VG Oldenburg – Fahrtenbuch bei Geschäftsfahrzeugen


Ein Unternehmen setzte sich gegen die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage für die Dauer von 12 Monaten zur Wehr, da die Anhörung zum Vorwurf einer Verkehrsordnungswidrigkeit später als zwei Wochen einging und das Foto, welches den Fahrer zeigen sollte, von schlechter Qualität sei. Das Verwaltungsgericht Oldenburg interessierte das nicht, der Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Fahrtenbuchanordnung herzustellen, blieb ohne Erfolg. Das VG Oldenburg stellt an die Organisation eines Unternehmens andere Anforderungen, als an eine Privatperson. Unterlässt ein Unternehmen, das ein Fahrzeug mehreren Mitarbeitern zur Verfügung stellt, Maßnahmen, die eine spätere Fahrerfeststellung ermöglichen, geht es das Risiko der Fahrtenbuchanordnung ein.

Aus den Gründen:

(…) Die Voraussetzungen des § 31a StVZO für die Anordnung der Führung eines Fahrtenbuches sind erfüllt. Nach dieser Vorschrift kann die Behörde gegenüber einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere auf ihn zugelassene oder künftig zuzulassende Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuchs anordnen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften nicht möglich war (zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. mit weiteren Nachweisen Kammerbeschlüsse vom 23. Dezember 2008 – 7 B 3216/08 – und vom 9. März 2009 – 7 B 682/09 -). (…) Mit dem von der Antragstellerin gehaltenen Kraftfahrzeug (…) wurde am 8. Dezember 2008 eine Zuwiderhandlung gegen Verkehrsvorschriften (Geschwindigkeitsüberschreitung) begangen, die – was zwischen den Beteiligten nicht im Streit liegt – „erheblich“ genug für die Fahrtenbuchanordnung, d.h. nicht geringfügig ist: Der Verstoß zieht nach der Rechtslage zum Tatzeitpunkt (der Antragsgegner stellt offenbar auf die zum Zeitpunkt des Erlasses seines angegriffenen Bescheides neue, verschärfte Rechtslage ab) eine Geldbuße in Höhe von 100 Euro (jetzt neu: 180 Euro), drei Punkte sowie ein Fahrverbot von einem Monat nach sich.

Die Feststellung des Fahrzeugführers war „nicht möglich“ im Sinne des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO. Die in § 31a StVZO geforderte Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers liegt hier vor, weil die Behörde nach den Umständen des Einzelfalles nicht in der Lage gewesen ist, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle angemessenen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat. Der notwendige Umfang der Ermittlungspflichten der Behörde bemisst sich danach, inwieweit der Halter seinerseits an der Ermittlung des Fahrzeugführers mitwirkt. An einer solchen Mitwirkung fehlt es bereits dann, wenn der Fahrzeughalter den Anhörungs- oder Zeugenfragebogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet bzw. weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer schlicht nicht macht oder offensichtlich falsch macht.

Hier geht das erkennende Gericht von hinreichenden, dem Einzelfall gerecht werdenden Ermittlungsbemühungen auf Behördenseite – was wiederum zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist – und zudem aber von einer fehlenden Mitwirkung auf Seiten der Antragstellerin aus, die ihre Erkenntnismöglichkeiten nicht ausschöpft bzw. nicht ausgeschöpft hat.

Für den Tatbestand von § 31a StVZO ist nicht entscheidend, ob der Fahrzeughalter, der sein Fahrzeug anderen überlassen hat, subjektiv in der Lage gewesen ist, den verantwortlichen Fahrzeugführer zu benennen. Es hindert die Anordnung eines Fahrtenbuches sogar nicht, wenn ihm dies schuldlos nicht möglich gewesen sein sollte. Die Fahrtenbuchanordnung dient dem Zweck, die gebotene Überwachung des Fahrzeughalters zu sichern und den Fahrzeughalter zur künftigen Mitwirkung bei der Feststellung des Kraftfahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes anhalten zu können. Dies gilt – wie hier – bei der fortwährenden Gebrauchsüberlassung eines Firmenfahrzeugs an mehrere Mitarbeiter im Rahmen der Ausübung des Gewerbebetriebs erst recht.

