OVG Münster zum Thema Führerscheintourismus – Scheinwohnsitz auf Verdacht oder wie man den EuGH ignoriert


Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren, dass die deutschen Behörden bei mangelnder Fahreignung eine später erteilte EU-Fahrerlaubnis entziehen dürfen, wenn „offenkundig ein ausländischer Scheinwohnsitz“ im Führerschein eingetragen ist. Das Oberverwaltungsgericht gab damit – wie zuvor das Verwaltungsgericht Düsseldorf – dem Landrat des Kreises Mettmann (Antragsgegner) Recht. Dieser hatte dem im Rheinland (zunächst in Düsseldorf, dann in Haan) ansässigen deutschen Antragsteller untersagt, von seiner polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen, obwohl der Führerschein einen Wohnsitz in Polen auswies.
Dem Antragsteller war die deutsche Fahrerlaubnis wegen seiner Abhängigkeit von Suchtmitteln entzogen worden, nachdem er 2001 u.a. den regelmäßigen Konsum von Cannabis, Ecstacy und Amphetamin eingeräumt hatte. Seine anschließenden Versuche, eine neue Fahrerlaubnis zu bekommen, scheiterten jeweils daran, dass sich der Antragsteller der nötigen medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) entweder erfolglos unterzog oder eine Begutachtung ablehnte. Im Oktober 2007 beantragte der Antragsteller beim Antragsgegner, seinen im Januar 2005 ausgestellten polnischen Führerschein umzuschreiben. Darin war als Wohnsitz eine Anschrift in Szczecin eingetragen. Mit dem Verdacht des Wohnsitzverstoßes konfrontiert, teilte der Antragsteller mit, der Antragsgegner könne eine entsprechende Mitteilung an Polen machen. Nach erneuter erfolgloser Aufforderung zur MPU erkannte der Antragsgegner dem Antragsteller mit sofort vollziehbarer Ordnungsverfügung das Recht ab, von der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen.

Dagegen erhob der Antragsteller Klage und beantragte beim Verwaltungsgericht Düsseldorf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht Düsseldorf ab. Die dagegen vom Antragsteller erhobene Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht nunmehr zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Mit seinen Urteilen vom 26. Juni 2008 (C-329/06 und C-343/06 sowie C-334/06 bis C-336/06) habe der Europäische Gerichtshof (EuGH) der Beachtung des in der europäischen Führerscheinrichtlinie aufgestellten Wohnsitzerfordernisses eine zentrale Rolle für die Bekämpfung des sog. Führerscheintourismus zugewiesen und deshalb den deutschen Behörden die Befugnis zuerkannt, in Fällen des offenkundigen Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis die Geltung der EU-Fahrerlaubnis für Deutschland abzuerkennen. Auch wenn in dem polnischen Führerschein des Antragstellers – anders als in den vom EuGH entschiedenen Fällen – kein deutscher, sondern ein polnischer Wohnsitz eingetragen sei, habe ihm die deutsche Behörde untersagen können, von der Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen. Die deutschen Behörden seien nach den jüngsten Entscheidungen des EuGH zur Entziehung einer EU-Fahrerlaubnis auch befugt, wenn – wie in diesem Fall – der Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Wohnsitzerfordernis aufgrund eines Eingeständnisses des Fahrerlaubnisinhabers oder aufgrund von ihm als eigene Verlautbarung zurechenbarer und trotz Kenntnis der Problemlage nicht substanziiert bestrittener Angaben offenkundig sei. Hinzu kommen müsse, dass die Zweifel an der Kraftfahreignung des Inhabers der EU-Fahrerlaubnis fortbestünden. Auch diese Voraussetzung treffe im Fall des Antragstellers nach wie vor zu. Der Beschluss ist unanfechtbar. Das Klageverfahren (Hauptsacheverfahren) ist noch beim Verwaltungsgericht Düsseldorf anhängig.

OVG Münster, Beschluss vom 12. Januar 2009, Az: 16 B 1610/08

Quelle: Pressemitteilung OVG Nordrhein-Westfalen vom 14. Januar 2009

Praxisrelevanz:

Zur Problematik des Führerscheintourismus wurde auf dieser Seite bereits mehrfach ausführlich berichtet. Auch wenn es aus Gründen der Verkehrssicherheit nachvollziehbar ist, dass in einem EU-Staat erworbene Führerscheine in Deutschland nur dann anerkannt werden sollen, wenn bestehende Fahreignungszweifel ausgeräumt sind, gilt es nicht nur für die Behörden, sondern auch für die Verwaltungsgerichte, die zu dieser Thematik ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu beachten und auch anzuwenden.

