Merkantile Wertminderung


Die Schadensposition einer sog. merkantilen Wertminderung (oder merkantiler Minderwert) entsteht regelmäßig dadurch, dass ein Fahrzeug nach einem Unfall einen geringeren Marktwert hat als ein gleichwertiges unfallfreies Fahrzeug. Da im Falle eines Verkaufs auf Nachfrage der Unfallschaden nicht verschwiegen werden darf, wird sich in der Regel nur ein geringerer Verkaufserlös realisieren lassen, selbst dann, wenn das Fahrzeug technisch einwandfrei instand gesetzt wurde. Unerheblich für den Ersatz der Wertminderung ist, ob das Fahrzeug tatsächlich später verkauft werden soll. Diese ist demnach auch dann zu ersetzen, wenn der Schaden fiktiv, auf Gutachtenbasis geltend gemacht wird.

Berechnungsmodelle der merkantilen Wertminderung

Nach der Methode von „Sahm/Ruhkopf“ wird der Minderwert aus den Beträgen für Reparaturkosten und Wiederbeschaffungswert sowie aus dem Alter des Fahrzeugs in Jahren berechnet. Dieses Schema wurde allerdings seit 1962 nicht mehr angepasst und ist als überholt anzusehen. Nach der Methode „Halbgewachs/Berger“ (Dekra-Modell) berechnet sich der Minderwert aus der Laufleistung des Fahrzeugs in 1.000-km-Schritten und dem Betrag der Reparaturkosten. Daneben existieren noch andere Methoden, z.B. das „Hamburger Modell“ oder die „Bremer Formel“ (Übersicht der verschiedenen Berechnungsmodelle im Verkehrslexikon und bei Wikipedia). Keine der Methode hat sich bisher als verbindlich durchgesetzt.

Merkantile Wertminderung bei älteren Fahrzeugen bzw. Fahrzeugen mit hoher Laufleistung

Problematisch gestaltet sich die Schadenregulierung der merkantilen Wertminderung bei älteren Fahrzeugen und insbesondere bei solchen mit einer hohen Laufleistung. Die Rechtsprechung zieht im Allgemeinen die Grenze bei Fahrzeugen, die zum Unfallzeitpunkt bereits 5 Jahre zugelassen waren bzw. eine Laufleistung von 100.000 Kilometer aufweisen. Derartige Fahrzeuge hätten keine nennenswerte Lebenserwartung mehr, so dass ein Minderwertsschaden nicht mehr messbar sei.

Der Bundesgerichtshof entschied seinerzeit mit Urteil vom 18.09.1979, Az: VI ZR 16/79, (in VersR 1980, 46 f.), dass bei Pkw eine Fahrleistung von 100.000 km als obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts angesetzt werden müsse. Dies mag für die Vergangenheit zutreffend gewesen sein, heutige, moderne Fahrzeuge erreichen jedoch ohne weiteres Laufleistungen von 200.000 km und mehr. In einer neueren Entscheidung vom 23.11.2004, Az: VI ZR 357/03, (in DAR 2005, 78 ff.) gab der Bundesgerichtshof diese generalisierende Auffassung dann auch zu Gunsten einer Einzelfallbetrachtung auf.

Rechtssprechungsübersicht

BGH vom 18.09.1979, Az: VI ZR 16/79: Wertminderung auch bei Nutzfahrzeugen

In der grundlegenden Entscheidung des BGH war eigentlich über eine Wertminderung bei einem gewerblich genutzten Lkw zu entscheiden. Wesentlich an dieser Entscheidung waren allerdings die Ausführungen des BGH zur Fahrleistungsgrenze einer merkantilen Wertminderung bei Pkw von 100.000 Kilometern, die als unumstößliche Marke von den Instanzgerichten aufgegriffen wurde.

Grundsätzlich besteht nach Auffassung des BGH ein Anspruch auf Ersatz des merkantilen Minderwert auch bei Nutzfahrzeugen. Das gilt jedenfalls dann, wenn für solche Fahrzeuge ein Gebrauchtwagenmarkt besteht. Auch Lkw werden, wenn sie bei einem Unfall erheblich beschädigt werden, trotz Behebung der technischen Schäden im allgemeinen geringer bewertet als unfallfrei gefahrene Wagen, denn ein großer Teil der Käufer auch solcher Fahrzeuge ist – vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden und der möglicherweise bestehenden höheren Schadenanfälligkeit reparierter Wagen – nicht bereit, für wieder instand gesetzte Unfallfahrzeuge denselben Preis zu zahlen wie für entsprechende unbeschädigte Wagen. Insoweit kann es keinen Unterschied gegenüber Pkw geben.