Die Antragstellerin hatte es selber in der Hand, von sich aus durch innerbetriebliche Maßnahmen zur Überwachung der Fahrzeugnutzungen sicherzustellen, dass der jeweilige Fahrer feststellbar ist. Unterlässt ein Unternehmen, das ein Fahrzeug – wie hier – mehreren Mitarbeitern zur Verfügung stellt, dieses oder greift es auf eine vorhandene Dokumentation nicht zur Aufklärung zurück, geht es das Risiko der Fahrtenbuchanordnung ein. Im vorliegenden Fall konnte nach allem nicht weiter ermittelt werden (was zwischen den Beteiligten nicht im Streit liegt, s.o.). Allerdings war und ist das Foto entgegen der Wertung des Antragsgegners von zu schlechter Qualität und war die Zweiwochenfrist entgegen der Wertung des Antragsgegners überschritten. Letzteres führt für sich genommen nicht zur Rechtswidrigkeit der Fahrtenbuchanordnung. Die Zweiwochenfrist ist kein formales Tatbestandskriterium der gesetzlichen Regelung und keine starre Grenze. Sie beruht vielmehr auf dem Erfahrungssatz, wonach Vorgänge nur einen begrenzten Zeitraum erinnerbar oder noch rekonstruierbar sind. Die Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist ist unschädlich in den Fällen, in denen wegen vom Regelfall abweichender Fallgestaltung auch eine spätere Anhörung zur effektiven Rechtsverteidigung genügt oder die Überschreitung des Zeitrahmens nicht ursächlich gewesen sein konnte für die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrzeugführers. Eine verzögerte Anhörung ist für die unterbliebene Feststellung des Fahrers etwa dann nicht ursächlich, wenn ein zur Identifizierung ausreichendes Foto existiert, da eine Identifizierung des verantwortlichen Fahrzeuglenkers anhand des Fotos keine Anforderungen an das Erinnerungs-, sondern an das Erkenntnisvermögen des Fahrzeughalters stellt (VG München, Beschluss vom 12. März 2007 – M 23 S 06.4894 – zitiert nach juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20. November 1998 – 10 S 2673/98 – zitiert nach juris; vgl. auch VG Aachen, Urteil vom 8. August 2006 – 2 K 3731/04 – zitiert nach juris).

Hier liegt ein zur Identifizierung ausreichendes Foto von dem Geschwindigkeitsverstoß zwar gerade nicht vor. Der Antragstellerin wäre es aber nach Überzeugung des Gerichts bei gutem Willen und sachgerechter Organisation und Dokumentation der innerbetrieblichen Abläufe durchaus möglich gewesen, den Fahrer zu identifizieren, so dass weder die zu schlechte Fotoqualität noch die verzögerte Anhörung für die unterbliebene Fahrerfeststellung ursächlich waren. Sie hätte eine [nach eigenem Vorbringen bewusst eben nicht geführte Dokumentation („Fahrtenbuch“ zu steuerlichen Zwecken)] heranziehen können und zur Aufklärung verwenden müssen, so dass insoweit eine zu schlechte Bildqualität wiederum nicht hatte ursächlich werden können.

Das Gericht legt an den Geschäftsbetrieb einen anderen Maßstab an als an den (privaten) Halter eines Privatfahrzeugs, soweit es den Schwerpunkt von den Erinnerungsmöglichkeiten (eines privaten Halters, einer natürlichen Person) auf die Erkenntnismöglichkeiten (eines Geschäftsbetriebs) verlagert. Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass es in einem Geschäftsbetrieb, bei dem ein Firmenfahrzeug – wie hier – mehreren Betriebsangehörigen zur Verfügung steht, Sache der Leitung dieses Betriebes ist, die notwendigen organisatorischen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass festgestellt werden kann, welche Person zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Fahrzeug benutzt hat, oder jedenfalls der ermittelnden Behörde den Firmenangehörigen oder gegebenenfalls auch mehrere Firmenangehörige zu nennen, denen das betreffende Fahrzeug betriebsintern zugeordnet ist (vgl. Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 16. April 1999 – 10 S 114/99 -, veröfftl. z.B. in VRS 97, 389-392).

