LArbG Berlin-Brandenburg: Was ist Mobbing


Die 1964 geborene Klägerin arbeitete seit Januar 1992 als Senior Consultant bei der Beklagten. Auf Grund einer Vereinbarung in 2001 leistete die Klägerin als Competence Teamleiterin sog. Telearbeit. In den Jahren 2002 und 2003 unternahmen zwei unmittelbare Vorgesetzte der Klägerin insgesamt drei Versuche, diese Vereinbarung zu widerrufen. Im Dezember 2003 wurde schließlich eine Weiterführung der Telearbeit vereinbart, wobei die Klägerin verbindlich zusicherte, März 2004 an zwei Tagen pro Woche im Büro anwesend zu sein. Ab Ende Oktober 2007 traten bei der Klägerin erhebliche Fehlzeiten auf; seit Februar 2009 ist sie durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben und behauptete, dies beruhe auf einer posttraumatischen Belastungsstörung auf Grund von Mobbing ihrer Vorgesetzten in den Jahren 2002 und 2003. Von 2002 bis 2006 habe sie weder eine Gehaltserhöhung noch eine Beteiligung am Geschäftserfolg und auch keine Erhöhung ihrer Altersversorgung erhalten. Sie verklagte ihre Arbeitgeberin daher, ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld und darüber hinaus 30.092,50 Euro an sie zu zahlen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Klage abgewiesen, da schon nicht ersichtlich sei, dass die Vorgesetzten der Klägerin schuldhaft gegen vertragliche Rücksichtnahmepflichten verstoßen hätten. Eine schriftliche Rüge vom Januar 2002, dass die Klägerin weder einen Monatsbericht noch die Umsatzdatei für ihr Team abgegeben habe, sei nachvollziehbar und könne nicht als Angriffshandlung verstanden werden. Auch hinsichtlich der versuchten Widerrufe der Telearbeitsvereinbarung sei kein vertragswidriges Verhalten erkennbar. Die Einigung in 2003 sei vor dem Hintergrund einer nicht für ausreichend erachteten Büropräsenz der Klägerin erfolgt und habe sich durch den nachfolgenden Kompromiss erledigt. Soweit schließlich in einer E-Mail vom September 2009 das „bevorstehende Ausscheiden“ der Klägerin verkündet wurde, habe die Beklagte noch am selben Tag klargestellt, dass damit nicht ein Verlassen der Firma, sondern ein Ausscheiden aus der Funktion als Teilprojektleiter gemeint gewesen sei.

Die gegen die Klageabweisung gerichtete berufung der Klägerin wurde vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg abgewiesen, die Revision wurde nicht zugelassen.

Aus den Gründen:

Die Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen vertraglichen oder deliktischen Anspruch wegen sog. Mobbings auf Ersatz immateriellen wie materiellen Schadens aus seinerzeit gewohnheitsrechtlich anerkannter positiver Forderungsverletzung und gemäß §§ 253, 278 Satz 1, 823 Abs. 1, 831 Abs. 1 Satz 1, 847 BGB a.F. bzw. gemäß §§ 241 Abs. 2, 253 Abs. 2, 278 Satz 1, 280 Abs. 1, 823 Abs.1, 831 Abs. 1 Satz 1, 847 BGB, die gemäß Art. 229 § 5 EGBGB ab 1. Januar 2003 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung gefunden haben.

Es war nicht erkennbar, dass die von der Klägerin beanstandeten Vorgänge Verletzungen der Pflicht der Beklagten zur Rücksichtnahme auf Persönlichkeit und Gesundheit der Klägerin darstellten, wie das Arbeitsgericht im Einzelnen ausgeführt hat ( § 69 Abs. 2 ArbGG ). Die Angriffe der Klägerin gaben allerdings zu folgenden Ergänzungen Anlass.

(…)

Die schriftliche Beanstandung vom 7. Januar 2002 war weitgehend schon nicht unberechtigt. Dass die Klägerin in der Zeit vom 4. bis 21. Dezember 2001 ihren kranken einjährigen Sohn zu betreuen hatte, machte es ihr weder unmöglich noch unzumutbar, ihrer Tätigkeit für die Beklagte nachzugehen. Gerade darin liegt ein Vorteil für den Arbeitgeber, der seinem Arbeitnehmer die Möglichkeit der Leistung von Telearbeit einräumt, weil diese nicht mit häuslicher Abwesenheit verbunden und auch nicht zu bestimmten Tageszeiten zu leisten ist. (…) Wenn der Klägerin das notwendige Zahlenmaterial in Folge eines Missverständnisses nicht per E-Mail zugeliefert worden war, wäre es an ihr gewesen, sich wegen dessen Ausbleibens zu melden. Soweit die Klägerin am Abschluss von Monatsbericht und Umsatzdatei durch ihren sich an die Krankheit ihres Kindes anschließenden Weihnachtsurlaub gehindert war, mag die Kritik ihres Vorgesetzten unberechtigt gewesen sein. Nicht jede unberechtigte Kritik, überzogene Abmahnung oder gar unwirksame Kündigung stellt jedoch gleichzeitig auch eine Persönlichkeitsverletzung dar und führt auch nicht zu einer Verletzung der vertraglichen Pflicht zur Rücksichtnahme ( BAG, Urteil vom 13.03.2008 – 2 AZR 88/07 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 R 51 a. E. ).

