BGH: vorprozessuale Nebenforderung wird bei Erledigung der Hauptsache zum Hauptanspruch und wirkt streitwerterhöhend


Nach einem Verkehrsunfall verlangte die Geschädigte von der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung Schadenersatz in Höhe von 3.176,65 Euro sowie außergerichtliche Anwaltskosten. Eine Zahlung der Versicherung in Höhe von 2.700,16 Euro ging nach Einreichung, aber vor Zustellung einer Klageschrift bei der Geschädigten ein. Die Geschädigte und auch die Versicherung erklärten den Rechtsstreit daher für erledigt und stritten sich nur noch um den Restbetrag in Höhe von 476,49 Euro nebst Zinsen sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 186,82 Euro.

Das Amtsgericht Chemnitz wies die weitergehende Klage ab. Die von der Klägerin zum Landgericht Chemnitz eingelegte Berufung wurde dort als unzulässig verworfen, weil die erforderliche Berufungssumme von 600 Euro nicht erreicht sei. Die außergerichtlichen Anwaltskosten seien Nebenforderungen und daher nicht zu berücksichtigen.

Die von der Klägerin daraufhin beim Bundesgerichtshof eingelegte Rechtsbeschwerde hatte Erfolg, das Landgericht Chemnitz muss nun über die Berufung der Klägerin entscheiden, da die Berufungssumme erreicht ist.

Vor einem gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung eines Hauptanspruchs aufgewendete Kosten wirken nicht werterhöhend. Wird neben dem Hauptanspruch im Rechtstreit auch die Erstattung vorgerichtlicher Kosten verlangt, ist dieser Anspruch von dem Bestehen des Hauptanspruchs abhängig und stellt deshalb eine Nebenforderung im Sinne von § 4 Abs. 1 ZPO dar. Wer also seinen Hauptanspruch vor Gericht nicht durchsetzen kann, erhält auch keine vorgerichtlichen Kosten erstattet. Dieses – eine Werterhöhung ausschließende – Abhängigkeitsverhältnis besteht, solange die Hauptforderung Gegenstand des Rechtsstreits ist. Daraus folgt, dass die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten ihren Charakter als Nebenforderung verlieren und als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen sind, wenn und soweit der zunächst geltend gemachte Hauptanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.

Aus den Beschlussgründen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Zinsen aus einem nicht oder nicht mehr im Streit stehenden Hauptanspruch Hauptforderungen im Sinne des § 4 Abs. 1 ZPO ohne Rücksicht darauf, ob ein anderer Teil des Hauptanspruchs noch anhängig ist (…). Dies beruht auf der Überlegung, dass nach § 4 ZPO Zinsen, die neben der Hauptforderung geltend gemacht werden, zwar grundsätzlich Nebenforderungen sind und bei der Bemessung des Streitwerts nicht berücksichtigt werden. Sie werden jedoch zur Hauptforderung, wenn der Hauptanspruch nicht oder nicht mehr im Streit steht, so dass also nur noch die Zinsen Gegenstand des Rechtsstreits sind. Wenn oder soweit der Hauptanspruch nicht mehr im Streit ist, fehlt es an einer anhängigen Hauptforderung, die die insoweit geltend gemachten Zinsen zu einer Nebenforderung machen könnten. Die von dem erledigten Teil verlangten Zinsen stehen zur noch geltend gemachten Hauptforderung nicht im Abhängigkeitsverhältnis (…).
Es besteht kein Anlass, vorprozessuale Rechtsanwaltskosten anders zu behandeln, weil diese wie Zinsen nur so lange in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Hauptforderung stehen, wie diese ganz oder teilweise Gegenstand des Rechtsstreits ist. Sobald und soweit die Hauptforderung nicht mehr Prozessgegenstand ist, etwa weil (…) eine auf die Hauptforderung oder einen Teil der Hauptforderung beschränkte Erledigung erklärt worden ist, wird die Nebenforderung zur Hauptforderung, weil sie sich von der sie bedingenden Forderung „emanzipiert“ hat und es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (…). Insoweit besteht hier eine andere Sachlage als bei anteiligen Kosten des laufenden Prozesses, die nach ständiger Rechtsprechung nach übereinstimmender Teilerledigungserklärung den Streitwert und den Wert der Beschwer nicht erhöhen, so lange noch ein Teil der Hauptsache im Streit ist. Dann folgt aus dem Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung, dass im Rahmen der Entscheidung über den noch streitigen Teil des Rechtsstreits von Amts wegen auch über die für den erledigten Teil anfallenden Kosten mit entschieden wird (…). Dies ist bei dem Anspruch auf vorprozessuale Rechtsanwaltskosten nicht der Fall.

BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – VI ZB 73/06
Vorinstanzen: AG Chemnitz, Entscheidung vom 13.06.2006 – 21 C 4224/05 – LG Chemnitz, Entscheidung vom 06.09.2006 – 6 S 258/06 –

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