Kammergericht – Anordnung einer Blutentnahme durch Polizei bei Fahrt unter Cannabiseinfluss wenn Bereitschaftsrichter 1 ½ Stunden nicht erreichbar ist


Das Amtsgericht Tiergarten hatte den Betroffenen wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen § 24 a Abs. 2 und 3 StVG zu einer Geldbuße in Höhe von 500,00 Euro verurteilt und gegen ihn nach § 25 StVG ein Fahrverbot von drei Monaten angeordnet. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen richtete sich ohne Erfolg gegen die Anordnung der Blutentnahme durch die Polizei, hatte beim Kammergericht aber lediglich hinsichtlich der verhängten Geldbuße vorläufigen Erfolg. Einen Verstoß gegen den Richtervorbehalt des § 81 a Abs. 2 StPO sah das Kammergericht nicht als gegeben an. Es lag Gefahr im Verzug vor, die Anordnung der Blutentnahme durch die Polizei daher rechtmäßig.
Aus den Gründen:

(….) Unzutreffend ist die Annahme der Rechtsbeschwerde, Gefahr im Verzuge könne vorliegend nicht gegeben gewesen sein, weil Betäubungsmittel im Körper langsam abgebaut würden, oft auch noch nach Monaten nachweisbar seien und eine Sanktion nach § 24 a StVG auch bei einer „geringsten Menge von Drogen im Blut des Betroffenen“ ausgesprochen werden könne. Zum einen ist § 24 a Abs. 2 StVG der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgend (vgl. BVerfG NJW 2005, 349 (351)) verfassungskonform dahin auszulegen, dass eine Wirkstoffkonzentration festgestellt sein muss, die es entsprechend dem Charakter der Vorschrift als eines abstrakten Gefährdungsdeliktes als möglich erscheinen lässt, dass der untersuchte Kraftfahrzeugführer am Straßenverkehr teilgenommen hat, obwohl seine Fahrtüchtigkeit eingeschränkt war, wobei dies den Empfehlungen der so genannten Grenzwertkommission folgend bei einem Nachweis von mindestens 1 mg/ml Tetrahydrocannabinol (THC), einem Abbauprodukt des Cannabis, der Fall ist (vgl. OLG Saarbrücken NJW 2007, 1373 (1374) und VRS 112, 54 (57 f); OLG Karlsruhe VRS 112, 130; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 249; OLG Hamm VRR 2008, 351; OLG Schleswig, Beschluss vom 18. September 2006 – 1 Ss OWi 119/06 – juris Rn. 7 f.).

Außerdem ist anerkannt, dass zum Nachweis einer auf dem Konsum von Cannabis beruhenden Ordnungswidrigkeit nach § 24 a Abs. 2 StVG im Hinblick auf den schnellen Abbau von THC im Blut schnellstmöglich nach Beendigung der Teilnahme des Kraftfahrzeugführers am Straßenverkehr eine Blutentnahme zu veranlassen ist (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 14. August 2008 – 12 ME 183/08 – juris Rdn. 6; BayVGH, Beschluss vom 3. Februar 2004 – 11 CS 4.157 – juris Rn. 10; König in LK, StGB 11. Aufl., § 316 Rdn. 151), zumal über die Dauer der Nachweisbarkeit von THC im Blut die Auffassungen weit auseinander gehen (vgl. zum Meinungsspektrum: Körner, BtMG 6. Aufl., C 4 Rn. 97).

Nach den Urteilsfeststellungen haben die Polizeibeamten, die den Betroffenen am 2. Dezember 2007 (einem Sonntag) um 0.15 Uhr mit seinem Fahrzeug anhielten und überprüften, mehrfach vergeblich versucht, den zuständigen Richter vom Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts Tiergarten telefonisch zu erreichen. Bei diesem hat sich niemand gemeldet, und bei einem letzten Anruf um 01.43 Uhr ging lediglich die Mailbox an. Nach Einholung einer zustimmenden Stellungnahme des Staatsanwalts vom Tagesdienst der Staatsanwaltschaft Berlin ist dann unter Annahme von Gefahr im Verzuge von den Polizeibeamten die Durchführung der Blutentnahme angeordnet und um 02.15 Uhr dem Betroffenen Blut entnommen worden. Unter Berücksichtigung der obigen Darlegungen ist, auch wenn der Betroffene vor der Blutentnahme angab, noch bis kurz vor Fahrtantritt gegen 23.00 Uhr Cannabis geraucht zu haben, die Annahme von Gefahr im Verzuge nicht zu beanstanden.

Die in der Rechtsbeschwerde erhobene Behauptung, der „zuständige Richter“ hätte angesichts der erst gegen 02.15 Uhr entnommenen Blutprobe nach nur wenigen Stunden über die Frage der Durchführung einer Blutentnahme entscheiden können, ist unzutreffend. Gerichtsbekanntermaßen endet der Sonnabend-Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts Tiergarten am Sonntag um 09.00 Uhr. Erst danach ist der Sonntags-Bereitschaftsdienst zuständig. Nachdem der zuständige Richter offensichtlich nicht erreichbar war, bestand somit keineswegs „nach nur wenigen Stunden“ die Möglichkeit, einen zuständigen Richter zu erreichen, sondern erst über acht Stunden nach der Gestellung des Betroffenen.

Selbst wenn man von einer rechtsfehlerhaften Annahme des Vorliegens von Gefahr im Verzuge ausgehen würde, ist zu berücksichtigen, dass Verstöße gegen § 81 a StPO die gewonnenen Untersuchungsergebnisse in der Regel nicht unverwertbar machen, wobei dies insbesondere bei fehlender Anordnungszuständigkeit, etwa bei unzutreffender Bejahung von Gefahr im Verzuge, gilt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 81 a Rn. 32; Senge in KK, StPO 6. Aufl., § 81 a Rn. 14; jeweils m.w.N.); denn von einem Verwertungsverbot ist nur in Fällen auszugehen, in denen die getroffene Entscheidung nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung nicht mehr vertretbar gewesen ist und etwa ein vorhandener Richtervorbehalt bewusst umgangen worden ist (vgl. BVerfG NJW 2008, 3053 (3054 f.); BGH NStZ 2007, 601 (602); HansOLG Hamburg VRS 114, 275 (280 ff.); OLG Karlsruhe Justiz 2004, 493 (494); OLG Stuttgart NStZ 2008, 238). Für das Vorliegen dieser Voraussetzungen wird von der Rechtsbeschwerde nichts vorgetragen und ist nach dem im Urteil festgestellten Sachverhalt auch nichts ersichtlich. (…)

KG, Beschluss vom 29.12.2008, Az: 3 Ws (B) 467/08, 2 Ss 300/08 – 3 Ws (B) 467/08

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