Der wiederholte Versuch, die Telearbeitsvereinbarung mit der Klägerin zu widerrufen, stellte keine die Klägerin herabwürdigende Behandlung dar, sondern diente erkennbar dazu, im Interesse einer effektiven Aufgabenerledigung die Präsenz der Klägerin im Betrieb zu erhöhen. Um dem Interesse der Klägerin an einer weiteren Leistung von Telearbeit entgegenzukommen, hat die Beklagte sie auf ihr Angebot zunächst von der Teamleitung und sodann auch von der weiteren Teilprojektleitung entbunden. Schließlich ist unter dem 8. Dezember 2003 einerseits vereinbart worden, dass die Vereinbarung zur Telearbeit weitergeführt wird, andererseits hat die Klägerin verbindlich zugesagt, ab dem 25. März 2004 zwei Tage pro Woche im Büro anwesend zu sein.

Ein Schikanecharakter oder eine Zermürbungstaktik war darin entgegen der Ansicht der Klägerin nicht zu erkennen. Dagegen sprach auch, dass sich auf Seiten der Beklagten zwei verschiedene Vorgesetzte im Abstand von anderthalb Jahren um eine Rückkehr der Klägerin in den Betrieb bemüht hatten. Zudem muss ein Arbeitgeber Personalmaßnahmen grundsätzlich auch einmal versuchen dürfen ( BAG Urteil vom 13.03.2008 – 2 AZR 88/07 – AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 R 51 a. E. ). Vor diesem Hintergrund war kein Raum für eine Vernehmung der Klägerin als Partei zu ihrer Behauptung, ihr früherer Vorgesetzter habe sie in Vier-Augen-Gesprächen mit der Drohung einer erneuten Kündigung der Telearbeitsvereinbarung zur Fortführung einzelner Teamleitertätigkeiten gezwungen und ihr das Schreiben vom 22. April 2002 mit der Bestätigung einer Fortsetzung dieser Vereinbarung unter Entbindung von der Teamleitertätigkeit vorenthalten ( § 448 ZPO ).  (…)

Dabei, dass in der E-Mail des Gesamtleiters des Projekts vom 24. Oktober 2002 aus München vom bevorstehenden Ausscheiden der Klägerin die Rede war, handelte es sich lediglich um eine missverständliche Ausdrucksweise, was auch umgehend klargestellt worden ist. Ein Beitrag zur planmäßigen Zermürbung der Klägerin war darin nicht zu sehen. (…)

Die von der Klägerin im angefochtenen Urteil zu Recht vermisste Gesamtschau ließ gerade nicht erkennen, dass die zum Teil Jahre auseinander liegenden Vorgänge in einem inneren Zusammenhang standen und dazu dienten oder auch nur geeignet waren, die Würde der Klägerin zu verletzen und ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld zu schaffen, wie in § 3 Abs. 3 des am 18. August 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes als Voraussetzung einer Benachteiligung in Form der Belästigung für spezielle Diskriminierungsmotive umschrieben ist, was sich aber auch auf jede Form sog. Mobbings übertragen lässt ( dazu BAG, Urteil vom 25.10.2007 – 8 AZR 593/06 – BAGE 124, 295 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 6 R 57 ff. ). Dabei müssen Würdeverletzung und feindliches Umfeld kumulativ vorliegen ( BAG, Urteil vom 24.09.2009 – 8 AZR 705/08 – NZA 2010, 387 R 29 ).

Es mag für die Klägerin als allein erziehende Mutter von zunächst zwei und später drei Kindern belastend gewesen sein, dass ihre Vorgesetzten mehrmals versucht haben, die für sie unerlässliche Form der Erbringung ihrer Arbeitsleistung von einem häuslichen Arbeitsplatz aus in Frage zu stellen. Wie jedoch der Umstand zeigt, dass ihre familiäre Situation letztlich wieder dauerhaft respektiert worden ist, konnte von einem feindlichen Umfeld keine Rede sein. Dieses wurde auch nicht durch das Hinzutreten der übrigen Vorgänge geschaffen, die sich in einem sozialadäquaten Kontext bewegten, in größeren zeitlichen Abstand passiert sind und von jeweils verschiedenen Akteuren zu verantworten waren.

Soweit die Klägerin schließlich darauf hingewiesen hat, von 2002 bis 2006 keine Gehaltserhöhungen, Erfolgsbeteiligungen und Anhebungen ihrer betrieblichen Altersversorgung erhalten zu haben, hat sie darin selbst keine weiteren Mobbinghandlungen gesehen, sondern dies als finanzielle neben den gesundheitlichen Folgen angeführt. Abgesehen davon, dass die Beklagte dem unter Hinweis auf jährliche Gespräche mit der Klägerin über die Beurteilung ihrer Leistungen und die elektronische Freigabe der darüber geführten Protokolle durch die Klägerin entgegengetreten ist, passte dies nicht zu der Fehlzeitenentwicklung der Klägerin. Während sie nach eigener Darstellung von Anfang Juli 2004 bis Ende Oktober 2007 überhaupt keine krankheitsbedingten Fehlzeiten aufzuweisen hatte, sind diese seitdem verstärkt und zuletzt sogar dauerhaft aufgetreten, nachdem der Klägerin in 2007 deutlich erhöhte Leistungen zugesagt worden sind. (…)

LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.06.2010, Az: 6 Sa 271/10 (Justiz Berlin-Brandenburg)

Vorinstanz: ArbG Berlin, Urteil vom 06. November 2009 – 6 Ca 19555/08

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