Während es bei Privatfahrzeugen dem Halter unmittelbar noch erinnerlich sein dürfte, wer zur Tatzeit das Fahrzeug genutzt hat, ist bei geschäftlich genutzten Fahrzeugen regelmäßig davon auszugehen, dass die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt das entsprechende Fahrzeug genutzt hat, nicht auf Grund persönlicher Erinnerungen, sondern auf Grund von betrieblichen Absprachen beantwortet werden kann. Der Halter eines von mehreren Berechtigten zu nutzenden Betriebsfahrzeugs – wie hier – kann seiner für Kraftfahrzeuge kraft Gesetzes bestehenden Kennzeichnungspflicht nur dadurch genügen, dass er geeignete organisatorische Vorkehrungen hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit der konkreten Fahrzeugnutzung trifft. Unterlässt er dies oder macht er interne Aufzeichnungen der ermittelnden Behörde nicht zugänglich, kommt dies einer die Anordnung eines Fahrtenbuches rechtfertigenden Weigerung gleich, an der (rechtzeitigen) Ermittlung des Fahrzeugführers mitzuwirken – Vereitelungswirkung -.

Es gibt kein doppeltes Recht, einerseits als Halter gleichsam von vornherein durch das Unterlassen der Durchführung innerbetrieblicher Dokumentation nicht an der Aufklärung von Verkehrsverstößen, die mit dem Fahrzeug begangen werden, mitzuwirken, und andererseits von der Anordnung eines Fahrtenbuches verschont zu bleiben. Die Anordnung des Fahrtenbuches soll gerade dafür Sorge tragen, dass für Verkehrsverstöße verantwortliche Fahrer ermittelt werden können (vgl. VG Hannover, Urteil vom 21. September 2007 – 9 A 1986/07 -). Ungeachtet handels- und steuerrechtlicher Buchführungs- und Aufbewahrungspflichten entspricht es zudem sachgerechtem kaufmännischem Verhalten, dass ein kaufmännischer Wirtschaftsbetrieb – wie hier – grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Erinnerung einzelner Personen in der Lage ist, Geschäftsfahrten anhand schriftlicher Unterlagen zu rekonstruieren und den jeweiligen Fahrzeugführer im Einzelfall festzustellen. Weigert sich ein Unternehmen, dieser Obliegenheit nachzukommen, besteht grundsätzlich hinreichender Anlass, sogar für alle in Betracht kommenden Fahrzeuge eine Fahrtenbuchanordnung zu verhängen, um das Unternehmen auf diese Weise zu einer nachprüfbaren Überwachung der Fahrzeugbenutzung und zur Mitwirkung bei der Feststellung des Fahrzeugführers im Falle eines erneuten Verkehrsverstoßes anzuhalten (vgl. VG Braunschweig, Urteil vom 30. Juni 2006 – 6 A 493/03 -).

Die Anordnung zum Führen eines Fahrtenbuches ist auch nicht etwa ermessensfehlerhaft im Sinne des § 114 Satz 1 VwGO. Der angegriffene Bescheid des Antragsgegners lässt erkennen, dass er das Entschließungsermessen von § 31a StVZO ausgeübt hat. Auch die Dauer der Fahrtenbuchanordnung lässt keine Ermessensfehler erkennen. Insbesondere verstößt er nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies gilt hier erst recht angesichts der gewerblichen Tätigkeit der Antragstellerin.

In der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass schon ein einmaliger Verstoß gegen Verkehrsvorschriften, der nach der Anlage 13 zu § 40 FeV mit nur einem Punkt zu bewerten ist, regelmäßig eine so erhebliche Verkehrsübertretung darstellt, dass die Anordnung des Führens eines Fahrtenbuchs möglich ist, ohne dass es einer besonderen Begründung bedarf. Die hier angeordnete Dauer der Fahrtenbuchanordnung (zwölf Monate) ist bei einem mit drei Punkten zu bewertenden Verstoß nicht zu beanstanden. (…)

VG Oldenburg, Beschluss vom 30.03.2009, Az: 7 B 1004/09

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