Unser Mandant war in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Berlin angeklagt. An einem der Verhandlungstage wurde er mit Fußfesselung aus dem separaten Treppenaufgang in den Saal geführt. Die Glastür zur Anklagebank war noch nicht geöffnet. Unser Mandant wurde, nachdem er sich im Saal vorwärts bewegt hatte, von einem bzw. mehreren Justizwachtmeistern zu Boden gebracht, der linke Arm soll ihm auf den Rücken gedreht und ihm Handfesseln angelegt worden sein. Da einer der Justizmachtmeister Schaden davontrug, verlangte das Land Berlin Schadenersatz.
Das AG Wedding verlangte im frühen ersten Termin vom klagenden und sich selbst vertretenden Land erheblich mehr an Sachvortrag zum Vorfall, insbesondere zur Örtlichkeit und zum genauen Ablauf. Der Versuch die Anforderungen der Richterin zu erfüllen scheiterte, die Klage wurde abgewiesen. Auf die Berufung hat das LG Berlin das erstinstanzliche Urteil des AG Wedding abgeändert und der Klage stattgegeben.
Wir stören uns nicht so sehr am Ergebnis, da bei richtigem Sachvortrag auch in erster Instanz wohl so entschieden worden wäre. Dass aber dem hier klagenden Land in der Berufung aufs Pferd geholfen und eigentlich verspäteter Sachvortrag und damit eine Beweisaufnahme zugelassen wurde, das stört uns schon eher. Wir behaupten einfach mal, wäre es nicht das Land Berlin gewesen, sondern ein ganz normaler Bürger, dessen Klage – weil er sich einen Anwalt sparen wollte – mangels Substantiierung abgewiesen worden wäre, hätte die Kammer kurz das Wort Verspätung in die Runde geworfen und die Berufung zurückgewiesen.
Aus den Gründen:
(…) Dass der Beklagte fliehen wollte, hat der Kläger bereits mit der Klageschrift hinreichend substantiiert dargetan. Auch die Einlassung des Beklagten, er habe sich lediglich ein paar Schritte auf seinen Verteidiger zu bewegt, machte keine weitergehenden Darlegungen erforderlich. Ebenso wenig bedurfte es zwingend einer Skizze wie der später mit der Berufungsbegründung überreichten. Die hierauf bezogene Verspätungsrüge greift daher nicht durch. Der Kläger hat (…) plausibel dargelegt, dass Ursache der Verletzungen des Zeugen S sowie der Beschädigung des Mobiltelefons das rechtswidrige Bestreben des Beklagten, sich dem Strafverfahren durch Flucht aus dem Sitzungssaal zu entziehen, war. Der dortigen Darstellung des Klägers zufolge bewegte sich der Beklagte mit „trotz Fußfessel schneller Gangart“ in Richtung Saalausgang, an dem der Zeuge S postiert war, obgleich sich der Verteidiger im Saal befunden haben soll. Die Einwendung des Beklagten, lediglich das Gespräch mit seinem Verteidiger gesucht zu haben, mag erheblich sein. Das Klagevorbringen wird dadurch jedoch nicht unschlüssig. Vielmehr hätte bereits in erster Instanz eine Beweisaufnahme über die Richtigkeit der widerstreitenden Parteibehauptungen durchgeführt werden müssen.
Den entsprechenden Beweis hat der Kläger in zweiter Instanz nunmehr erfolgreich geführt. Aufgrund der Aussagen der Zeugen S, S, N, R und S sieht es die Kammer als eindeutig erwiesen an, dass der Beklagte sich dem Strafverfahren und der Untersuchungshaft durch Flucht aus dem Sitzungssaal entziehen wollte. So hat der Zeuge N, der mit der Vorführung des Beklagten befasst war, bekundet, dass sich der Beklagte mit erstaunlicher Geschwindigkeit aus dem Vorführbereich in den Sitzungssaal und dort auf den Zeugen S zu bewegte. Nach Angaben der Zeugin S riss der Beklagte dabei im Weg stehende Stühle um. Auch nach Darstellung des Verletzten, des Zeugen S, strebte der Beklagte nicht seinem Verteidiger, sondern dem Saalausgang zu und dies, so übereinstimmend die Zeugen, mit einer bei Fußfesselung überraschend hohen Geschwindigkeit. Soweit die Zeugen das Geschehen unmittelbar selbst mitverfolgt haben, werteten sie den Vorfall übereinstimmend und nachvollziehbar als Fluchtversuch des Beklagten. (…)
Der Beklagte hat demnach die Verfolgung durch den Zeugen S herausgefordert. Mit dessen Verletzung wie auch der Beschädigung seines Mobiltelefons haben sich verfolgungstypische Risiken verwirklicht. Die Reaktion des Zeugen S war auch nicht unverhältnismäßig. Es ist nicht ersichtlich, dass der Fluchtversuch des Beklagten mit milderen Mitteln hätte verhindert werden können. Der Beklagte schuldet daher den mit der Klage geltend gemachten Schadensersatz, (…)
LG Berlin, Urteil vom 07.05.2010, Az: 56 S 114/09 (PDF)
Vorinstanz: AG Wedding, Urteil vom 13.10.2009, Az: 12a C 74/09 (PDF)