Wer einen Rechtsstreit führen muss, diesen aber nicht finanzieren kann, hat bei entsprechenden Erfolgsaussichten das Recht, Prozesskostenhilfe zu beantragen. Gemäß § 115 Abs. 1 ZPO ist grundsätzlich zunächst das gesamte Einkommen einsetzen, bevor Prozesskostenhilfe bewilligt werden darf. Gleiches gilt nach § 115 Abs. 2 ZPO hinsichtlich vorhandenen Vermögens, sofern dies zumutbar ist.
Die Antragsstellerin in einem Familienrechtsstreit hatte aus einem erlittenen Verkehrsunfall eine Schmerzensgeldzahlung erhalten. Bei Stellung des Antrages auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe waren insoweit noch 34.000 € in Gestalt von Wertpapieren vorhanden. An laufenden Einkünften erzielte die Antragsstellerin allein Zinseinkünfte von monatlich rund 600 €. Das Amtsgericht lehnte den Prozesskostenhilfeantrag mangels Bedürftigkeit unter Hinweis auf das vorhandene Wertpapiervermögen ab. Die sofortige Beschwerde der Antragsstellerin hatte insoweit Erfolg, als das Oberlandesgericht Stuttgart die Entscheidung des Amtsgerichts aufhob und das Verfahren wegen der bislang nicht erfolgten Prüfung der Erfolgsaussichten an das Amtsgericht zurückverwies.
Das OLG Stuttgart hat den Einsatz des Wertpapiervermögens als unzumutbar gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO erachtet, weil das Wertpapiervermögen aus der Schmerzensgeldzahlung stamme. Beim Schmerzensgeld stehe die schadensausgleichende Funktion im Vordergrund. Der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes entspreche es, das Leben des Geschädigten in gewissem Umfang zu erleichtern. Dies sei nur gewährleistet, wenn das Opfer das Schmerzensgeld zur eigenen freien Verfügung behalte.
Aus den Gründen:
Die Antragstellerin ist nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage, die Prozesskosten zu bestreiten. (…) Ihr Wertpapiervermögen in der Größenordnung von 34.000,00 Euro hat (…) außer Betracht zu bleiben. Dessen Verwertung scheitert an den in § 90 Abs. 3 SGB XII genannten Härtegründen, auf welche in § 115 Abs. 3 S. 2 ZPO verwiesen ist. Denn nach § 115 Abs. 3 ZPO hat die antragsstellende Prozesspartei ihr Vermögen nur zu einzusetzen, soweit dies zumutbar ist (§ 115 Abs. 3 ZPO). Dies ist vorliegend zu verneinen, weil das Wertpapiervermögen aus einer im Jahr 2004 zugeflossenen Schmerzensgeldzahlung stammt. Die Antragsstellerin hatte bei einem Verkehrsunfall erhebliche Verletzungen erlitten.
Zur vorausgegangenen inhaltsgleichen Regelung in § 88 Abs. 3 BSHG hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Einsatz von Schmerzensgeld als Vermögen für den Hilfesuchenden grundsätzlich eine Härte im Sinn von § 88 Abs. 3 BSHG bedeute (BverwG, FamRZ 1995, 1348; BverwG, FEVS 57, 212). Danach sei das Schmerzensgeld in seiner ganzen noch vorhandenen Höhe geschützt und nicht nur mit einem bestimmten festen oder prozentualen Anteil. Die Höhe des Schmerzensgeldes hänge nämlich allein von der Schwere der Schädigung und dem Gewicht des erlittenen Unrechts ab, weshalb es nicht gerechtfertigt sei, die freie Verfügbarkeit des zu deren Ausgleich und Genugtuung erhaltenen Schmerzensgeldes in Teilen einzuschränken.
Diese Wertung hat der Bundesgerichthof für das Prozesskostenhilfeprüfverfahren im Rahmen des § 90 Abs. 3 SGB XII übernommen (BGH, FamRZ 2006, 548) und ausgeführt, dass beim Schmerzensgeld vor allem die schadensausgleichende Funktion und opferbezogene Merkmale wie Umfang und Dauer der Schmerzen, Entstellungen, Leiden und Eingriffe in das Leben des Opfers im Vordergrund stünden und dass es der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes entspreche, das Leben des Geschädigten in gewissem Umfang zu erleichtern. Dies sei hingegen nur gewährleistet, wenn das Opfer das Schmerzensgeld zur eigenen freien Verfügung behalte und nicht für Prozesskosten oder seinen notwendigen Lebensunterhalt aufwenden müsse.
OLG Stuttgart Senat für Familiensachen, Beschluss vom 18.06.2007 – 18 WF 112/07
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Praxisrelevanz:
Der Einsatz von Schmerzensgeld als Vermögen stellt regelmäßig eine Härte gemäß § 115 Abs. 3 Satz 2 ZPO, § 90 Abs. 3 SGB XII dar (Fischer in: Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 115 Rn. 48 m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn wie im vorliegenden Fall das Schmerzensgeld dem Ausgleich erlittener Körperverletzungen dient. Wird eine Geldentschädigung dagegen zum Ausgleich einer Persönlichkeitsverletzung gezahlt, ist eine Einzelfallbetrachtung geboten, da der vorrangige Zweck der Geldentschädigung in einer Genugtuung des Verletzten für die Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre besteht und weiteren Rechtsverletzungen vorbeugen soll (BGH, Beschl. v. 10.01.2006 – VI ZB 26/05 – FamRZ 2006, 548, 549). Auch Schmerzensgeldrenten stellen kein einzusetzendes Einkommen i.S.d. § 115 Abs. 1 ZPO dar (Fischer in: Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 115 Rn. 6).
Bei länger zurückliegenden Schmerzensgeldzahlungen, die nicht verbraucht, sondern angespart werden, könnte ein Einsatz allerdings zumutbar sein (vgl. auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30.12.1997 – 2 WF 139/97 – FamRZ 1998, 758; NJW-RR 1998, 1616). Auch in dem durch das OLG Stuttgart entschiedenen Fall hatte die Antragstellerin das Schmerzensgeld angespart und in Wertpapieren angelegt. Die Antragstellerin deckte aber jedenfalls teilweise ihren Lebensbedarf aus den Zinseinkünften. Eine solche Art der Vermögensverwertung ist von der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes umfasst, ein Einsatz zu Prozesskostenhilfezwecken scheidet aus.