Der Bundesgerichtshof hob mit Urteil vom 26.07.2007 – 3 StR 104/07 – die Verurteilung des Angeklagten im sog. „Mallorca-Mord“ auf. Der Angeklagte soll der für den Tod eines Mädchens auf Mallorca verantwortlich sein. Er soll eine 15-jährige aus dem Sauerland in seiner Wohnung auf Mallorca mit Chloroform betäubt haben, woran die Schülerin letztlich verstarb.
Ein getarnter Beamter hatte sich das Vertrauen des damals inhaftierten Verdächtigen erschlichen und diesen zu einem Geständnis gedrängt. Im vorliegenden Fall hatte der verdeckte Ermittler den wegen einer anderen Straftat inhaftierten Angeklagten bei einem arrangierten Gefangenentransport kennen gelernt und ihn dann über mehr als ein Jahr immer wieder im Gefängnis besucht. Einen späteren Hafturlaub verbrachte der Tatverdächtige in einer Wohnung, welche die Polizei gemietet und verwanzt hatte. Dort bedrängte der Ermittler den Angeklagten, bis der Mann die Tat zugab und die Beseitigung der Leiche und der Spuren schilderte. Tags darauf wurde er festgenommen. Das mitgeschnittene Geständnis war entscheidend für die spätere Verurteilung.
Der BGH hat mit seinem Urteil dem Einsatz verdeckter Ermittler Grenzen gesetzt. Heimliche Ermittlungsmethoden sind grundsätzlich zulässig, solange dadurch nicht grundlegende Rechte eines Beschuldigten umgangen werden. Im zu entscheidenden Fall haben die Ermittler grundlegende Rechte des Angeklagten, sich nicht selbst belasten zu müssen, „massiv verletzt“, indem sie einen Verdächtigen in einer „vernehmungsähnlichen Situation“ mit gezielten Nachfragen zu einem Geständnis drängten, obwohl dieser zuvor zu den Vorwürfen geschwiegen habe.
„Die Polizei darf die Vernehmung nicht verdeckt fortsetzen, wenn sie anders nicht weiterkommt“, führte der Senatsvorsitzende Klaus Tolksdorf nach einem Berichts des Stern aus. Niemand ist verpflichtet, zu seiner Verurteilung beizutragen. „Die Selbstbelastungsfreiheit gehört zu den Grundprinzipien des Strafverfahrens“, sagte Tolksdorf. Sie habe Vorrang vor der staatlichen Pflicht zur Strafverfolgung. „Die Strafverfolgung zwingt nicht zur Aufklärung der Tat um jeden Preis.“
Nun muss das Landgericht Wuppertal erneut über den Fall verhandeln. Im jetzt anstehenden neuen Prozess darf das Landgericht weder das Geständnis des Angeklagten verwerten noch dessen spätere Aussagen gegenüber der Polizei.
Pressemitteilung des BGH Nr. 111/2007 vom 26. Juli 2007
Bundesgerichtshof präzisiert Befugnisse von Verdeckten Ermittlern
Das Landgericht Wuppertal hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Nach den Urteilsfeststellungen betäubte er in seiner Wohnung auf Mallorca ein 15 Jahre altes Mädchen mit Chloroform, das danach verstarb. Auf die Revision des Angeklagten hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Verurteilung aufgehoben, weil die Angaben des Angeklagten zum Tatgeschehen, die ihm von einem Verdeckten Ermittler entlockt wurden und für seine Überführung von zentraler Bedeutung waren, nicht hätten verwertet werden dürfen.
Der Angeklagte hatte gegenüber der Polizei zunächst den gegen ihn erhobenen Mordvorwurf bestritten und sich auf sein Schweigerecht berufen. Nachdem sich der Tatverdacht nicht hatte erhärten lassen, wurde gegen ihn ein Verdeckter Ermittler eingesetzt. Dieser gewann im Laufe eines Jahres das Vertrauen des Angeklagten, der sich zu dieser Zeit in anderer Sache in Strafhaft befand. Während eines Hafturlaubs sprach ihn der Verdeckte Ermittler gezielt auf den Tatvorwurf an und drängte ihn zu Angaben. Der Angeklagte räumte – teilweise beschönigend – seine Täterschaft ein und schilderte auf zahlreiche Nachfragen Einzelheiten der Tat.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat ausgeführt, dass der Einsatz des Verdeckten Ermittlers zwar im Grundsatz nicht zu beanstanden sei. Dieser hätte jedoch den Angeklagten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hatte, nicht unter Ausnutzung des geschaffenen Vertrauensverhältnisses zur Aussage drängen und in einer vernehmungsähnlichen Befragung zu Angaben veranlassen dürfen, die ohne die Täuschung – bei einer förmlichen Vernehmung – nicht zu gewinnen gewesen wären. Dieses Vorgehen verstoße gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, zu seiner eigenen Überführung beizutragen und sich selbst zu belasten.
