Der Knast-Bankier oder „mit Karacho gegen die Tür“


Unser Kooperationspartner, Rechtsanwalt Dr. Carsten Pagels aus Torgau übermittelte uns die nachfolgende Geschichte als Gastbeitrag:

Ganz gern habe ich Mandate aus der JVA. Besprechungstermine werden immer eingehalten, und ich bestimme, wie lange es dauert. Mein Mandant sitzt dort lange, schon über 9 Jahre am Stück. 2013 soll er rauskommen. Er hat es sich dort soweit es geht ganz kommod eingerichtet. Arbeiten in der JVA will er nicht, da er keine Lust hat. Stattdessen verleiht er an Mitgefangene Tabak, Kaffee und andere Dinge, die das Leben angenehmer dort machen. Nimmt er für sein Verleihen Zinsen? Nein – ja – vielleicht, man suche sich eine Antwort selbst aus. Und was macht er, wenn es nicht zurückgezahlt wird? Er sagt: „Wissen Sie, ich bin hier im Knast eine Respektsperson; die geben immer zurück, ich muss keinen Druck ausüben“ In jeder JVA gibt es eine Reihe solcher Verleiher. Er sagt: „Ich habe immer Wert darauf gelegt, das anstaltsöffentlich zu machen, alle Schließer und auch die Anstaltsleitung wissen, das ich verleihe“.

Plötzlich wird ein Verfahren wegen Anstiftung zur räuberischen Erpressung gegen ihn eingeleitet. Ein drogensüchtigter Mitgefangener hat von einem anderen Gefangenen eins auf die Nase gekriegt. Der Belastungszeuge sagt, das könne nur auf Initiative meines Mandanten geschehen sein, da dieser ihn ja kurze Zeit zuvor wegen einer Tabakrückgabe angesprochen habe. Er vermute deshalb, dass der Schläger im Auftrag meines Mandanten gekommen sei. Im Ermittlungsverfahren wird ein erheblicher Aufriss gemacht. Ermittlungsrichter, mehrere staatsanwaltliche Vernehmungen des Superzeugen, Durchsuchungsbeschlüsse, Zellendurchsuchungen bei meinem Mandanten, Beistandsbestellungen für den Zeugen.

Nach Aktenstudium fahre ich in die JVA und teile meinem Mandanten mit: „Keine Sorge, die Staatsanwaltschaft hat nichts; es sind nur Vermutungen, wir schweigen weiter und dann wird das Verfahren eingestellt.“ Mein Mandant macht sich Sorgen um seine Entlassung zum Haftzeitende (im JVA-Jargon „TE“ genannt) und befürchtet einen Nachschlag.

Und was passiert? Klar, Anklage. Ein Schöffengericht einer deutschen Großstadt. Ein scharfer und selbst die Ermittlungen führender Staatsanwalt in der Sitzung. Vier Verhandlungstage. Heraus kommt als Beweisergebnis: Mein Mandant verleiht und nimmt wohl auch „Zinsen“ (eine Dose Tabak verleihen, zwei zurückgeben). Das Opfer schildert erneut, dass er von dem anderen eins auf die Nase bekommen hat, was einen blauen Fleck nach sich zog, dass der Name meines Mandanten nicht gefallen sei und dass er nur vermute, dass der Schläger im Auftrag meines Mandanten gekommen sei.

Ich sage zu meinem Mandanten nach den Schlussvorträgen: „Ein glatter Freispruch. Man hat nichts gegen Sie bewiesen. Bezüglich der Anstiftung braucht das Gericht zumindest gewisse Anhaltspunkte, wann und wie sie den anderen angestiftet haben sollen. Hier steht noch nicht einmal fest, dass sie sich überhaupt kennen.“ So weit lehne ich sonst selten aus dem Fenster, ich konnte mir jedoch nichts anderes vorstellen. Mein Mandant zweifelt. Mein Mitverteidiger, ein alter Strafverteidiger-Fahrensmann, sagt mir in der Pause „Klar, sieht nach Freispruch aus, ist aber nicht sicher“. Ich frage warum. „Wegen der Gerichtsbesetzung“. Der Vorsitzende steht offensichtlich knapp vor der Pensionierung und die beiden Schöffinnen sind Damen in den besten Jahren, 60 plus, Typ „Oma macht Dir heute einen schönen Marmorkuchen“.

Urteil einen Tag vor Heiligabend: Ein schönes Weihnachtsgeschenk: Zwei Jahre Nachschlag. Wahnsinn. Mein Mandant tobt im Saal. Ich verstehe das durchaus. Ich lege unbestimmtes Rechtsmittel ein, freue mich auf die Sprungrevison und erwarte die Urteilsgründe. Dort heißt es dann „X beauftragte den Y zu nicht mehr aufklärbarer Zeit, den Geschädigten Z durch Androhung oder Ausübung von Gewalt zur Tabakherausgabe zu zwingen“. Das war’s dazu. Ich glaube es nicht. Natürlich – ich hatte es nicht anders erwartet – macht mir die StA die Sprungrevision durch eigene Berufung kaputt.

Sechs Monate später vor dem Landgericht. Die BILD-Zeitung titelt: „Knast-Bankier vor dem Landgericht. Bei ihm kann man alles kriegen, Hauptsache man zahlt 1000 % Zinsen“. Mein Mandant sieht die Kammervorsitzende und macht ein langes Gesicht. „Die Olle hat mir damals die elfeinhalb Jahre reingedrückt“.

Dazu muss man wissen: Damals war er wegen diverser schwerer Delikte angeklagt. Am 20. und vorletzten Verhandlungstag ist eine Schöffin krank und der Prozess droht aufgrund der damals noch geltenden 10-Tages-Regel zu platzen. „Da hab ich keinen Bock mehr drauf gehabt“. Er springt auf, und will aus dem Saal rennen. Zwei Wachtmeister versuchen ihn festzuhalten. Richter und Staatsanwältin rennen „Hilfe, Hilfe, Fluchtversuch“ aus dem Saal. Die Staatsanwältin (schon auf dem Flur) denkt, ich mache jetzt die Tür von außen zu, dann kann er nicht raus. Im Saal hat er zwischenzeitlich die Wachtmeister abgeschüttelt und strebt mit Siebenmeilenstiefeln der Tür entgegen, die sich in dem Moment von außen zu schließen beginnt (die Staatsanwältin!). „Da bin ich dann mit ordentlich Karacho gegen gesprungen“. Die Staatsanwältin verstaucht sich ihr staatsanwaltliches Handgelenk und mein Mandant entkommt aus dem Gericht Richtung Freiheit und genießt 10 freie Tage, bis man ihn wieder hat. Solche Geschehnisse wie damals liebt die Justiz sehr. Bei der Neuverhandlung gab es statt vielleicht angemessener 7 oder 8 Jahre dann 11 ½. Das war dann wohl der Fluchtzuschlag. Immerhin: Das staatsanwaltliche Handgelenk hat eine Sachbehandlung nach § 154 StPO gefunden.

Nun, eben diese Kammervorsitzende der damaligen Neuverhandlung leitet jetzt die Berufungsverhandlung. Sie führt durch vier Verhandlungstage, lässt nie einen Zweifel aufkommen, dass sie meinen Mandanten für einen ganz schweren Jungen hält und spricht am Ende frei. O-Ton: „Ein ganz deutlicher Freispruch. Wir haben am Ende der Beweisaufnahme nichts weiter als Vermutungen. Das mag für einen Anfangsverdacht, aber niemals für eine Verurteilung reichen.“

Respekt. Geht doch. (CP)

, , , , , , ,