LG Freiburg – Strafbarkeit wegen Trunkenheit im Straßenverkehr auch bei 0,00 Promille möglich


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Wer betrunken oder sonst berauscht am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl er durch den Genuss von Alkohol oder Drogen nicht mehr in der Lage ist, sein Fahrzeug sicher zu führen, macht sich wegen Trunkenheit im Straßenverkehr strafbar und verliert seine Fahrerlaubnis. Dies dürfte gemeinhin bekannt sein. Weniger bekannt sein dürfte hingegen, dass auch die Einnahme von legalen Medikamenten im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr die Fahrerlaubnis kosten kann.

Ohne eine Ausfallerscheinung (Fahrfehler) liegt beim Nachweis von Alkohol ab 0,5-Prom. bzw. berauschenden Substanzen im Blut nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs.2 StVG vor. Kommt aber eine Ausfallerscheinung hinzu greift die Strafvorschrift des § 316 StGB (Trunkenheit im Verkehr) – bei Alkohol bereits ab 0,3-Prom., bei berauschenden Substanzen, unabhängig davon ob die Substanzen legal oder illegal waren. Daher kann auch die Einnahme von legalen Medikamenten im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr die Fahrerlaubnis kosten, wenn eine entsprechende Ausfallerscheinung auftritt. Eine entsprechende Entscheidung traf das Landgerichtes Freiburg mit Urteil vom 02.08.2006 (Az: 7 Ns 550 Js 179/05 – AK 38/06).

Im entschiedenen Fall ging es um eine Promoterin, die um die Weihnachtszeit herum beruflich stark eingespannt, durch eine Erkältung und eine Darmgrippe gesundheitlich angeschlagen, um wach zu bleiben täglich rund 1 ½ Liter Kaffee und 2 Liter Cola light trank. Gleichzeitig nahm sie ein Vielfaches der therapeutisch empfohlenen Dosis des Appetitzüglers „Antiadipositum X 112 T“ ein. Dieses Medikament, kannte die seit einigen Jahren und hatte es früher über einen gewissen Zeitraum eingenommen, um dadurch ihr Gewicht zu reduzieren. Damals hatte sie die Erfahrung gemacht, dass der in diesem Medikament enthaltene Wirkstoff Norpseudoephedrin bei hoher Dosis eine aufputschende Wirkung entfaltete. Aus dem Beipackzettel wusste sie zudem, dass sich die Wirkung des Inhaltsstoffes des Medikaments durch die Kombination mit Koffein verstärkt und die Fähigkeit zur Teilnahme im Straßenverkehr beeinträchtigt.

Obwohl der Promoterin bewusst war, dass sie neben einer erheblichen Überdosis des Appetitzüglers auch Koffein in größerer Menge zu sich genommen hatte, fuhr sie mit ihrem Pkw über die Autobahn nach Hause. Bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h, fuhr sie, mit einer deutlich langsameren Geschwindigkeit von höchstens 50-60 km/h. Während der Weiterfahrt schwankte sie mit ihrem Fahrzeug innerhalb ihres Fahrstreifens von rechts nach links, machte ständig Lenk- und Gegenlenkbewegungen und bremste in kurzen Abständen immer wieder abrupt grundlos ab, so dass diese ungewöhnliche Fahrweise den nachfolgenden Autofahrern auffiel. Einer der Nachfahrenden verständigte die Polizei, welche die Promoterin anhielt. Während der Kontrolle durch die Beamten war die Promoterin nervös und unruhig, zitterte stark und fiel beim Gehen durch leichte Gleichgewichtsstörungen und einen schleppenden Gang auf. Eine durchgeführte Alkoholkontrolle ergab 0,00 Prom., die anschließende Blutprobe wies jedoch erhebliche Mengen Koffein und Norpseudophedrin nach. Der Führerschein wurde beschlagnahmt.

Durch Urteil des Amtsgerichts Emmendingen wurde die Promoterin wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro verurteilt. Zugleich wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen, der Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von noch 3 Monaten gegen sie verhängt. Gegen dieses Urteil legten sowohl die Promoterin, die sich einen Freispruch erhofft hatte, als auch die Staatsanwaltschaft, die eine höhere Bestrafung erreichen wollte, Berufung ein.

Aus dem erhofften Freispruch wurde trotz einer „überzeugenden“ Verteidigungsstrategie nichts. Das LG Freiburg verwarf die Berufung der angeklagten Promoterin, die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hatte hingegen Erfolg. Die Geldstrafe wurde auf insgesamt 70 Tagessätze zu je 10 Euro erhöht, eine weitere Sperrfrist von 3 Monaten bis zur Beantragung der Neuerteilung der Fahrerlaubnis angeordnet.

Aus den Gründen:

Nach Auffassung des Gerichts hat sich die Angeklagte gem. S 316 Abs. 1 StGB einer vorsätzlichen Trunkenheit im Verkehr schuldig gemacht: Wer unter Missachtung der im Beipackzettel enthaltenen Warnhinweise hoch dosiert ein Medikament zur Gewichtsabnahme einnehme und zeitgleich große Mengen koffeinhaltiger Getränke wie Kaffee und/oder Cola konsumiere, mache sich wegen Trunkenheit im Verkehr strafbar, wenn er trotz Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit durch das Eintreten der beschriebenen Nebenwirkungen wie Konzentrationsstörungen und Veränderung des Reaktionsvermögens als Führer eines Kraftfahrzeugs am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme.

