Gleich zwei Verurteilungen des LG Frankfurt (Oder) hat der 5. Strafsenat am Bundesgerichtshof aufgehoben und die Sachen zur erneuten Entscheidung an andere Kammern des Ausgangsgerichts zurückverwiesen. Diese sollen nun prüfen, ob Maßregeln der Besserung und Sicherung angeordnet und die Angeklagten nach § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt untergebracht werden müssen. Zwar darf ein Urteil in der Rechtsfolgen nicht zum Nachteil geändert werden, wenn – wie hier – lediglich der Angeklagte Revision eingelegt hat. Dem steht eine Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt allerdings nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Eine Maßregel wird aufgrund einer negativen Gefährlichkeitsprognose angeordnet. Dies bedeutet, dass der Täter als wahrscheinlich gefährlich einzustufen ist. Als freiheitsentziehende Maßregeln sind im Strafgesetzbuch (StGB) genannt:
Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB)
Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB)
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB)
Maßregeln dürfen nur angeordnet werden, wenn dies verhältnismäßig ist, d. h. die vom Täter ausgehende Gefahr darf nicht nur gering sein. Mehrere Maßregeln können auch nebeneinander angeordnet werden.
Im Maßregelvollzug werden nach § 63 und nach § 64 StGB psychisch kranke oder suchtkranke Straftäter untergebracht. Der Maßregelvollzug wird nach den Maßregelvollzugsbestimmungen der Bundesländer geregelt. In Berlin ist dies das Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) vom 08.03.1985 (GVBl.586). Ein Überblick zu den Maßregelvollzugsgesetzen der Bundesländer findet sich unter www.forensik.de.
Den zwei Entscheidungen des BGH lagen folgende Sachverhalte zu Grunde:
BGH, Beschluss vom 17.07.2007, Az: 5 StR 219/07
Das sachverständig beratene Landgericht hat den Angeklagten für uneingeschränkt schuldfähig erachtet, wobei es maßgeblich auf die alkoholische Beeinflussung und in diesem Zusammenhang auf sein Leistungsverhalten abgestellt hat. Das psychopathologische Verhalten des Angeklagten an diesem Abend gebe keinen Anlass für die Annahme eines Vollrauschs, aber auch keinen Anlass für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Bei dem Angeklagten liege darüber hinaus keine Persönlichkeitsstörung vor. Er verfüge jedoch über eine akzentuierte Persönlichkeitsstruktur. Er sei leicht reizbar und erregbar, was durch Alkohol verstärkt werde.
Diese Erwägungen greifen nach Auffassung des BGH zu kurz. Sie lassen die Erörterung der sich hier aufdrängenden Frage vermissen, welche Bedeutung dem Deliktstypus der Brandstiftung für eine etwaige Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten zukommt (…).Immerhin hat der mehrfach (…) vorbestrafte Angeklagte vor der hier in Frage stehenden Tat bereits dreimal (…) Feuer gelegt, wobei er jeweils stark alkoholisiert (3,64; 3,66; 4,39 Promille) und/oder zornig war. So hat die Strafkammer auch festgestellt, dass der Angeklagte, wenn er wütend wird, „zum Zündeln neigt“ (…).Angesichts dieser nach erheblichem Alkoholgenuss immer wieder auftretenden aggressiven Ausbrüche des Angeklagten, überwiegend verknüpft mit seiner Vorliebe für Feuer, liegt eine erhebliche Persönlichkeitsstörung in Form einer anderen schweren seelischen Abartigkeit durchaus nahe. (…) Aus diesen Gründen hätte die Affinität des Angeklagten zum Feuer bei der Prüfung seiner Schuldfähigkeit mitbedacht und erörtert werden müssen. (…) Aufgrund der getroffenen Feststellungen, insbesondere auch zum Nachtatverhalten des Angeklagten, schließt der Senat aber aus, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat. Der Senat schließt auch aus, dass das etwaige Vorliegen einer erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit die subjektiven Voraussetzungen der vom Landgericht angenommenen Mordmerkmale in Frage stellen würde. (…)
Neben der lückenhaften Erörterung der Frage der Schuldfähigkeit begegnet es darüber hinaus durchgreifenden Bedenken, dass die Strafkammer die Voraussetzungen des § 64 StGB ohne nähere Prüfung abgelehnt hat, weil der Angeklagte keinen Hang habe, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen. (…) Dies ergibt sich auch eindeutig aus den Urteilsfeststellungen, wonach der Angeklagte im alkoholisierten Zustand dazu neigt, bei bestimmten ihn frustrierenden Anlässen Feuer zu legen oder gegenüber Personen gewalttätig zu werden bzw. – wie hier – sogar ein Haus anzuzünden. Auch die bei früheren Straftaten festgestellten sehr hohen Blutalkoholwerte sprechen für das Vorliegen eines Hanges. Deshalb bedarf die Frage der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erneuter Prüfung. An der Verhängung einer solchen Maßregel wäre der neue Tatrichter nicht gehindert, obgleich nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Bei sicherer Feststellung einer schweren seelischen Abartigkeit wäre das neue Tatgericht auch an der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB nicht gehindert.
BGH, Beschluss vom 18.07.2007, Az: 5 StR 279/07
Ein sachlichrechtlicher Mangel liegt (…) darin, dass das Landgericht nicht erkennbar geprüft hat, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen war. Nach den Feststellungen drängte sich eine solche Prüfung auf. Danach betrieb der Angeklagte schweren Alkoholmissbrauch. (…) Unter dessen Wirkung wurde er aggressiv, wütend und aufbrausend. (…) Der Angeklagte erstach S. im alkoholbedingt schuldunfähigen Zustand (4,09 Promille).
Angesichts dieser Feststellungen liegt es nahe, dass der Angeklagte den in § 64 Abs. 1 StGB beschriebenen Hang aufweist. Zwar hat das Landgericht ein Abhängigkeitssyndrom ohne weitere Erörterung unter Berufung auf den Sachverständigen abgelehnt, dieses ist aber auch nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme eines Hangs (BGHR StGB § 64 Hang 2 und § 64 Abs. 1 Hang 5). Denn hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ohne dass diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss (BGH, Beschluss vom 18. August 1998 – 5 StR 363/98). Dass eine solche Neigung – wie sie bei dem festgestellten Alkoholmissbrauch des Angeklagten außerordentlich naheliegt – zur Anordnung der Maßregel des § 64 StGB ausreichen kann, hat das Landgericht nicht ersichtlich bedacht. Auch ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. BVerfGE 91, 1, 28 ff.) oder andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht vorliegen. Angesichts des Gewichts der Anlasstat gilt dies trotz der bisherigen Unbestraftheit des Angeklagten auch für die Gefährlichkeitsprognose (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2 und 7; BGH, Beschluss vom 14. März 2007 – 5 StR 535/06).
Der Senat kann ausschließen, dass die Freiheitsstrafe, deren Bemessung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufweist, bei Anordnung einer Maßregel noch milder hätte ausfallen können, weswegen der neue Tatrichter unter Hinzuziehung eines Sachverständigen nur noch die Maßregelfrage zu prüfen haben wird.