OVG Lüneburg – hoher THC-COOH-Wert belegt nicht automatisch gelegentlichen Cannabiskonsum im Sinne der FeV


(c) manwalk / Pixelio

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Eine bei einem Autofahrer entnommene Blutprobe hatte den Nachweis von 21,1 ng/ml THC und 88,6 ng/ml THC-Carbonsäure im Serum erbracht. Damit stand fest, dass er ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss von Cannabis geführt hatte. Dem Autofahrer wurde daraufhin von der Verwaltungsbehörde die Fahrerlaubnis entzogen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass ein Fahreignungsmangel im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11 bis 14 FeV vorliege. Der Autofahrer sei gelegentlicher Konsument von Cannabis und könne zwischen dem Konsum von Cannabis und der Teilnahme am Straßenverkehr nicht trennen.

Die Verwaltungsbehörde ordnete die sofortige Vollziehung an. D.h., ein gegen den Entziehungsbescheid eingelegter Widerspruch hatte keine „aufschiebende Wirkung“. Diese kann auf Antrag vom Verwaltungsgericht angeordnet werden.

Das VG Oldenburg gab einem solchen Antrag des Autofahrers statt, da die Entziehung der Fahrerlaubnis nach den bisherigen Feststellungen nicht gerechtfertigt sei. Bislang stehe nämlich noch nicht zweifelsfrei fest, dass der Antragsteller gelegentlicher Konsument von Cannabis sei. Einen mehrmaligen Konsum habe er nicht eingeräumt. Seine Einlassung, er habe nur wenige Stunden, bevor er von der Polizei angehalten worden sei, erstmals und einmalig Cannabis konsumiert, lasse sich nicht zweifelsfrei widerlegen. Allein aus einem THC-COOH-Wert von 88,6 ng/ml im Blut könne nicht mit Sicherheit auf einen mehrmaligen Konsum geschlossen werden. Eine derartige Schlussfolgerung sei aus wissenschaftlicher Sicht jedenfalls dann nicht möglich, wenn das Betäubungsmittel nur wenige Stunden vor der Blutentnahme konsumiert worden sei.

Die Behörde legte gegen die Entscheidung des VG Oldenburg Beschwerde zum OVG Lüneburg ein, allerdings ohne Erfolg.

Aus den Gründen:

Das Verwaltungsgericht hat näher ausgeführt, ein gelegentlicher Cannabiskonsum des Antragstellers könne auf der Grundlage der bisherigen Ermittlungen nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Deshalb stehe auch ein Eignungsmangel im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV nicht zweifelsfrei fest, obwohl der Antragsteller durch den Vorfall (…) bewiesen habe, dass er das Führen von Kraftfahrzeugen nicht vom Cannabiskonsum zu treffen vermöge. Das Verwaltungsgericht hat die Erfolgsaussichten der gegen den angefochtenen Entziehungsbescheid erhobenen Klage unter diesen Umständen als offen angesehen und die aufschiebende Wirkung der Klage aufgrund der danach gebotenen Interessenabwägung wiederhergestellt.

Der Antragsgegner setzt sich mit dieser an den Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung in der Hauptsache orientierten Interessenabwägung nicht hinreichend auseinander. Soweit er zur Gelegentlichkeit des Cannabiskonsums Stellung nimmt, räumt er selbst ein, dass der Begriff in der Rechtsprechung nicht einheitlich ausgelegt wird und insbesondere die vom Oberverwaltungsgericht Hamburg (vgl. Beschl. v. 13.6.2005 – 3 Bs 87/05 -, zfs 2005, 626, und vom 15.12.2005 – 3 Bs 214/05 -, NJW 2006, 1367) vertretene Auffassung, bereits die einmalige Einnahme reiche für eine gelegentliche Einnahme aus, von anderen Obergerichten (vgl. nur BayVGH, Beschl. v. 25.1.2006 – 11 CS 05.1453 -, zfs 2006, 294; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 29.9.2003 – 10 S 1294/03 -, zfs 2004, 43; OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 – 4 B 206/04 -, BA 43, 161; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 9.12.2006 – 1 M 142/06 -, juris) nicht geteilt wird.

Auch der beschließende Senat verlangt für die Annahme eines gelegentlichen Konsums einen mehrmaligen, d. h. zumindest zweimaligen Konsum (st. Rspr., vgl. Beschl. v. 19.2.2008 – 12 ME 4/08 -, vom 26.6.2008 – 12 ME 138/08 – und vom 20.8.2008 – 12 ME 184/08 -). Denn bereits der Wortlaut des Begriffs der Gelegentlichkeit schließt es aus, hierunter ein nur einmaliges Ereignis zu fassen. Das vorliegende Verfahren gibt für eine abweichende Beurteilung keinen Anlass.

Die weiteren Ausführungen des Antragsgegners dazu, ab welcher THC-COOH-Konzentration im Blutserum auf einen zumindest gelegentlichen Konsum geschlossen werden kann, zeigen, dass auch diese Frage in der Rechtsprechung – auch des beschließenden Senats – bisher nicht eindeutig beantwortet ist und die fachmedizinischen Stellungnahmen insoweit kein einheitliches Bild geben (vgl. dazu Berr/Krause/Sachs, Drogen im Straßenverkehrsrecht, Rdnrn. 953 ff.).

