Die Anordnung der Blutentnahme und der Richtervorbehalt – Rückrechnung


(c) Oliver Haja / Pixelio

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Der Abbau der Alkoholkonzentration im Körper ist abhängig vom Geschlecht, vom Körpergewicht und von individuell abweichenden Faktoren. Während der durchschnittliche Abbauwert ca. 0,15 ‰ pro Stunde beträgt, ist bei Verkehrsstraftaten nach der Rechtsprechung zugunsten eines Beschuldigten von einem Abbauwert von 0,10 ‰ pro Stunde auszugehen (steht die Frage der Schuldfähigkeit zur Debatte, oder liegt keine Blutprobe vor, erfolgt sogar eine Rückrechnung mit 0,20 ‰ pro Stunde und einem einmaligen Zuschlag weiterer 0,20 ‰). Die Rückrechnung ist aber nur dann zulässig wenn feststeht, dass die Resorptionsphase abgeschlossen ist, was erst zwei Stunden nach Trinkende der Fall ist.
Steht das genaue Trinkende nicht fest, weil z.B. der Beschuldigte berechtigterweise hierzu schweigt, muss zu seinen Gunsten ein Zeitraum von zwei Stunden ab Feststellung der Trunkenheitsfahrt unberücksichtigt bleiben. Dies bedeutet, insbesondere bei Blutalkoholkonzentrationen im Grenzwertbereich , z.B. zur absoluten Fahruntauglichkeit ab 1,1 ‰ oder aber wenn der Beschuldigte einen sogenannten Nachtrunk behauptet (Alkoholkonsum erst nach Fahrtende), dass der ermittelte Wert durch Zeitablauf immer ungenauer und für den Beschuldigten damit günstiger wird.

Ein Beispiel: Um 22.00 Uhr führt die Polizei eine Fahrzeugkontrolle durch, der Fahrer scheint erkennbar alkoholisiert, der Verdacht einer Trunkenheitsfahrt besteht. Die Polizei ruft einen Bereitschaftsstaatsanwalt an. Dieser versucht längere Zeit den Bereitschaftsrichter zu erreichen. Die Blutentnahme erfolgt nach richterlicher Abordnung letztlich erst 5 Stunden nach dem Verdacht auf eine Trunkenheitsfahrt, die gemessene Blutalkoholkonzentration zum Zeitpunkt der Blutentnahme beträgt 0,75 ‰. Der Beschuldigte schweigt weiter, so dass zum Trinkende keine Feststellungen getroffen werden können. Zwei Stunden haben danach für die Berechnung außer Ansatz zu bleiben. Die verbleibenden drei Stunden sind mit dem Abbauwert von 0,1 ‰ pro Stunde zurückzurechnen. Daraus ergibt sich eine angenommene Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,05 ‰. Die Grenze zur absoluten Fahruntauglichkeit von 1,1 ‰ ist zwar nur knapp, aber eben noch nicht erreicht. Da ein Fahrfehler nicht vorlag, scheidet eine Straftat nach § 316 StGB aus. Der Beschuldigte kann nur wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 StVG verfolgt werden, was einen erheblichen Unterschied ausmacht. Bei der Straftat einer Trunkenheit im Straßenverkehr erfolgt in der Regel die Entziehung der Fahrerlaubnis, bei einer Ordnungswidrigkeit wird „nur“ ein Fahrverbot angeordnet.

Exakte Rückrechnung bei Drogen ist nicht möglich

Bei berauschenden Mitteln (Drogen, Medikamente) ist eine exakte Rückrechnung nicht möglich. Eine zeitnahe Blutentnahme ist daher zwingend notwendig, um eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit nachzuweisen, und je nach Wirkstoff nur innerhalb begrenzter Zeiträume möglich. Die Rechtsprechung geht bei Tetrahydrocannabinol (THC) davon aus, dass es sich nach dem Konsum relativ schnell abbaut und die THC-Konzentration entsprechend schnell sinkt (einige Gerichte meinen zwischen 3 bis 6 bis hin zu 12 und auch mehr Stunden, womit aber nur aktives THC gemeint sein kann, da Abbauprodukte entsprechend länger – THC-OH 5 bis 6 Stunden und THC-COOH rund 6 Tage – nachweisbar sind, straf- bzw.ordnungswidrigkeitenrechtlich aber nicht interessieren). Konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung und den Abbauzeitraum von THC gibt es nicht (Übersicht zum wiss. Meinungsstand zu THC bei Krause in HRRS 2005, 138 ff.; Tabelle mit Nachweiszeiten unter verkehrslexikon.de). Auch Kokain soll nur eine kurze Halbwertszeit haben. Kokain wird fast vollständig über die Leber abgebaut, ein Teil wird über die Nieren ausgeschieden. Die Abbauprodukte Benzylecgonin und Methylecgoninester sollen bis zu 48 Stunden nach Kokainkonsum im Urin nachgewiesen werden können. Abbauprodukte belegen aber nur einen zu irgendeinem vorherigen Zeitpunkt stattgefundenen Konsum, nicht aber die Beeinflussung eines Beschuldigten zum Zeitpunkt des Fahrens.

„Das haben wir schon immer so gemacht.“

Es sprechen von daher sicher einige praktische Erwägungen dafür, angesichts der Massendelikte im Straßenverkehr, eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft bzw. deren Ermittlungspersonen aufgrund Gefahr im Verzug anzunehmen, wenn die Einholung eines vorherigen richterlichen Beschlusses den Ermittlungserfolg, hier in Form einer durch Blutentnahme gesicherten Blutalkoholkonzentration oder eines Wirkstoffwertes, ganz oder teilweise vereiteln oder gefährden könnte. Vor praktischen Erwägungen stehen aber das Gesetz und das Bundesverfassungsgericht, welches mit einer Entscheidung im Februar 2007 die jahrzehntelang praktizierte Vorgehensweise der Anordnung einer Blutprobe durch die Polizei kritisierte, den gesetzlichen Richtervorbehalt betonte und den Begriff der Gefahr im Verzug (zum wiederholten Male) eng auslegte. Mehr dazu im nächsten Teil.

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