Gem. §§ 69, 69a StGB war der Angeklagten als Nebenfolge die Fahrerlaubnis zu entziehen, ihr Führerschein einzuziehen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis festzusetzen, da ein Regelfall i.S.d. §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 316 StGB vorliege. Auch wenn die Tat schon längere Zeit zurückliege und die Angeklagte seither auf ihre Fahrerlaubnis habe verzichten müssen, sei das Gericht aufgrund einer Gesamtwürdigung der Tatumstände, die auf eine erhebliche Charakterschwäche der Angeklagten hindeuteten, und der Persönlichkeit der Angeklagten im Zeitpunkt der Urteilsfindung davon überzeugt, dass diese noch immer charakterlich ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen sei.

Der Arzneistoff Norpseudoephedrin ist identisch mit Cathin, dem natürlichen Inhaltsstoff der Khat-Pflanze (vgl. dazu BGH, Urteil vom 28.10.2004, Az: 4 StR 59/04 – HRRS-Nummer: HRRS 2005 Nr. 52, NJW 2005, 163 = NStZ 2005, 229; 452 mit Anm. Weber). Dieser Stoff hemmt das Hungergefühl, senkt das Schlafbedürfnis und wirkt aufputschend und stimulierend. Die Gefahr der Einnahme liegt darin, dass bereits nach kurzer Zeit eine Gewöhnung des Körpers eintritt und die Wirkung des Medikaments nachlässt, was rasch zu einer Steigerung der Dosis führt. Wegen dieser Gefahr einer Suchterzeugung darf Norpseudoephedrin nur für eine kurze Zeit genommen werden – maximal 4-6 Wochen. Bei hohen Dosen über einen längeren Zeitraum treten Entzugserscheinungen auf, wenn das Medikament abrupt abgesetzt wird. Im Übrigen führen hohe Dosen von Norpseudoephedrin häufig zu Wahrnehmungsstörungen, Verwirrtheitszuständen, Euphorie, Halluzinationen, aber auch zu Depressionen und Albträumen. Auch wenn dieses Medikament als Abmagerungsmittel eingesetzt wird, ist es als Psychopharmakon zu bezeichnen, da die erwünschte Unterdrückung des Hungergefühls über zentralnervöse Mechanismen gesteuert wird. In Verbindung mit hoher Dosierung von Koffein wird Norpseudoephedrin seit längerem missbräuchlich als Aufputschmittel benutzt. Wegen seiner psychoaktiven Wirkungen und des hohen Suchtpotentials ist Norpseudoephedrin als berauschendes Mittel im Sinne des § 316 StGB anzusehen.

LG Freiburg i. Br., Urteil vom 02.08.2006, Az: 7 Ns 550 Js 179/05 – AK 38/06, veröffentlicht in Straßenverkehrsrecht 2006, 473 f.

Praxisrelevanz:
In der Praxis kommt der Fallgruppe der ,,anderen berauschenden Mittel“ gem. § 316 Abs. 1 Alt. 2 SIGB, eine immer größer werdende Bedeutung zu. Berauschende Mittel im Sinne der Strafvorschrift sind Stoffe, die das Hemmungsvermögen sowie die intellektuellen und motorischen Fähigkeiten beeinträchtigen und damit in ihren Wirkungen mit denen des Alkohols vergleichbar sind. Neben den die in den Anlagen I, II und III zu § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) sowie der Anlage zu § 24a Straßenverkehrsgesetz (StVG) aufgeführten illegalen Drogen, können auch (legale) Medikamente dem Anwendungsbereich des § 316 StGB unterfallen, wenn das Medikament einen oder mehrere Inhaltstoffe enthält, die als ,,andere berauschende Mittel“ anzusehen sind. Unter diesem Gesichtspunkt sind u.a. die Medikamente

  • Mandrax (Schlafmittel) (OLG Düsseldorf, VerkMitt 1978, 54)
  • Phanodorm (KG, VRS 19, 111)
  • Captagon (LG Köln, BA 1981, 472)
  • Normoclexotanil (bromacepamhaltige Mittel) (OLG Celle v. 02.12.1985 – 1 Ss 487/85, VerkMitt 1986, 29; BayObLG v. 24.04.1990 – RReg 1 St 371/89, NZV 1990, 317)
  • Dolviran (OLG Koblenz v. 29.05.1980 – 1 Ss 186/80, VRS 59, 199.= BA 1980, 457 = VRS 1980, 199)
  • Lexotanil (OLG Celle VerkMitt 1986, 36; BayObLG, NJW 1990, 2334 = NZV 1990, 317 = BA 1990, 443 = VRS 1990, 116)
  • Valium (OLG Köln BA 1977, 124; OLG Frankfurt BA 1979, 407; OLG Hamm, Urt. v. 22.4.1983 – 1 Ss3 01/83 [juris])
  • Vanodorm (KG VRS 11, 119)
  • Eusedon (AG Köln BA 1981, 26)

von der Rechtsprechung als ,,berauschend“ eingestuft worden.

Da eine absolute Fahruntüchtigkeit bei Drogen- und Medikamenteneinnahme mangels eines Grenzwertes (wie bei Alkohol ab einer Blutalkoholkonzentration von 1,1 Prom.) nach derzeitigem wissenschaftlichen Stand nicht definierbar ist, muss im Rahmen der Strafbarkeitsprüfung die Fahrungeeignetheit nach den Regeln der so genannten relativen Fahruntüchtigkeit festgestellt werden. Es ist demnach eine Ausfallerscheinung (Fahrfehler) erforderlich, die auf Drogen- und Medikamenteneinnahme zurückzuführen ist.

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