Nach einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 56 km/h, die mit dem Messgerät PoliscanSpeed festgestellt wurde, sprach das Amtsgericht Dillenburg den Betroffenen frei. Das Gericht hatte auch nach Anhörung eines Sachverständigen Zweifel an der Zuverlässigkeit des Messergebnisses, da das Zustandekommen des Messwertes nicht nachvollziehbar sei.
Aus den Gründen:
(…) Es bleiben zumindest Restzweifel, ob die mit dem nicht standardisierten PoliScanSpeed-Messverfahren ermittelte Geschwindigkeit zutreffend ist. Der Sachverständige (…) kommt zwar (…) zu dem Endergebnis, dass es keine Hinweise für eine Fehlmessung gebe und dass sämtliche in seinem Gutachten zuvor genannten Unzulänglichkeiten/Bedenken gegenüber dem PoliScanSpeed-Messsystem im konkreten Fall nicht zum Tragen kämen. (…) sein Gutachten (ist) aber identisch mit dem (…) für das Amtsgericht Mannheim (dortiges Aktenzeichen 21 OWi 445/09) – das gleiche Messsystem betreffend – erstatteten Gutachten (…):
„Eine endgültige Aussage darüber, ob das im konkreten Fall eingesetzte PoliScanSpeed-Messsystem nicht dem Stand der Technik entspricht (As 357) ließe sich von hier aus erst machen, wenn detaillierte Unterlagen über die Funktionsweise des Messsystems vorliegen würden; solche detaillierten Unterlagen werden derzeit jedoch weder von der PTB Braunschweig noch von der Herstellerfirma zur Verfügung gestellt. Von hier aus ist zumindest derzeit keine nachträgliche Richtigkeitskontrolle eines Geschwindigkeitsmesswertes möglich.“
(…), obwohl sich mangels der Gewährung von Einsichtnahme in die Prüfungsunterlagen samt zugehöriger Anlagen bei der PTB Braunschweig – obwohl u.a. auch vom hiesigen Gericht angeordnet – oder beim Hersteller an der vorbeschriebenen Aussage nichts geändert haben kann.
Zweifel hinsichtlich der Zuverlässigkeit des PoliScanSpeed-Messergebnisses bestehen zur Überzeugung des Gerichts deshalb, weil das PoliScan-Messsystem nicht dem Stand der Technik genügt, wonach ein überprüfbarer Beweis der richtigen Messwertgewinnung möglich sein muss und es ferner keine zuverlässige, nachträgliche Richtigkeitskontrolle der gewonnenen Messwerte und der Zuordnung der abgelichteten Fahrzeuge zulässt. (…) Der Sachverständige … führt insoweit aus:
„Die Messdatei enthält keine Daten, aus denen sich die Lage der Messstrecke und deren Länge ableiten lassen. Auch die Abweichungen der einzelnen Entfernungsmessungen von der Solllinie oder einer Zu- oder Abnahme durch Beschleunigung oder Verzögerung des Fahrzeugs innerhalb der Messstrecke lassen sich aus den Dazeit mit den Annullationsmessungen verfahren wird, kann man als Außenstehender nur darauf vertrauen, dass alles seine Richtigkeit hat. Die Herstellerfirma gibt vor, dass das Gerät zwischen PKW und LKW unterscheiden könne. Diese Unterscheidung trifft jedoch in knapp 5 % aller Fälle nachweislich nicht zu (aus PKW werden LKW und umgekehrt). In das Messfoto wird die Nummer der Fahrspur eingeblendet, auf der sich das gemessene Fahrzeug bewegt, in knapp 5 % aller Fälle trifft diese Fahrspurerkennung nicht zu (ein auf der Spur 1 fahrendes Fahrzeug wird als ein auf der Spur 2 fahrendes Fahrzeug identifiziert und umgekehrt). Solange jedoch sowohl die Fahrzeugtypenerkennung als auch die Fahrspurerkennung so hohe Fehlerquoten aufweisen, sollte man diese Daten nicht im Falldatensatz aufführen. Es bestehen Bedenken gegen die Annahme, dass allen gültigen Messwerten tatsächlich eine zusammenhängende Messstrecke von mindestens ca. 10 Metern zugrunde liegt. Motorräder werden vom Gerät so gut wie nicht erfasst“.
Die vorgenannten Mängel werden auch von den anderen vorgenannten Sachverständigen bestätigt. Außerdem erfüllt das PoliScanSpeed-Messgerät nicht die PTB-Anforderung 18.11 Abschnitt 3.5.4, die lautet
„Das Registrierbild muss die Zone der Messwertentstehung abbilden (z.B, Verlauf der Messbasis, Verlauf der Messstrahlung bei Verkehrsradargeräten).“
Der Sachverständige (…) beanstandet dies in seinem vorgenannten Gutachten (…), da der Messwert in einem erheblichen Abstand von bis zu 30 Metern vor der Fotoposition entstehe. Auf den Messfotos sei dieser Bereich allenfalls in einem sehr schmalen Ausschnitt abgebildet (…).
Wenn man schließlich berücksichtigt, dass das Bundesverfassungsgericht zur Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 am 03.03.2009 (2 BvC 3/07 und 2 BvC 4/07….) entschieden hat, dass der Einsatz von Wahlcomputern verfassungswidrig war, weil die „verfassungsrechtlich gebotene Möglichkeit einer zuverlässigen Richtigkeitskontrolle“ nicht gesichert war, dann ist es verfassungsrechtlich ebenfalls nicht hinzunehmen, dass noch nicht einmal ein Sachverständiger – mangels Kenntnis des geheim gehaltenen Verfahrens der Messwertgewinnung – nachprüfen kann, ob die ermittelte Geschwindigkeit richtig ist oder nicht.
Das rechtsstaatlichen Anforderungen (noch) nicht genügende PoliScanSpeed-Messverfahren, muss auf den Stand der Technik nachgerüstet werden, um eine nachträgliche Richtigkeitskontrolle dem Sachverständigen zu ermöglichen. Der Bürger, der seit dem 01.02.2009 zum Teil drastisch erhöhte Bußgelder für Geschwindigkeitsübertretungen zahlen muss, hat einen verfassungsrechtlich gesicherten Anspruch auf die nachträgliche Richtigkeitskontrolle der ihm zur Last gelegten Geschwindigkeitsübertretung. (…)
AG Dillenburg, Beschluss vom 02.10.2009, Az: 3 OWi 2 Js 54432/09