Von Ausnahmen abgesehen (BGHZ 35, 396 = VersR 61, 1043) stellte bei Pkw im allgemeinen eine Fahrleistung von 100000 km die obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts dar. Das beruht auf der Überlegung, dass derartige Pkw im allgemeinen nur noch einen derart geringen Handelswert haben, dass ein messbarer Minderwert nach Behebung der Unfallschäden nicht mehr eintritt. Anders ist es aber bei einem Lkw, der eine Laufleistung von 300000 bis 400000 km erreichen kann. Ein solcher Lkw kann bei entsprechend niedrigerer Laufleistung, durchaus noch eine Wertminderung nach einem Unfall erleiden.

BGH vom 23.11.2004, Az: VI ZR 357/03: hohe Laufleistung steht Wertminderung nicht entgegen

In der Entscheidung vom 23.11.2004 hatte der BGH erneut Gelegenheit, zur Wertminderung bei älteren Fahrzeugen Stellung zu nehmen und kam zu dem Ergebnis, dass sich mit der technischen Entwicklung und der Langlebigkeit der Fahrzeuge eine Grenze bei 100.000 Kilometern nicht mehr rechtfertigen lasse. Die Festlegung präziser Grenzwerte vermied der BGH allerdings. In dem entschiedenen Fall wurde ein merkantiler Minderungswert bei einem 16 Jahre alten Fahrzeug mit einer Laufleistung von 165.000 km und einem Wiederbeschaffungswert von 2.100,00 EUR im Ergebnis verneint.

Aus den Gründen:

„Der Senat hat bisher nicht abschließend entschieden, bis zu welchem Alter eines Fahrzeuges bzw. bis zu welcher Laufleistung ein merkantiler Minderwert zuerkannt werden kann. (…) In einer (…) Entscheidung vom 18. September 1979 VI ZR 16/79 (VersR 1980, 46, 47) hat der Senat zwar erwogen, bei Personenkraftwagen könne im allgemeinen eine Fahrleistung von 100.000 km als obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts angesetzt werden. Diese Einschätzung stützte sich jedoch unter Berücksichtigung der damaligen Verhältnisse auf dem Gebrauchtwagenmarkt auf die Überlegung, dass solche PKW im allgemeinen nur noch einen derart geringen Handelswert hätten, dass ein messbarer Minderwert nach Behebung der Unfallschäden nicht mehr eintrete (…). Die Beurteilung war mithin nicht allein auf die Laufleistung des Fahrzeuges bezogen, sondern maßgeblich auf deren Bedeutung für seine Bewertung auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Diese Bedeutung kann sich im Laufe der Zeit mit der technischen Entwicklung und der zunehmenden Langlebigkeit der Fahrzeuge (z.B. infolge längerer Haltbarkeit von Motoren, vollverzinkter Karosserien etc.) ändern. Ein entsprechender Wandel auf dem Gebrauchtwagenmarkt spiegelt sich insbesondere in der Bewertung von Gebrauchtfahrzeugen durch Schätzorganisationen wie Schwacke und DAT wieder, die in ihren Notierungen inzwischen bis auf 12 Jahre zurückgehen und ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich sämtliche Marktnotierungen auf unfallfreie Fahrzeuge beziehen (…). Der vorliegende Fall nötigt den Senat nicht zu einer abschließenden Stellungnahme, bis zu welcher Grenze nach heutigen Maßstäben ein merkantiler Minderwert zuerkannt werden kann.“

OLG Oldenburg, Urteil vom 01.03.2007, Az: 8 U 246/06

Eine Einzelfallbetrachtung hat das Oberlandesgericht Oldenburg vorgenommen. Die Klägerin in diesem Verfahren hatte von der gegnerischen Haftpflichtversicherung erfolglos den Ersatz der an ihrem Fahrzeug nach einem Unfall entstandenen Wertminderung verlangt. Die Versicherung hatte eingewandt, dass an dem Fahrzeug wegen dessen hoher Laufleistung von knapp 200.000 Kilometern, kein Minderwert anzusetzen wäre und bekam vor dem Landgericht zunächst Recht. Das OLG Oldenburg sah das allerdings anders und sprach der Klägerin den Minderwert in Höhe von 250,00 Euro zu.

Wertminderung als eigenständige Position im Gutachten

Ein Geschädigter, der einen Sachverständigen mit der Schadenschätzung beauftragt hat, sollte darauf achten, dass die Wertminderung im Schadengutachten ausdrücklich aufgeführt ist. Wenn keine Wertminderung enthalten ist, sollte man bei neueren Fahrzeugen ohnehin, aber auch bei älteren bzw. Fahrzeugen mit hoher Kilometerleistung, den Grund erfragen.

Weitere Informationen:
Verkehrslexikon RA Giese mit Berechnungsmodellen der merkantilen Wertminderung
Wikipedia – Minderwert

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