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die eine Verurteilung wegen Totschlags erstrebte, hatte keinen Erfolg, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerfrei war. Jedoch muss die Sache wegen des Erfolgs der Revision des Angeklagten vor dem Landgericht neu verhandelt werden.
Quellen:
Stern.de, Artikel vom 26. Juli 2007
Spiegel.de, Artikel vom 26.07.2007
Pressemitteilung des BGH Nr. 111/2007 vom 26. Juli 2007
BGH, Urteil vom 26. Juli 2007 – 3 StR 104/07
Landgericht Wuppertal – 25 Ks 45 Js 7/03 – 6/05 V – Urteil vom 22. August 2006
Leitsatz:
Ein Verdeckter Ermittler darf einen Beschuldigten, der sich auf sein Schweigerecht berufen hat, nicht unter Ausnutzung eines geschaffenen Vertrauensverhältnisses beharrlich zu einer Aussage drängen und ihm in einer vernehmungsähnlichen Befra-gung Äußerungen zum Tatgeschehen entlocken. Eine solche Beweisgewinnung ver-stößt gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst zu belasten, und hat regelmäßig ein Beweisverwertungsverbot zur Folge.
Aus den Gründen:
Die Rüge, dass die Angaben des Angeklagten gegenüber dem Verdeckten Ermittler und seine Aussagen in der anschließenden Beschuldigtenvernehmung nicht hätten verwertet werden dürfen, ist begründet.
Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass gegen den Angeklagten ein Verdeckter Ermittler eingesetzt worden ist. Die Voraussetzungen für den Einsatz lagen unter den gegebenen Umständen vor (§ 110 a Abs. 1 Satz 4 StPO). Die nach § 110 b Abs. 2 Nr. 1 StPO erforderliche richterliche Zustimmung war eingeholt worden.
Dementsprechend sind im Grundsatz die von dem eingesetzten Verdeckten Ermittler gewonnenen Erkenntnisse verwertbar. (…) Dass ein Verdeckter Ermittler nicht gehalten ist, den Beschuldigten, gegen den er eingesetzt ist, über sein Schweigerecht zu belehren, wenn dieser dazu ansetzt, über die Tat zu berichten, versteht sich (…) und begegnet auch mit Blick auf die verfassungsmäßigen und prozessualen Rechte des Beschuldigten keinen Bedenken. Solange der Verdeckte Ermittler den Beschuldigten zu selbstbelastenden Äußerungen nicht drängt oder ihm solche nicht in anderer Weise – insbesondere durch gezielte Befragungen – entlockt, dürfen diese verwertet werden. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen ist bei wertender Betrachtung die Situation keine andere, als wenn der Beschuldigte sich einem Freund, Bekannten oder sonstigen Dritten, denen er sein Vertrauen schenkt, in der irrigen Annahme offenbart, dieser werde die belastenden Informationen für sich behalten und nicht an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben.
Verfahrensrechtlich unzulässig wurde der Einsatz des Verdeckten Ermittlers hier dadurch, dass er den Angeklagten, der sich für das Schweigen zum Tatvorwurf entschieden und dies einem Polizeibeamten mitgeteilt hatte, unter Ausnutzung des geschaffenen Vertrauens zu einer Aussage gedrängt und in einer vernehmungsähnlichen Weise zu den Einzelheiten befragt hatte. (…)
Unter den hier gegebenen Umständen verstößt die Befragung des Angeklagten zu den Tatvorwürfen durch den Verdeckten Ermittler aber gegen den Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, zu seiner eigenen Überführung beizutragen, insbesondere sich selbst zu belasten („nemo tenetur se ipsum accusare“). Die Selbstbelastungsfreiheit (vgl. BGHSt 42, 139, 151 f. – GS; 38, 214, 220; 36, 328, 332; 34, 39, 46) zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. (…) Die Selbstbelastungsfreiheit entspricht der prozessualen Stellung des Beschuldigten im Strafprozess, der Beteiligter und nicht Objekt des Verfahrens ist, und hat Vorrang vor der ebenfalls im Verfassungsrang stehenden Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung (vgl. BVerfGE 80, 367, 375). Dabei gilt sie unabhängig von der Schwere des Tatvorwurfs; die Strafprozessordnung zwingt nicht zur Wahrheitserforschung um jeden Preis (vgl. BGHSt 14, 358, 365).
