OLG Stuttgart – Haftungsverteilung beim Zusammenstoß mit alkoholisiertem Fahrer


Zwei Fahrzeuge kamen sich auf einer Straße entgegen, wobei eines die Mittellinie merklich überschritt. Dessen nicht genug, war der Fahrer dieses Fahrzeuges auch noch erheblich alkoholisiert. Das andere Fahrzeug fuhr hart an der Mittellinie. Es krachte. Blech- und Köperschäden waren zu beklagen. Wer jetzt denkt, dass der betrunkene Fahrer hier die volle Haftung für den Unfall trägt, der irrt.

Der betrunkene Fahrer klagte nämlich und verlangte vom Unfallgener Schmerzensgeld und Schadensersatz. Dabei ging er von einem Mitverschulden des Beklagten in Höhe von 30 % aus. Das Landgericht Tübingen wies die Klage erstinstanzlich ab. Gleichzeitig hat es dem Beklagten Schadenersatzansprüche, die er im Wege der Widerklage gegen den Kläger und dessen Haftpflichtversicherung geltend gemacht hatte, zugesprochen. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein.

Das Oberlandesgericht Stuttgart gab der Berufung des Klägers teilweise statt, machte allerdings auch deutlich, dass der Kläger den Unfall überwiegend verursacht und verschuldet hat. Zum einen habe er mit seinem Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn befunden. Zum anderen war er mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,49 Promille absolut fahruntauglich. Trotzdem dürfe aber das Mitverschulden des Beklagten nicht völlig außer Betracht gelassen werden. Dieser habe gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen, weil er hart an der Mittellinie gefahren sei. Nach der Straßenverkehrsordnung müsse grundsätzlich möglichst weit rechts gefahren werden. Dies gelte erst recht im Falle von Gegenverkehr. Hätte er einen Abstand von einem Meter zum rechten Fahrbahnrand eingehalten, was bei der Fahrbahnbreite möglich gewesen wäre, hätte der Unfall vermieden werden können. Wegen dieses Verkehrsverstoßes musste der Beklagte trotz groben Verschuldens des alkoholisierten Klägers 20 % des Schadens des Klägers zahlen. 80 % seines Schadens musste der Kläger allerdings selbst tragen.

Aus den Gründen:

Unstreitig hat der Kläger den Unfall verschuldet, weil er sein Fahrzeug aufgrund alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit teilweise auf die Gegenfahrbahn gelenkt hat und dadurch den Zusammenstoß verursacht hat (§ 823 BGB). Der Versicherungsnehmer der Beklagten hat den Unfall mitverschuldet (§ 254 BGB).

Der Versicherungsnehmer der Beklagten hat gegen das Rechtsfahrgebot gem. § 2 Abs. 2 StVO verstoßen, weil er unstreitig hart an der Mittellinie gefahren ist. Bei Beachtung des Rechtsfahrgebotes durch den Versicherungsnehmer der Beklagten wäre der Unfall vermieden worden. Gem. § 2 Abs. 2 StVO ist grundsätzlich möglichst weit rechts zu fahren. Dies gilt erst recht im Falle von Gegenverkehr. „Möglichst weit rechts“ ist allerdings kein starrer Begriff. Vielmehr lässt er dem Kraftfahrer einen gewissen Beurteilungsspielraum, solange er sich soweit rechts hält, wie es vernünftig ist. Zu berücksichtigen ist die Örtlichkeit, die Fahrbahnbreite, die Fahrbahnbeschaffenheit, die Fahrzeugart, die Geschwindigkeit und die Sicht sowie etwaige Dunkelheit. Im allgemeinen kann nach rechts ein Sicherheitsabstand von einem Meter eingehalten werden (OLG Frankfurt, RuS 1996, Seite 18).

Die Straße war an der Unfallstelle 6,90 m breit. Für den Versicherungsnehmer der Beklagten verblieb auf seiner Fahrbahn eine Breite von 3,95 m. Da er hart an der Mittellinie gefahren ist und sein Fahrzeug lediglich 1,67 m breit war, war er im Unfallzeitpunkt mehr als zwei Meter vom rechten Fahrbahnrand entfernt. Tatsachen für die Rechtfertigung dieser verkehrswidrigen Fahrweise sind weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Der Sachverständige … ist in seinem im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Gutachten im Strafverfahren unter Berücksichtigung der ebenfalls im Wege des Urkundsbeweises verwertbaren Angaben der Zeugin … zu dem Ergebnis gekommen (…), dass die Missachtung des Rechtsfahrgebotes mitursächlich für den Zusammenstoß war. Hätte der Versicherungsnehmer der Beklagten einen Abstand von einem Meter zum rechten Fahrbahnrand eingehalten, wäre der Unfall vermieden worden. Denn der Kläger hatte die Mittellinie im Zeitpunkt des Unfalles lediglich um 40 cm überschritten.

Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO liegt dagegen nicht vor. Zwar hat (der Beklagte) weder eine Ausweichbewegung noch eine Bremsung ausgeführt. Der Kläger hat jedoch nicht nachgewiesen, dass dies auf einer unzureichenden Reaktion des Versicherungsnehmers der Beklagten beruht. Der Beweis des ersten Anscheins hierfür infolge der fehlenden Ausweichbewegung bzw. Bremsung kommt dem Kläger dabei nicht zugute. (Der Beklagte) hat schlüssig dargelegt, dass angesichts des Unfallablaufs nicht davon ausgegangen werden kann, dass (ihm) nach allgemeiner Lebenserfahrung typischerweise ausreichend Zeit verblieb, auf das Fahrverhalten des Klägers zu reagieren. Der Kläger trägt damit wieder die volle Beweislast für eine unzureichende Reaktion des … Beklagten. Zwar bezieht er sich hierzu auf die Vernehmung der Zeugin … sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Die Zeugin … hat jedoch in ihrer polizeilichen Vernehmung (…), auf die sich der Kläger ausdrücklich bezieht (…) und die im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden kann, im Ergebnis bekundet, dass die beiden Fahrzeuge zu dem Zeitpunkt, zu dem sie die Ausscherbewegung des PKW des Klägers wahrgenommen habe, nur noch 20 m voneinander entfernt gewesen seien. Angesichts dieser Sachlage hat für den … Beklagten unter Berücksichtigung der gefahrenen Geschwindigkeiten von knapp unter 100 km/h (…) bzw. mindestens 100 km/h (…) und unter Berücksichtigung der Reaktionszeit keine Möglichkeit mehr bestanden, zu reagieren. (…)

Eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungsanteile führt zu einer Haftung der Beklagten in Höhe von 20 %. Zwar fällt der Verursachungs- und Verschuldensbeitrag des Klägers ganz erheblich ins Gewicht. Er befand sich mit etwa 40 cm der Breite seines Fahrzeugs auf der Gegenfahrbahn. Dadurch beschwor er ein erhebliches Risiko eines Unfalles herauf. Darüber hinaus hat er den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt. Allein schon die Tatsache, dass ein Fahrzeugführer ohne verkehrsbedingten Grund auf die Gegenfahrbahn gerät, lässt den Schluss zu, dass der Fahrer die ihn treffenden Sorgfaltsanforderungen in einem besonders schweren Maß verletzt hat, so dass sein Verhalten als grob fahrlässig anzusehen ist (OLG Frankfurt aaO). Zudem ist erschwerend zu berücksichtigen, dass der Versicherungsnehmer der Beklagten sein Fahrzeug im Zustand alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit lenkte. Die Blutalkoholkonzentration betrug bei Fahrtantritt 1,49 ‰. Wer sich aber in diesem Zustand an das Steuer seines Fahrzeugs setzt und dadurch einen Unfall verursacht, handelt grob fahrlässig. Sein Verschulden ist als besonders schwerwiegend einzustufen.

Trotz dieser besonders schwerwiegenden Verstöße des Klägers ist es aber nicht gerechtfertigt, bei der Abwägung das Verschulden des … Beklagten völlig außer Betracht zu lassen. Sein Verursachungsbeitrag kann nicht als völlig unbedeutend angesehen werden. Immerhin ist er hart an der Mittellinie gefahren. Allerdings ist eine Quote von 70 : 30 nicht gerechtfertigt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Betriebsgefahr desjenigen, der ohne einen Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO auf seiner Fahrbahnhälfte fährt, bei grob fahrlässigem Verhalten des Unfallgegners außer Betracht zu lassen ist. Denn ihm kann im Rahmen einer Abwägung nur nach Maßgabe eines Idealfahrers ein Verursachungsbeitrag angelastet werden. Wäre mithin dem … Beklagten ein Verstoß gegen § 2 Abs. 2 StVO nicht vorzuwerfen, müsste der Kläger allein für seinen Schaden aufkommen. Angesichts dieser Rechtslage kann eine geringfügige Erhöhung der Betriebsgefahr des Fahrzeugs des … Beklagten nicht dazu führen, dem Beklagten 30 % seines Schadens aufzuerlegen. Eine Schadensteilung im Verhältnis 80 : 20 erscheint daher angemessen (OLG Frankfurt aaO).

OLG Stuttgart Urteil vom 26.10.2006, AZ: 13 U 74/06 (Volltext)

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