Bundesarbeitsgericht – Der Wegfall der Sozialversicherungsfreiheit eines Arbeitnehmers stellt für den Arbeitgeber keinen Kündigungsgrund dar


(c) adel / Pixelio

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Studenten unterliegen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, nicht der Sozialversicherungspflicht. Studentische Aushilfskräfte sind daher auch bei den Arbeitgebern sehr beliebt, schließlich ersparen sich diese den Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung. Das Bundsarbeitsgericht entschied mit Urteil vom 18. Januar 2007, Az.: 2 AZR 731/05, dass der Wegfall der Soziaversicherungsfreiheit im Laufe des Arbeitsverhältnisses keinen Grund für eine personenbedingte Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG darstellt.

Was war passiert?

Ein 46-jähriger lediger Student war seit August 1990 bei seinem Arbeitgeber als „studentische Aushilfe“ beschäftigt. Er machte den gängigen Klischees alle Ehre und studierte im Wintersemester 200272003 bereits im 41. Semester. In seinem Arbeitsvertrag von 1991 befand sich u.a. folgende Vertragsklausel:

„Das Arbeitsverhältnis ist befristet und an den Nachweis eines fortwährenden ordentlichen Studiums gebunden. Es endet am 31. März 1992, ohne dass es hierzu einer besonderen Kündigung bedarf.“

Das Arbeitsverhältnis wurde nach Ablauf der Befristung in ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte zeit umgewandelt. Die Parteien nahmen Ergänzungen/Änderungen des Arbeitsvertrages vor und vereinbarten nunmehr:

„Das Arbeitsverhältnis bleibt unter Beachtung der Sozialversicherungsfreiheit an den Nachweis eines ordentlichen Studiums gebunden. Der Vertrag endet mit Ablauf des Monats, in dem die Exmatrikulation erfolgt, ohne dass es hierzu einer Kündigung bedarf.“

Im Frühjahr 2002 hatten sich nun die Spitzenverbände der Sozialversicherer darauf verständigt, um die missbräuchliche Ausnutzung des Studentenstatus zu verhindern, dass eine Sozialversicherungsfreiheit nur bis zu einer Studienzeit von 25. Fachsemestern anzunehmen ist.

Der Arbeitgeber des Studenten wurde in der Folge dieser Absprache von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach einer Betriebsprüfung aufgefordert, rückwirkend ab Januar 1998 Sozialversicherungsbeiträge für den Studenten zu zahlen. Unter Verweis auf die arbeitsvertraglichen Regelungen (Nachweis eines ordentlichen Studiums) ging der Arbeitgeber davon aus, dass der Student kein „ordentlicher“ Student mehr sei und kündigte das Arbeitsverhältnis aus personenbedingten Gründen. Gegen diese Kündigung zog der Student zu Erhaltung seines Arbeitsplatzes vor Gericht. Sein Arbeitgeber wandte nun ein, es fehle bei dem Studenten an einer nach dem Arbeitsvertrag vorausgesetzten persönlichen Eigenschaft. Sein Arbeitsverhältnis könne nicht als sozialversicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis fortgesetzt werden. Das vertraglich ausgehandelte Gleichgewicht von Arbeitsleistung und Vergütung sei gestört. Die vertraglich vereinbarte Gegenleistung habe sich durch den Verlust des Studentenstatus erheblich verteuert.

Der Student obsiegte in den ersten Instanzen, sein Arbeitgeber wollte jedoch eine Grundsatzentscheidung herbeiführen, so dass es zum Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht kam. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte allerdings die Vorentscheidungen und hielt die Kündigung für unwirksam:

Aus den Gründen:

„… Kündigungsgründe in der Person des Arbeitnehmers sind solche, die auf persönlichen Eigenschaften und Fähigkeiten des Arbeitnehmers beruhen. Mit der Befugnis zur personenbedingten Kündigung soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit eröffnet werden, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Eignung oder Fähigkeit nicht (mehr) besitzt, um zukünftig die geschuldete Arbeitsleistung – ganz oder teilweise – zu erbringen (BAG 20. Mai 1988 – 2 AZR 682/ 87 – BAGE 59, 32; 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/ 89 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 25 = EzA KSchG § 1 Personenbedingte Kündigung Nr. 5; Stahlhacke/ Preis/ Vossen-Preis Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 9. Aufl. Rn. 1189; KR-Etzel 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 266; v. Hoyningen-Huene/ Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 176; ErfK/ Ascheid/ Oetker 7. Aufl. § 1 KSchG Rn. 117). Eine personenbedingte Kündigung setzt hiernach eine Nicht- oder Schlechterfüllung der geschuldeten Arbeitsleistung voraus (ErfK/ Ascheid/ Oetker § 1 KSchG Rn. 175).

