Die Geschichte der Akte mit den vielen roten Deckeln fand heute ihre Fortsetzung vor dem AG Tiergarten. Unser Mandant war wegen eines versuchten Prozessbetruges verurteilt worden, da er in einem Zivilverfahren abgestritten hatte, ein Schuldanerkenntnis unterschrieben zu haben. Die Unterschrift sei nicht von ihm. Da die Inhaberin des Schuldscheins und ihr Ehemann allerdings behaupteten, ihm bei der Unterschriftsleistung gegenübergesessen zu haben, befand das AG Tiergarten unseren Mandanten des versuchten Betruges für überführt.
Einem Richter am Landgericht in dem parallel laufenden Zivilverfahren, der sich für die Feststellungen des Strafgerichts nicht interessierte, war es zu verdanken, dass ein Schriftsachverständigengutachten eingeholt wurde. Das ergab, dass es sich bei der Unterschrift um eine Nachahmungsfälschung handelt, unser Mandant diese Unterschrift also nicht geleistet hatte. Wir beantragten daraufhin die Wiederaufnahme des Strafverfahrens, mit Erfolg.
Nachdem wir im November zunächst im Rahmen eines Beweistermins den interessanten Ausführungen und Anekdoten des Schriftsachverständigen lauschen durften, war die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens beschlossen worden, das ganze Strafverfahren musste demnach wiederholt werden. Zum heutigen Termin kamen die Zeugin, die behauptet hatte, unser Mandant hätte den Schuldschein in ihrer Gegenwart unterschrieben und ihr Ehemann. Ein weiterer Zeuge war nicht erschienen. Das Gericht hat den beiden Zeugen sehr ausführlich die Norm zum Zeugnisverweigerungsrecht erläutert. Umso überraschter waren alle Beteiligten, als sowohl die Zeugin, als auch ihr Ehemann aussagen wollten.
Es blieb der der Behauptung, unser Mandant habe das Anerkenntnis unterschrieben. Man habe schließlich zusammen gesessen. Das dem entgegenstehende Gutachten wurde mit der Bemerkung weggewischt, der habe doch gar keine Ahnung. Die Zeugin hielt sich für kompetenter in der Begutachtung von Handschriften, als ein ehemaliger Schriftsachverständiger des BKA. Und schuld an allem sei nur ihr Anwalt, was man dem Kollegen aber nun wirklich nicht vorwerfen konnte*.
Die Fragestunde mit der Zeugin zog sich über eine gute Stunde hin, die Antworten wurden nicht besser, die Widersprüche immer größer. Die Fragen der Verteidigung wurden schleppend beantwortet bis weitschweifig kommentiert, so dass die Ermahnungen an die Zeugin eindringlicher und lauter wurden. Dann kam ihr Ehemann in den Zeugenstand, erklärte, er möchte eigentlich keine Aussage machen, nur was erklären. Das wollte die Richterin aber nicht hören, sie wollte ein ja oder ein nein hören. Daraufhin fing der Zeuge dann doch an auszusagen und zunehmend cholerischer zu werden und den Verteidiger, der noch nicht eine Frage gestellt hatte, als den größten Lügner von allen und Idioten zu betiteln.
Strafverteidiger haben ein dickes Fell. Wäre es dabei geblieben, Schwamm drüber. Aber als auch nach Beschwichtigungsversuchen und eindringlichen Ermahnungen der Richterin die gleichen Worte noch mehrfach fielen, ist auch dem Verteidiger der Kragen geplatzt. Neben der deutlich vernehmbaren Ansage, was dem Zeugen einfalle, sich vor einem Gericht so zu benehmen, wurde die Protokollierung der Äußerungen nebst Strafantrag beantragt, was auch prompt umgesetzt wurde. Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung und Hinzuziehung mehrerer Justizwachtmeister konnte die Sache dann fortgesetzt werden, auf weitere Fragen an den Choleriker wurde allseits verzichtet. Da ein Zeuge nicht erschienen war, wird die Sache demnächst fortgesetzt. Wir werden berichten.
* Sehr geehrter Herr Kollege, sollten Sie hier mitlesen, Ihnen als Eingeweihten dürfte die Sache ja bekannt vorkommen, meinen Respekt haben Sie sich verdient. Harte Schriftsätze, wir haben uns in dem Verfahren nichts geschenkt, aber gleichwohl ein sehr kollegiales Verhalten. Sie haben sich mit Sicherheit nichts vorzuwerfen.