Die schöne Wassilissa oder was aus einem einfachen Mahnverfahren werden kann


Die Sache mit der Aktenablage und den Sprichwörtern gefällt mir immer besser. Heute mal eine Geschichte von zwei Akten, dazu  noch ein biblisches Zitat: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ (Exodus 21,24)

Es fing alles so harmlos an. In der Zahnarztpraxis unserer Mandantin wurde eine Kassenpatientin behandelt, nennen wir sie die schöne Wassilissa. Da Wassilissa noch ein paar Sonderwünsche hatte, so auch eine besondere Zahnverblendung, natürlich farblich abgestimmt, wurde – da so etwas natürlich die Kasse nicht zahlt – eine gesonderte Vereinbarung getroffen, wonach der Eigenanteil etwa 560 Euro betragen würde. Wassilissa unterschrieb, die Behandlung wurde durchgeführt und Wassilissa ward noch schöner. Als die Rechnung, die noch unter dem ursprünglich kalkulierten Eigenanteil lag, nicht bezahlt wurde, landete die Sache bei uns und mein Kollege beantragte einen Mahnbescheid gegen den Wassilissa Widerspruch erhob.

Nach Begründung des Anspruchs wurde es undurchsichtig. Für  Wassilissa meldete sich deren deutscher Ehemann und behauptete  in einem wirren Schriftsatz seine ausschließlich russisch sprechende Gattin schulde nichts, denn er wäre bei der Besprechung vor Behandlungsbeginn dabei gewesen und habe alles „verhandelt“. Erst nach der Behandlung habe  seine Frau was unterschrieben, dort stand aber ein Betrag von 0 Euro. Das jetzt vorgelegte Exemplar mit dem Betrag von 560 Euro sei also eine Fälschung,  der Betrag sei nachträglich ergänzt worden und man habe bereits Strafanzeige erstattet. Da ist man erst einmal baff und fragt sich, ob das tatsächlich ernst gemeint oder ob das jetzt eine Art modernes russisches Märchen ist. Wozu soll eine Zusatzvereinbarung abgeschlossen werden, wenn keine Kosten anfallen sollen.

Es war aber ernst gemeint, denn unsere Mandantin bekam die Mitteilung, dass gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges und Urkundenfälschung geführt wird. Somit landete auch das Zivilverfahren auf meinem Tisch, denn wenn es wirr und/oder strafrechtlich wird, entledigt sich mein Kollege gern solcher Akten mit der Bemerkung, er mache doch kein Strafrecht. Das Ermittlungsverfahren wurde nach kurzer Stellungnahme zwar eingestellt, auf Beschwerde von Wassilissas Ehemann aber wieder aufgenommen und nach etwas längerer Stellungnahme und einem freundlichen Telefonat mit dem bearbeitenden Staatsanwalt nochmals eingestellt.

In der Zwischenzeit hatte das Amtsgericht Wedding eine Beweisaufnahme durchgeführt, die behandelnde Zahnärztin – dem Russischen als Muttersprachlerin mächtig –  und der Ehemann – des Russischen nicht mächtig – wurden gehört. Wobei sich dann herausstellte, dass der Ehemann entgegen seiner Darstellung bei der Unterzeichnung der Vereinbarung überhaupt nicht zugegen war. Offensichtlich hatte  Wassilissa sich für ihren Göttergatten verschönern, ihre kostspielige Zahnbehandlung  aber geheim halten wollen, sich aber dann etwas verkalkuliert. Wer weiß was sie ihrem Göttergatten auf Russisch erzählt und was dieser verstanden hat. Der Richter wollte – warum auch immer – noch das Original der Zusatzvereinbarung sehen und dann im schriftlichen Verfahren entscheiden. Unsere Mandantin packte die Vereinbarung also in einen Briefumschlag, schickte das ganze per Einschreiben an unsere Kanzlei und wir gingen davon aus, dass das Verfahren in Kürze sein Ende finden würde.

Weit gefehlt. Kaum war der Brief abgesandt, standen zwei Polizeibeamte in der Praxis und wedelten mit einem Durchsuchungsbeschluss., woraufhin unsere  Mandantin panisch hier in der Kanzlei anrief.  Wie sich herausstellte, hatte die Staatsanwaltschaft auf nochmalige Beschwerde hin, das Verfahren wieder aufnehmen müssen und wollte jetzt die Vereinbarung im Original haben. Offensichtlich unfähig einfach in unserer Kanzlei anzurufen,  beantragte man einen Durchsuchungsbeschluss, den einer der üblichen Verdächtigen beim AG Tiergarten auch noch unterschrieb.

Es gelang, die Beamten davon zu überzeugen, zunächst einmal mein Eintreffen abzuwarten und nach Vorlage des Einlieferungsscheins der Post auch noch davon, dass eine Durchsuchung erfolglos verlaufen würde. Mein anschließendes Telefonat mit dem bearbeitenden Staatsanwalt war laut und überhaupt nicht mehr freundlich. Sein lakonischer Kommentar zu dieser Aktion lautete, wenn die GenStA die Wiederaufnahme der Ermittlungen anordnet, muss er sehen wie er an seine Beweismittel kommt. Großzügig wie wir sind, habe ich am nächsten Tag als die Post durch war die Beamten angerufen und mitgeteilt, dass die  Vereinbarung in unserer Kanzlei eingetroffen ist und abgeholt werden kann.

Die anschließende Untersuchung durch einen Schriftsachverständigen des LKA verlief erwartungsgemäß. Es konnte nicht festgestellt werden, dass nachträglich an der Vereinbarung manipuliert worden ist. Das Ermittlungsverfahren wurde erneut eingestellt, ohne dass Beschwerde erhoben wurde. Das Amtsgericht Wedding verurteilte  die Patientin antragsgemäß zur Zahlung. Da ich die ganze Sache nun sehr sportlich nahm, gab es zum einen vor der Zwangsvollstreckung keine der sonst üblichen Ankündigungen. Und siehe da, es konnte im ersten Versuch erfolgreich vollstreckt werden. Zum anderen erstattete ich Strafanzeige gegen Wassilissa und ihren Ehemann. Zumindest ein versuchter Prozessbetrug und eine uneidliche Falschaussage standen im Raum. Ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde allerdings eingestellt, mangels Tatverdacht. Auf eine Beschwerde haben wir verzichtet.

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