AG Cottbus – Anordnung der Blutentnahme durch Polizeibeamte wegen Gefahr im Verzug zur Nachtzeit


Der Angeklagte fuhr beim Abbiegen mit den Rädern an die Bordsteinkante und zog so die Aufmerksamkeit einer Polizeistreife auf sich. Der Versuch, den Angeklagten anzuhalten scheiterte, da dieser überhaupt nicht reagierte und weiter fuhr. Erst als ihm ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht und Zeichen „Stopp – Polizei“ folgte, hielt er nach einer Fahrstrecke von ca. 100 Metern an. Der freiwillig sofort nach dem Anhalten durchgeführte Atem-Test mit dem Dräger 7410 ergab einen Atemalkoholwert von 2,46 mg/g.
Aufgrund dessen wurde durch die Polizeibeamten eine Blutprobe angeordnet. Eine ausdrückliche Einwilligung des Angeklagten zu der Entnahme lag nicht vor, eine richterliche Genehmigung nach § 81 a Abs. 2 StPO wurde durch die Polizeibeamten wegen Gefahr in Verzug nicht eingeholt, da zu diesem Zeitpunkt ein Richter beim zuständigen Amtsgericht Cottbus nicht erreichbar und dieses den Polizeibeamten bekannt war.

Aufgrund der Allgemeinen Verfügung der Ministerien der Justiz vom 19. März 2006 (2043-E I.2/96) ist beim Amtsgericht Cottbus ein richterlicher Eildienst eingerichtet. Dieser ist über Diensthandys erreichbar. In der Eildienstregelung heißt es diesbezüglich: Die Diensthandys (Protokoll- und Richterdienst) sind in dem Zeitraum vom 01. April bis 30. September vom 04:00 Uhr bis 21:00 Uhr und in dem Zeitraum vom 01. Oktober bis 31. März von 06:00 Uhr bis 21:00 Uhr so in Bereitschaft zu führen, dass ankommende Anrufe vorgenommen werden können.

Nach Verbringung des Angeklagten in das nächstgelegene Krankenhaus wurde diesem von einem Arzt um 02:15 Uhr eine Blutprobe entnommen. Die Blutprobe ergab für den Zeitpunkt der Entnahme im Mittelwert eine Blutalkoholkonzentration von 2,41 Promille. Der Angeklagte war während der Fahrt damit absolut fahruntüchtig.

Das Amtsgericht Cottbus verurteilte den Angeklagte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 30,00 Euro, entzog ihm die Fahrerlaubnis und wies die Straßenverkehrsbehörde wird an, vor Ablauf von noch 7 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Eine Verletzung des Richtervorbehaltes nach § 81 a Abs. 2 StPO und damit eine Unverwertbarkeit der Blutentnahme als Beweismittel hat das AG Cottbus verneint.

Aus den Gründen:

(…) Das Gericht konnte das Blutalkoholgutachten zur Grundlage für seine Urteilsfindung machen. Denn die Anordnung der Blutprobe stand gemäß § 81 a Abs. 2 StPO den Polizeibeamten als Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft i.S.d. § 152 GVG zu. Denn bei Einholung der richterlichen Genehmigung wäre der Untersuchungserfolg durch Verzögerung der Blutentnahme gefährdet gewesen. Denn die Trunkenheitsfahrt wurde (…) um 01:05 Uhr durch den Angeklagten begangen. Aufgrund der Eildienstregelung beim nach § 162 StPO für die Ausübung des Richtervorbehalts zuständigen Amtsgericht Cottbus wäre die richterliche Entscheidung frühestens um 04:00 Uhr morgens, mithin 2 Stunden und 55 Minuten nach der Tat möglich gewesen.

Hierbei handelt es sich nicht um eine kurzfristige Verzögerung, die durch Rückrechnung problemlos ausgeglichen werden kann. Denn durch den raschen Abbau von Alkohol im Körper und die Rückrechnungsgrundsätze zugunsten des Angeklagten wird die Ermittlung und Feststellung der Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Tatbegehung erschwert und verfälscht.