Unter Berücksichtigung dieses Maßstabs ist ein personenbedingter Kündigungsgrund nicht gegeben.

a) Der Kläger ist nach wie vor in der Lage, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung im Bereich der Bodendienste zu erbringen. Ihm fehlt hierzu weder die erforderliche Eignung noch die entsprechende Fähigkeit. Seine auszuübende Tätigkeit verstößt auch nicht gegen Gesetze. Ferner hat die Beklagte weder eine Nicht- oder Schlechtleistung geltend gemacht noch ist eine solche erkennbar. Die Beklagte erhält nach wie vorher tatsächlich die Arbeitsleistung, die der Kläger nach dem Arbeitsvertrag schuldet.

b) Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass der Kläger nicht mehr „ordentlicher Student“ ist. Diese Eigenschaft stellt jedenfalls für die geschuldete Arbeitsleistung als ein Mitarbeiter des Bodendienstes kein notwendiges Eignungsmerkmal dar.

c.) Etwas anderes folgt auch nicht aus der Tatsache, dass die Arbeitsvertragsparteien bei ihrem Vertragsschluss von der Studenteneigenschaft des Klägers ausgegangen sind und diese ihren Vertragsbeziehungen zugrunde gelegt haben. Damit haben sie keine für die vereinbarte Arbeitsleistung notwendige und sachlich gerechtfertigte Anforderung (zum Anforderungsprofil: vgl. BAG 24. Juni 2004 – 2 AZR 326/ 03 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 76 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 132) definiert, sondern lediglich die sozialversicherungsrechtlichen Folgebedingungen (Sozialversicherungsfreiheit von Studenten) festgestellt. Einen kündigungsrelevanten Zweck hatte diese vertragliche Festlegung nicht. Es kann weiter dahinstehen, ob die Vereinbarung eines befristeten bzw. bedingten Studentenarbeitsverhältnisses auch im Interesse des Arbeitgebers erfolgen kann, weil er etwa ein berechtigtes Interesse daran haben kann, für bestimmte einfache Tätigkeiten – wie im Gepäckdienst – nicht langfristig eine Vielzahl nach einem Studium überqualifizierte und unzufriedene Mitarbeiter einsetzen zu müssen (vgl. auch BAG 10. August 1994 – 7 AZR 695/ 93 – AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 162 = EzA BGB § 620 Nr. 126; 29. Oktober 1998 – 7 AZR 561/ 97 – BAGE 90, 103). Dieser Aspekt rechtfertigt eine personenbedingte Kündigung im vorliegenden Fall jedenfalls nicht. Es steht schon nicht fest, dass eine solche Überqualifikation überhaupt vorliegt, zumal der Kläger nach wie vor Student an einer Hochschule ist und nach den eigenen Angaben der Beklagten noch keinen Abschluss besitzen soll. Im Übrigen ist der Betriebsrat zu diesem Aspekt der Kündigung nicht angehört worden.
(…)

Selbst wenn auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien die Studenteneigenschaft als eine wesentliche Arbeitsbedingung anzuerkennen und bei deren Wegfall der Beklagten ein Festhalten am unveränderten Arbeitsvertrag unzumutbar wäre, weil nunmehr das Austauschverhältnis von Arbeitsleistung und Vergütung durch die zusätzlich zu leistenden Sozialversicherungsbeiträge sich erheblich verändert würde, wäre eine ordentliche Beendigungskündigung gleichwohl nicht sozial gerechtfertigt. Eine der Störung der Geschäftsgrundlage vergleichbare Situation kann grundsätzlich nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern allenfalls zu einer Vertragsanpassung an die geänderten Umstände führen. Dementsprechend hätte die Beklagte allenfalls eine Änderungs-, nicht jedoch eine Beendigungskündigung aussprechen können (vgl. auch § 313 Abs. 3 BGB; siehe im Einzelnen BAG 16. Mai 2002 – 2 AZR 292/ 01 – EzA KSchG § 2 Nr. 46; APS/ Künzl 2. Aufl. § 2 KSchG Rn. 69). Diese ist von der Beklagten jedoch nicht erklärt worden. Es bedarf deshalb keiner Erörterung, ob die Voraussetzungen für eine Änderungskündigung im vorliegenden Fall erfüllt wären.“

BAG, Urteil vom 18. Januar 2007, Az.: 2 AZR 731/05
Vorinstanz: Hessisches LAG, Urteil vom 15. April 2005, Az: 17/6 Sa 907/04
siehe auch Pressemitteilung des BAG Nr. 1/07

Demnach können die Vorteile einer studentischen Aushilfskraft für den Arbeitgeber ab dem 26. Fachsemester (Eintritt der Sozialversicherungspflicht) in Nachteile umwandeln, ohne dass er mit einer Beendigungskündigung reagieren kann. Ob nun eine Änderungskündigungskündigung (Angebot eines neuen Arbeitsvertrages zur Anpassung des Arbeitsvertrages an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse) zulässig und wirksam wäre, hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offen gelassen. Es darf also weiterer Entscheidungen, um diese Fallgestaltung abschließend zu entscheiden.

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