Das Verwaltungsgericht hat zur Aussagekraft von THC-COOH-Werten ausgeführt, allein aus einem THC-COOH-Wert von 88,6 ng/ml könne noch nicht mit Sicherheit auf einen mehrmaligen Konsum geschlossen werden, wenn die Blutprobe nur wenige Stunden nach dem Konsum im Rahmen einer polizeilichen Verkehrskontrolle entnommen worden sei und auch der THC-Wert für einen zeitnahen Konsum spreche. Die weit überwiegende Rechtsprechung gehe in den letzten Jahren davon aus, dass bei einer THC-COOH-Konzentration von unter 100 ng/ml aus wissenschaftlicher Sicht eine Abgrenzung zwischen einmaligem und gelegentlichem Konsum nicht möglich sei, wenn die Blutentnahme anlassbezogen und ca. 1/2 Stunde bis 2 Stunden nach der Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss erfolgt sei.

Insoweit hat sich das Verwaltungsgericht auf – von ihm näher zitierte – Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern und weiterer erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte berufen. Dabei hat es sich insbesondere die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in dessen Beschlüssen vom 27. März 2006 (- 11 Cs 05.1559 -, juris) und vom 16. August 2006 (- 11 Cs 05.3394 -, juris) zugrunde gelegten fachlichen Stellungnahmen zu eigen gemacht, denen zufolge nach derzeitigem Kenntnisstand nicht auszuschließen sei, dass ein einmaliger Cannabiskonsum ohne weiteres zu THC-COOH-Werten von um die 80 ng/ml, möglicherweise gar von bis zu 100 ng/ml im Blut führen kann.

Die Beschwerde tritt dieser Einschätzung nicht fachlich fundiert entgegen und entkräftet sie in einer dem Darlegungserfordernis gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO genügenden Weise nicht. Zwar heißt es in dem vom Antragsgegner in Bezug genommenen Erlass des Nds. Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr vom 4. August 2008 (AZ: 43-300130430) unter Ziff. 2.3, bei einem THC-COOH-Wert ab 75 ng/ml sei bei einer tatnahen Blutentnahme von gelegentlichem Konsum auszugehen. Dieser „Wertebereich“ werde nicht nur durch die Rechtsprechung, sondern auch durch eine Vielzahl von rechtsmedizinischen Gutachten belegt, die bei diesen Werten von einem „wiederholten“ und somit gelegentlichem Konsum ausgingen.

Allerdings werden in dem Erlass, der im gerichtlichen Verfahren ohnehin keine Verbindlichkeit beanspruchen kann, zum Nachweis dieser Einschätzung lediglich zwei Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Stuttgart und des Verwaltungsgerichts München aus den Jahren 2003/2004 genannt, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Verwaltungsgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 31. Juli 2006 (- 10 K 2124/06 -, juris) nunmehr zu einer abweichenden Beurteilung gelangt ist und die zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichts München noch vor den genannten und zu einer anderen Bewertung gelangenden Entscheidungen des ihm übergeordneten Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ergangen ist. Bessere und fachlich begründete Erkenntnisse, dass ab einem THC-Carbonsäurewert von 75 ng/ml oder jedenfalls bei dem hier festgestellten Wert von 88,6 ng/ml zwingend auf einen gelegentlichen Konsum geschlossen werden kann, ergeben sich aus dem Erlass jedenfalls nicht und werden von der Beschwerde auch im Übrigen nicht aufgezeigt. Der vom Antragsgegner zitierte Aufsatz von Gehrmann (NZV 2008, 377) kommt in diesem Zusammenhang nicht zu abschließenden Feststellungen, insbesondere nicht zu der Annahme, dass bei Werten in der hier festgestellten Höhe stets die Fahrerlaubnisentziehung ohne weitere Aufklärung gerechtfertigt sei. (…)

OVG Lüneburg, Beschluss vom 10.02.2009, Az:12 ME 361/08 in zfs 2009, 358
Vorinstanz: VG Oldenburg, Beschluss vom 17.11.2008, Az: 7 B 2875/08

Praxisrelevanz:

Nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung soll nur die regelmäßige und wenn keine Trennung zwischen Konsum und Fahren erfolgt, die gelegentliche, nicht aber die einmalige Einnahme von Cannabis den Wegfall der Fahreignung nach sich ziehen. Wer gelegentlich Cannabisprodukte konsumiert und unter Cannabiseinfluss ein Fahrzeug führt, ist nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV als nicht mehr geeignet anzusehen, ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr zu führen, da eine Trennung von Konsum und Fahren nicht gegeben ist. Die Entziehung ist die Folge.

Der gelegentliche Konsum wird durch die Führerscheinstellen aus den Blutprobenwerten, insbesondere aus dem THC-COOH-Wert, einen Abbauprodukt des THC hergeleitet. Je höher der Carbonsäurewert ist, desto mehr spreche nach Auffassung der Führerscheinbehörden dafür, dass ein mehr als einmaliger Konsum stattgefunden habe.

Dieser durch keine wissenschaftliche Studie belegten Auffassung haben einzelne Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte eine klare Absage erteilt. In Berlin hat sich diese Erkenntnis jedenfalls noch nicht durchgesetzt. Ein hier erst kürzlich gestellter Eilantrag wurde vom VG Berlin ebenso kurz wie knapp abgebügelt und für eine Beschwerde fehlten dem Mandanten schlicht und ergreifend die finanziellen Mittel.

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