Der Angeklagte hat gegenüber der Polizei und dem Gericht keine Angaben zum Trinkverlauf gemacht. Daher musste die Polizei als auch das Gericht zu Gunsten des Angeklagten von einem Trinkende kurz vor Fahrtantritt und mangels Angaben zum Fahrtverlauf kurz vor der Anhaltezeit ausgehen.
Daher war zum Zeitpunkt des Anhaltens hinsichtlich der Berechnung der Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme ermittelten Blutalkoholwertes die Resorptionsphase von 2 Stunden zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen. Somit war bei einer Blutprobeentnahme in dem Zeitraum von 2 Stunden seit dem Anhaltevorgangs keine Rückrechnung möglich.

Bei einer innerhalb dieses Zeitraumes ermittelten Blutalkoholkonzentration unterhalb von 1,1 Promille könnte somit nicht durch Rückrechnung unter Berücksichtigung eines Abbauwertes von 0,1 Promille pro Stunde eine absolute Fahruntüchtigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Fahrt ermittelt werden. Denn die Rückrechnung wäre verwehrt mangels Kenntnis des Trinkverlaufs und Nichtabschluss der Resorptionsphase bei Blutentnahme.

Aus Sicht der Polizeibeamten war daher eine rasche Entnahme der Blutprobe nach dem Anhaltevorgang erforderlich, um den Abbauwert möglichst gering zu halten zur Beweissicherung der absoluten Fahruntüchtigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung (siehe hier auch OLG Hamm, Beschluss vom 25.08.2008 – 3 Ss 318/08, OLG Hamm in Blutalkohol 2008 S: 389, 391).

Ein Abwarten bis mindestens 04:00 Uhr morgens mit der Blutentnahme hätte daher ebenfalls das Beweismittel der Blutprobe beeinträchtigt, denn auch in diesem Fall hätte die Resorptionsphase berücksichtigt werden müssen.

Die Polizeibeamten hatten auch keine verlässlichen Anhaltspunkte dafür, dass sich die Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt nicht im Grenzbereich um 1,1 Promille bewegte. Zwar hatte die kurz nach dem Anhalten des Angeklagten durchgeführte Atemmessung einen Wert von 2,46 mg/g Atemalkoholkonzentration ergeben. Jedoch ist ein Rückschluss von dem gemessenen Atemalkoholkonzentrationswert auf eine bestimmte Blutalkoholkonzentration nicht möglich. Eine unmittelbare Konvertierbarkeit von Atemalkoholwerten in Blutalkoholkonzentrationswerte scheidet nach den Erkenntnissen der Rechtsmedizin aus (vgl. OLG Karlsruhe VRS 85, 347). So können die Messwerte erheblich durch verschiedene physiologische Einflüsse, etwa die unterschiedliche Verteilung des Alkohols im Organismus oder die Luftfeuchtigkeit verfälscht werden. So kann die Benutzung von Mundwassern und Rachensprays zu erheblichen Verschiebungen der Messergebnisse führen. Schließlich spielen auch Atemkapazität und Atemtechnik eine wesentliche Rolle. Insbesondere während der Resorptionsphase kommt es zu erhöhten Messwerten, währen die Werte bei Restalkohol deutlich zu niedrig angezeigt werden.

Auch aus dem Verhalten des Angeklagten im Übrigen konnten die Polizeibeamten nicht schließen, dass sich dessen Alkoholisierung nicht im Bereich von 1,1 Promille bewegte. Denn die Beamten kannten nicht die Verhaltenweisen im nüchternen Zustand. Mangels dieser Kenntnisse waren sowohl das Abstützen auf den Kofferraumdeckel als auch seine unpräzisen Angaben nicht zweifelsfrei auf eine sehr hohe Alkoholisierung zurückzuführen.

Die Anordnung der Entnahme einer Blutprobe zur Ermittlung der Blutalkoholkonzentration war auch zulässig, da ein hinreichender Anhalt für eine merkbare Alkoholbeeinflussung gegeben war. Denn hierzu genügte schon der Alkoholgeruch des Angeklagten. Ferner ist auch zu berücksichtigen, dass die Ermittlung der Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Fahrt zur Beweissicherung auch insofern von Bedeutung ist, als der Grenzwert von 1,6 Promille erreicht ist. Denn dieser Wert ist nach § 13 Abs. 2 c FeV für die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens von entscheidender Bedeutung und die Anordnung des medizinisch-psychologischen Gutachtens liegt im Interesse der Allgemeinheit an der Sicherheit im Straßenverkehr und überwiegt gegenüber dem geringen körperlichen Eingriff.