(…) In der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen heißt es dazu: „Gegenstand des Schutzes des nemo-tenetur-Grundsatzes ist die Freiheit von Zwang zur Aussage oder zur Mitwirkung am Strafverfahren. Die Freiheit von Irrtum fällt nicht in den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes“ (BGHSt 42, 139, 153 – GS).
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat demgegenüber festgestellt, dass das Recht zu schweigen und der Schutz vor Selbstbelastung zwar in erster Linie dazu dienten, den Beschuldigten gegen unzulässigen Zwang der Behörden und die Erlangung von Beweisen durch Methoden des Drucks zu schützen; jedoch sei „der Anwendungsbereich des Rechts nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Beschuldigte Zwang widerstehen musste“. Das Recht, das zum Kernbereich des fairen Verfahrens gehört, „dient prinzipiell der Freiheit einer verdächtigen Person zu entscheiden, ob sie in Polizeibefragungen aussagen oder schweigen will“ (EGMR StV 2003, 257, 259 – Fall Allan v. Großbritannien).
Diese Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte könnten mit Blick auf andere Fallgestaltungen Anlass zur Prüfung geben, ob an der – anscheinend restriktiveren – Bestimmung der Reichweite des nemo-tenetur-Prinzips durch den Großen Senat für Strafsachen festgehalten werden kann und welche Konsequenzen sich insbesondere für Fälle der Art ergeben, wie sie in dem damaligen Ausgangsverfahren zur Beurteilung anstanden. Dies kann hier indes dahinstehen. (..)
Erklärt der Beschuldigte, wie hier der Angeklagte, in einem gegen ihn gerichteten Ermittlungsverfahren gegenüber den Ermittlungsbehörden schweigen zu wollen, so verdichtet sich der allgemeine Schutz, den ihm der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit bietet, in der Weise, dass die Strafverfolgungsbehörden seine Entscheidung für das Schweigen grundsätzlich zu respektieren haben. Es kann dahingestellt bleiben, was daraus für das Verhalten von Vernehmungspersonen, die dem Beschuldigten in amtlicher Eigenschaft offen gegenübertreten, im Einzelnen folgt, insbesondere welchen Grenzen Versuche unterliegen, den Beschuldigten zu einem Überdenken seiner Entscheidung zu veranlassen. Mit dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit ist es jedenfalls nicht vereinbar, dem Beschuldigten, der sein Schweigerecht in Anspruch genommen hat, in gezielten, vernehmungsähnlichen Befragungen, die auf Initiative der Ermittlungsbehörden ohne Aufdeckung der Verfolgungsabsicht durchgeführt werden, wie etwa durch Verdeckte Ermittler, selbstbelastende Angaben zur Sache zu entlocken.
Nur diese Bewertung entspricht der Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dessen Auslegung der innerstaatlich im Range eines einfachen Bundesgesetzes geltenden Europäischen Konvention für Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Anwendung des nationalen Rechts zu berücksichtigen ist (vgl. BVerfG NJW 2004, 3407, 3409; Meyer-Goßner aaO vor Art. 1 MRK Rdn. 3 ff. m. w. N.). Sie weicht auch nicht von der Rechtsprechung anderer Senate und insbesondere der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen aus dem Jahre 1996 ab.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der bereits zitierten Entscheidung „Allan v. Großbritannien“ ausgeführt, dass die zum Schweigerecht und zum Schutz vor Selbstbelastungsfreiheit gehörende freie Entscheidung auszusagen oder zu schweigen, „effektiv unterlaufen (wird), wenn die Behörden in einem Fall, in dem der Beschuldigte, der sich in der Vernehmung für das Schweigen entschieden hat, eine Täuschung anwenden, um dem Beschuldigten Geständnisse oder andere belastende Aussagen zu entlocken, die sie in der Vernehmung nicht erlangen konnten, und die so erlangten Geständnisse oder selbstbelastenden Aussagen in den Prozess als Beweise einführen“. Ob das Schweigerecht in einem solchen Maße missachtet wird, dass eine Verletzung von Art. 6 der Konvention vorliegt, hängt – wie der Gerichtshof weiter aus-geführt hat – zwar von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine solche Verletzung muss aber nach den weiteren Erwägungen der Entscheidung angenommen werden, wenn der Informant – wie bei einem Verdeckten Ermittler unzweifelhaft der Fall – als Agent des Staates handelt und die fraglichen Beweise als vom Informanten entlockt anzusehen sind. Dies wiederum hängt „von der Art der Beziehung zwischen dem Informanten und dem Beschuldigten und davon ab, ob sich das Gespräch des Informanten mit dem Beschuldigten als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung darstellt“ (EGMR StV 2003, 257, 259).
Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs scheint zwar in der Tendenz ein engeres Verständnis vom Regelungsgehalt des nemo-tenetur-Grundsatzes zugrunde zu liegen. Dafür spricht insbesondere die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen, die – wie dargestellt – hervorhebt, dass der Grundsatz die Freiheit von Zwang zur Aussage beinhaltet (BGHSt 42, 139, 151 ff. – GS). Indes hat auch der Große Senat ausdrücklich die rechtsstaatlichen Grenzen betont, die der vernehmungsähnlichen Befragung von Tatverdächtigen ohne Aufdeckung der Ermittlungsabsicht – wegen ihrer Nähe zum nemo-tenetur-Prinzip (BGHSt 42, 139, 156 – GS) – gesetzt sind (BGHSt 42, 139, 154 ff. – GS). Aus dieser Nähe sowie aus dem Rechtsstaatsprinzip, speziell dem Grundsatz des fairen Verfahrens könne sich eine heimliche Befragung im Einzelfall auch unter Berücksichtigung des Gebotes einer effektiven Strafverfolgung als unzulässig erweisen (vgl. BGHSt 42, 139, 156 f. – GS). Abgesehen von diesen ganz allgemein bestehenden – durch Abwägung im Einzelfall zu ermittelnden – Grenzen steht nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen aber auch außer Frage, dass in verschiedenen Sachverhalten die heimliche Befragung von Tatverdächtigen aus rechtsstaatlichen Gründen von vornherein unzulässig ist (BGHSt 42, 139, 154 f. – GS). Als Beispiele aus der älteren Rechtsprechung werden in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Fälle erwähnt, dass einem Untersuchungshäftling ein Spitzel in die Zelle gelegt (BGHSt 34, 362; vgl. auch BGHSt 44, 129) oder das gesprochene Wort verbotswidrig fixiert wurde (BGHSt 31, 304; 34, 39). Der Große Senat hat als weiteren möglichen Anwendungsfall einer aus rechtsstaatlichen Gründen absolut unzulässigen heimlichen Befragung des Beschuldigen den der gezielten Anbahnung eines Liebesverhältnisses zur Gewinnung von Informationen genannt und daran anschließend weiter ausgeführt, dass „auch an einen Fall gedacht werden kann, in dem der Beschuldigte durch eine Privatperson befragt wurde, obwohl er zuvor in einer Vernehmung ausdrücklich erklärt hatte, keine Angaben zur Sache machen zu wollen“ (BGHSt 42, 139, 155 – GS). Diese Ausführungen betreffen zwar unmittelbar nur die Befragung des Tatverdächtigen durch eine Privatperson, die auf Veranlassung der Ermittlungsbehörden tätig wird. Mit Blick auf den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit und den Sinn und Zweck dieses Prinzips kann aber für eine Befragung durch einen Verdeckten Ermittler nichts anderes gelten.
Gegen die Beschränkungen, die sich nach alledem für das Vorgehen der Ermittlungsbehörden ergeben – sei es unmittelbar aus dem nemo-tenetur-Grundsatz, sei es aus den mit Blick auf ihn zu stellenden Anforderungen an ein faires, rechtsstaatliches Verfahren – , haben diese mit der Befragung des Angeklagten durch den Verdeckten Ermittler verstoßen.
Der Angeklagte hat gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten erklärt, er wolle auf Anraten seines Verteidigers von seinem Schweigerecht Gebrauch machen. Dass er diese Erklärung nicht in einer förmlichen Vernehmung nach Belehrung über sein Schweigerecht abgegeben hat und es überhaupt zu einer förmlichen Vernehmung in dieser Sache zunächst nicht gekommen ist, ist für die rechtliche Bewertung nach dem Sinn und Zweck des nemo-tenetur-Grundsatzes ohne Bedeutung. (…)
Die Entscheidung des Angeklagten für die Inanspruchnahme seines Schweigerechts haben die Strafverfolgungsorgane durch die Art und Weise der Informationsgewinnung seitens des eingesetzten Verdeckten Ermittlers massiv verletzt. Dieser hat sich nicht darauf beschränkt, das zwischen ihm und dem Angeklagten geschaffene Vertrauen dafür zu nutzen, Informationen aufnehmen, die der Angeklagte von sich aus zum Tatgeschehen oder ermittlungsrelevanten Umständen machte. (…) Hier hat der Verdeckte Ermittler dem Angeklagten aber durch beharrliche Fragen und unter Hinweis auf das vorgetäuschte Vertrauensverhältnis selbstbelastende Äußerungen entlockt, zu denen er bei einer förmlichen Vernehmung nicht bereit gewesen wäre. Die Befragung durch den Verdeckten Ermittler war, wie die Aufzeichnungen belegen, in einer Weise intensiv, dass sich – in den Worten des Europäischen Gerichtshofs – „das Gespräch als funktionales Äquivalent einer staatlichen Vernehmung darstellt“.