Letztmalig hatte der EuGH in seinen Urteilen vom 26.06.2008 (C-329/06, C-343/06, C-334/06 bis C-336/06 entschieden, dass Deutschland die Anerkennung tschechischer Führerscheine, die deutschen Staatsangehörigen nach Entzug einer deutschen Fahrerlaubnis ausgestellt wurden, nur verweigern kann, wenn diese während einer laufenden Sperrfrist erteilt wurden oder wenn sich ergibt, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung des Führerscheins kein ordentlicher Wohnsitz in der Tschechischen Republik bestand. Generell habe ein Mitgliedstaat die von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheine ohne jede vorherige Formalität anzuerkennen. Allein der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins sei als Nachweis dafür anzusehen, dass der Inhaber am Tag der Erteilung die notwendigen Voraussetzungen, so die eines einzigen ordentlichen Wohnsitzes im Ausstellerstaat, erfülle. Nur wenn anhand unbestreitbarer Informationen feststehe, dass die Wohnsitzvoraussetzung nicht erfüllt war, kann Deutschland es ablehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen.

In entsprechender Umsetzung der EuGH-Entscheidungen hatte das BVerwG entschieden (Urteile vom 11. Dezember 2008, Az: 3 C 26.07 und 3 C 38.07), dass für den Fall, dass im ausländischen Führerschein ein Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland eingetragen ist, die Voraussetzungen für eine Anerkennung in Deutschland eben nicht vorliegen.Wenn also im Führerschein ein Wohnsitz im Ausstellerstaat eingetragen ist und von dort von den deutschen Führerscheinbehörden keine Informationen erlangt werden können, dass der Wohnsitz tatsächlich nicht bestand, dürfte, so unser Fazit zur Entscheidung des BVerwG, eine Entziehung in Deutschland nicht in Frage kommen. Wir haben uns geirrt, wie die Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen zeigt.

Diese Entscheidung des OVG reiht sich allerdings nahtlos ein, in die mit der Rechtsprechung des EuGH nicht vereinbare Spruchpraxis zahlreicher Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte, die Anerkennung ausländischer Führerscheine zu versagen und deren Gebrauch für die Dauer der Prüfung, ob ein deutscher Führerschein erteilt wird, demnach bis zur Vorlage eines positiven MPU-Gutachtens zu untersagen. Bereits aus der Pressemitteilung des OVG geht hervor, dass allein ein Verdacht des Wohnsitzverstoßes vorlag, was nach den Entscheidungen des EuGH nicht ausreichend ist. Es hätte einer entsprechenden Mitteilung des Ausstellerstaates bedurft. Die Entscheidung des OVG ist allein mit den Informationen aus der Pressemitteilung von daher nicht nachvollziehbar.

Eine der Rechtsprechung des EuGH entsprechende Entscheidung hatte das OVG Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 31. Oktober 2008, Az: 10 A 10851/08.OVG, getroffen. Das Gericht hatte zutreffend ausgeführt, dass das europäische Recht die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten der EU ausgestellten Führerscheine ohne jede Einschränkung vorsehe. Es sei allein Aufgabe des Ausstellerstaates, die im Gemeinschaftsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis zu prüfen, und die Fahrerlaubnis zu entziehen, falls sich nachträglich herausstelle, dass sie zu Unrecht erteilt worden sei. Der Heimatstaat könne die Fahrerlaubnis nur ausnahmsweise entziehen bzw. den Gebrauch untersagen, wenn sich aus dem Führerschein selbst oder aus amtlichen Äußerungen des Ausstellerstaates ergebe, dass der Fahrerlaubnisinhaber dort keinen Wohnsitz gehabt habe. An einem derartigen amtlichen Hinweis fehlte es, weshalb die Fahrerlaubnis auch in Deutschland anzuerkennen war.

Nachtrag vom 27.01.2009:

Die Beschlussgründe sind auszugsweise im Beck-Experten-Blog veröffentlicht (zur Verfügung gestellt von www.fahrerlaubnisrecht.de).

Danach sah das OVG Münster einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis aufgrund eigener Einlassungen bzw. eigenen Verhaltens des Antragstellers. „Der Antragsgegner hat den Antragsteller im Verwaltungsverfahren mit Schreiben vom 5. Dezember 2007 zunächst mit dem Verdacht eines solchen Verstoßes konfrontiert und um nähere Darlegungen gebeten. Darauf ließ der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 10. Januar 2008 antworten, er ´stelle anheim, über das KBA eine entsprechende Mitteilung an den Ausstellerstaat zu machen´. Damit hat er zugestanden, dass ein polnischer Wohnsitz nie bestanden hat….”

Aus der schriftlichen Äußerung das Zugeständnis eines Scheinwohnsitzes zu entnehmen, klingt allerdings ein wenig an den Haaren herbeigezogen.

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