht eingegangen. (…)

Dieses Vorgehen des Amtsgerichts findet weder im materiellen Recht noch im Prozessrecht eine Stütze. Insbesondere kann sich das Amtsgericht nicht auf die objektiven Grenzen des Streitgegenstandes berufen. Denn maßgebend sind insofern der Sachantrag des Klägers und der von diesem zur Begründung desselben vorgetragene Sachverhalt (vgl. etwa BGHZ 117, 1 <5>). Hier hatte der Beschwerdeführer – der Rechtsfolge des § 346 Abs. 1 BGB entsprechend – Rückzahlung des der Beklagten überwiesenen Kaufpreises begehrt und sich zur Begründung nicht nur auf Sachmängelgewährleistung und ungerechtfertigte Bereicherung berufen, sondern außerdem höchstvorsorglich den Widerruf erklärt und Umstände vorgetragen, nach denen ein Fernabsatzvertrag vorlag, jedenfalls aber in Betracht kam. Das Amtsgericht hat das Vorbringen des Beschwerdeführers auch nicht ohne weiteres so auslegen dürfen, dass in der Erklärung, der Kaufvertrag werde höchstvorsorglich widerrufen, kein Widerruf zu sehen ist. Zum einen steht dem der Wortlaut der Erklärung entgegen. Zum anderen entspricht eine Lösung vom Vertrag im Wege eines Widerrufs dem erklärten Interesse des Beschwerdeführers ebenso wie der vom Amtsgericht allein erwogene Rücktritt nach den Bestimmungen über die Sachmängelgewährleistung. (Unterstreichung durch Verfasser) Mit Rücksicht hierauf hätte das Amtsgericht die Erklärung des Beschwerdeführers entweder dem Wortlaut und dem dahinter stehenden Interesse folgend als Widerruf auslegen oder hinsichtlich der Bedeutung der Erklärung von seinem Fragerecht nach § 139 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 ZPO Gebrauch machen müssen.“

Der Richter beim AG Königs Wusterhausen durfte sich also nochmals mit der Sache und uns als Terminsvertretern beschäftigen. Dem im Übrigen „fürs Protokoll“ erbetenen Hinweis wäre wohl besser nachzugehen gewesen, dann hätte er sich das sparen können. Wir Anwälte nehmen Hinweise des Gerichts ja auch zum Anlass nachzudenken und nachzubessern. Der nun durchgeführte Termin bestand aus einem knapp halbstündigen Monolog des Richters, der in seiner Laufbahn zum ersten Mal vom BVerfG aufgehoben wurde, was ihn offensichtlich sehr mitgenommen haben muss, und dem Versuch, dem Beklagtenvertreter – der vom Fernabsatzrecht wahrscheinlich das erste Mal in diesem Verfahren gehört hat und im Beschwerdeverfahren vor dem BVerfG damit beschäftigt war, die Kollegin auf übelste Weise zu „dissen“, selbst aber den allergrößten Blödsinn schrieb – klarzumachen, dass er ihm zwar noch rechtliches Gehör gewährt, an der Entscheidung aus Karlsruhe – auch wenn er es noch immer (sic!) anders sieht – nun mal nicht vorbei kommt. Wir warten nun gespannt auf die neue Entscheidung vom AG Königs Wusterhausen zum Fernabsatzrecht.

AG Königs Wusterhausen, Urteil vom 15.12.2009 (Volltext mit frdl. Genehmigung der Kollegin und ihres Mandanten) und Beschluss vom 09.01.2009 (Volltext), Az: 20 C 448/08 sowie BVerfG, Urteil vom 27.05.2009, 1 BvR 512/09 (Volltext)

Das BVerfG musste sich schon einmal mit einer willkürlichen Entscheidung eines Amtsgerichts herumschlagen (Urteil vom 15.12.2008, 1 BvR 69/08 – Volltext). Auch dort hatte ein Amtsrichter die Vorschriften zum Fernabsatz bei seiner Urteilsfindung völlig ausgeblendet, und die Klage wegen nicht bewiesener Mängel abgewiesen. Das, so dass BVerfG, war willkürlich und verletzte den Kläger in seinen Rechten.

Die Sache endete mit einem Vergleich, hier nachzulesen.

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