Die Missachtung des Rechts des Angeklagten, selbst frei zu entscheiden, ob er aussagen oder schweigen wollte, wiegt dabei hier um so schwerer, als die Strafverfolgungsbehörden gezielt die besonderen Belastungen der Haftsituation ausnutzten, um ihm Täterwissen zu entlocken. Der Angeklagte befand sich in anderer Sache in Strafhaft. Nach den Feststellungen war der Verdeckte Ermittler die einzige Person außerhalb der Justizvollzugsanstalt, mit der er Kontakt hatte. Damit er Vollzugslockerungen wie Ausgang oder Hafturlaub erhalten konnte, war er auf die Mitwirkung des Verdeckten Ermittlers angewiesen. Dieser stellte ihm zudem gemeinsame Geschäfte und damit eine Lebensperspektive nach Haftverbüßung in Aussicht. Zusammengefasst konnte sich der Angeklagte den Einwirkungen des Verdeckten Ermittlers nur beschränkt entziehen. Auch wenn die zur Aufdeckung seiner Täterschaft führende Befragung letztlich außerhalb der Justizvollzugsanstalt während eines Hafturlaubs stattfand, war die Entscheidungsfreiheit des Angeklagten so stark eingeschränkt, dass seine Situation der besonderen Zwangssituation eines Untersuchungshäftlings nahe kam, dem ein Polizeispitzel in die Zelle gelegt wird (vgl. BGHSt 34, 362). Das gilt um so mehr, als sich der Verdeckte Ermittler bei den entscheidenden Befragungen nicht darauf beschränkte, das ihm vom Angeklagten entgegengebrachte Vertrauen für Fragen auszunutzen, sondern diesen massiv – unter anderem mit der Ankündigung, die für den Angeklagten einzige Beziehung in die Welt außerhalb der Vollzugsanstalt abzubrechen – zu Angaben drängte. Insofern ist es für die rechtliche Beurteilung unerheblich, dass der Angeklagte zu Beginn des Kontaktes mit dem Verdeckten Ermittler kurzfristig in Erwägung gezogen hatte, dieser könne ein Polizeispitzel sein; denn er ging anschließend von einer vertrauensvollen Beziehung auf privater Ebene aus.
Die nach alledem unzulässige Beweisgewinnung durch den Verdeckten Ermittler hat – wegen des gravierenden Eingriffs in die prozessualen Rechte des Angeklagten – ein Beweisverwertungsverbot zur Folge.
Dieses Beweisverwertungsverbot erstreckt sich auch auf die Aussage des Angeklagten bei der polizeilichen Vernehmung. Zwar wurde dieser vor der Vernehmung gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163 a Abs. 4 Satz 2 StPO ordnungsgemäß über sein Schweigerecht und sein Recht zur Verteidigerkonsultation belehrt, jedoch wirkte bei der Vernehmung die rechtsstaatswidrige Beweisgewinnung durch den Verdeckten Ermittler fort. Die Äußerungen zum Tatgeschehen waren dem Angeklagten kurze Zeit zuvor entlockt worden, ein Kriminalbeamter bezeichnete sie ihm gegenüber als gerichtsverwertbar. Da er unter diesen Umständen davon ausgehen musste, seine Angaben gegenüber dem Verdeckten Ermittler könnten ohnehin gegen ihn verwendet werden, war er sich seiner Entscheidungsmöglichkeit, zur Sache auszusagen oder zu schweigen, nicht bewusst. Dies hat die Fortwirkung des Beweisverwertungsverbotes zur Folge (vgl. BGHSt 17, 364, 367 f.; 37, 48, 53; BGH NStZ 1988, 41; Boujong in KK 5. Aufl. § 136 Rdn. 29 und § 136 a Rdn. 40 f.; Meyer-Goßner aaO § 136 Rdn. 30).