Insofern wäre auch insoweit bei Anwendung des Richtervorbehaltes eine Beweisbeeinträchtigung eingetreten. Im Übrigen wäre bei Verletzung des Richtervorbehaltes aus den im Beschluss des Landgerichts Cottbus vom 28.08.2008 genannten Gründen die Verwertung der Blutentnahme nicht ausgeschlossen. Denn aus den oben genannten Ausführungen ergibt sich, dass die Anordnung der Blutentnahme durch die Polizeibeamten nicht objektiv willkürlich war und sich auch nicht als Folge einer groben Fehlbeurteilung darstellt und auch nicht unvertretbar ist (vgl. Hierzu BVerfG, Beschluss vom 28.07.2008 – 2 BVR 784/08 in Blutalkohol 2008, 386, 388).
Die Polizeibeamten haben nicht willkürlich die Gefahr im Verzug angenommen. Denn ein richterlicher Anordnungsbeschluss wäre höchstwahrscheinlich zu erlangen gewesen, und von einer Umgehung des Richtervorbehalts ist nicht auszugehen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der in § 81 a StPO enthaltene Richtervorbehalt nicht zum rechtsstaatlichen Mindeststandard zu zählen ist (vgl. BVerfG in NJW 2008, 3053/3054) und bei Trunkenheitsdelikten im Straßenverkehr zu einer Formalie verkümmert. Denn der Richter kann in seiner Entscheidung nur die Angaben der Polizeibeamten zugrunde legen ohne Nachprüfung des Vorliegens derselben. Bei einer selbständigen Überprüfung durch Inaugenscheinnahme oder Anhörung des Beschuldigten würde eine solche Zeitverzögerung eintreten, dass der Beweiswert der durch die Blutentnahme gewonnenen Blutprobe gefährdet würde.

Der einfachgesetzliche Richtervorbehalt muss anders als der für Wohnungsdurchsuchungen und Freiheitsentziehungen im Grundgesetz verankerte nicht deren strengen von der Rechtssprechung entwickelten Verfahrensgrundsätzen entsprechen. Vielmehr muss er im Lichte dessen betrachtet werden, dass das Grundrecht des Angeklagten auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wegen der geringeren Intensität und Tragweite niedriger einzustufen ist, als das hochrangige Interesse an der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs nach § 316 StGB. Eine Dokumentation der Gefahr im Verzug bedurfte es vorliegend nicht, da die Dringlichkeit aufgrund des zuvor Ausgeführten – das der Polizei bekannt ist – evident ist. (vgl. Hierzu BVerfG, Beschluss vom 28.07.2008 – 2 BVR 784/08 in Blutalkohol 2008, 386, 388). Denn den Polizeibeamten war die Eildienstregelung beim Amtsgericht Cottbus als auch die Aussagekraft der Atemalkoholwerte in Bezug auf die Blutalkoholwerte bekannt. Ferner war ihnen auch der rasche Abbau von Alkohol im Körper bekannt. (…)

AG Cottbus, Urteil vom 06.11.2008, Az: 95 Ds 1221 Js 19295/08 (104/08) –  (Justiz Berlin-Brandenburg)

Praxisrelevvanz:

Das Landgericht Cottbus (Beschluss vom 25.08.2008, Az: 24 Qs 225/08, Volltext Justiz Berlin-Brandenburg) zeigte der Polizei in einem anderen Verfahren die „gelbe Karte“ und entschied, dass wegen der in der Vergangenheit mit Duldung der Staatsanwaltschaft geübten Praxis, Blutentnahmen ohne richterlich Anordnung durchzuführen, noch nicht von einem Beweisverwertungsverbot ausgegangen werden könne, bei künftigen Entscheidungen die Blutentnahme ohne richterliche Anordnung allerdings als willkürlich angesehen werde und somit zu einem Beweisverwertungsverbot führe. Die Anordnung der Blutentnahme erfolgte in diesem Fall aber in den Nachmittagsstunden und nicht wie in dem vom AG Cottbus zu entscheidenden Fall zur Nachzeit.

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