Kammergericht – Erektion über 12 Monate ist noch lange keine Pornographie


(c) Zulujunky / Pixelio

Zulujunky/Pixelio

Der Angeklagte vertrieb über das Internet auf Bestellung Kalender. Die Kalender im DIN-A4-Format zeigten technisch hochwertige, farbige Ganzkörperfotos mit jeweils einem zumeist vollständig unbekleideten Mann vor wechselnden Hintergründen. Von zwei Ausnahmen abgesehen, hatten alle Abgebildeten einen erigierten Penis. Unter dem jeweiligen Foto war in gleicher Größe das Monatskalendarium abgedruckt. Auf der Internetseite waren zur Illustration jeweils das Titelblatt sowie ein Kalenderblatt in den Abmessungen 3 x 2 Zentimeter abgebildet. Die Bilder waren für jeden Internetnutzer frei und ohne vorherige Altersüberprüfung zugänglich.

Das Amtsgericht Tiergarten sprach den Angeklagten vom Vorwurf der Verbreitung pornographischer Schriften frei. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hob das Kammergericht das Urteil auf und verwies die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurück. Das Amtsgericht Tiergarten sprach den Angeklagten erneut frei. Die eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hatte aber keinen Erfolg, das Kammergericht bestätigte den Freispruch und erklärt, was Pornographie ist und was nicht.

Aus den Gründen:

(…) a) Der Angeklagte hat sich dadurch, dass er die Kalender im Internet frei zugänglich anbot und sie dem jeweiligen Besteller übersandte, nicht wegen Verbreitung pornographischer Schriften (§ 184 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 i.V.m. § 11 Abs. 3 StGB) strafbar gemacht.

aa) Beim Begriff der Pornographie handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der tatrichterlichen Auslegung unterliegt. Es ist allein Aufgabe des Tatrichters, den Erklärungsinhalt einer Schrift festzustellen und ihn im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 184 Abs. 1 StGB zu würdigen; die revisionsgerichtliche Überprüfung beschränkt sich deshalb darauf, ob der Tatrichter sich bei der Bewertung von zutreffenden rechtlichen Erwägungen hat leiten lassen (vgl. BGHSt 37, 55, 61; MK-Hörnle, StGB, § 184 Rdn. 21; LK-Laufhütte, StGB 11. Aufl., § 184 Rdn. 12).

Pornographie liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte vor, wenn eine Darstellung unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes abzielt (vgl. BGHSt 37, 55 (60); 32, 40 (44 ff); OLG Karlsruhe NJW 1974, 2015 (2016); OLG Düsseldorf NJW 1974, 1474 (1475); ebenso BVerwG NJW 2002, 2966 (2969)).

Kennzeichnend für eine pornographische Darstellung ist zum einen eine „Reizwirkungs- oder Stimulierungstendenz“ (vgl. Erdemir, MMR 2003, 628 (631); Ostendorf, MSchrKrim 2001, 372 (377)). Die Darstellung muss nach ihrem objektiven Gesamteindruck eine Aufreizung des Sexualtriebs bezwecken. Das Hervorrufen einer derartigen Stimulation ist seit jeher die typische Funktion von Pornographie und deshalb ein wichtiges Element, um zu bestimmen, welche Darstellungen unter den Pornographiebegriff fallen. Allerdings ist dieses Kriterium allein nicht ausreichend, da sonst auch nicht strafwürdige Darstellungen vom Anwendungsbereich des § 184 Abs. 1 StGB erfasst würden, die sich beispielsweise auf Andeutungen beschränken und gerade dadurch die Fantasie des Betrachters anzuregen versuchen (vgl. Erdemir, MMR 2003, 628 (631); Ostendorf, MSchrKrim 2001, 372 (377); Schumann in Festschrift für Lenckner 1998, S. 565 (574)). Hinzukommen muss deshalb als weiteres Kriterium die sog. „Apersonalität des Geschlechtspartners“ (vgl. Erdemir, MMR 2003, 628 (631)).

Die Darstellung muss mit anderen Worten durch eine Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns unter gleichzeitiger Entmenschlichung der Sexualität geprägt sein. Pornographie ist danach anzunehmen, wenn der Mensch im Rahmen der Darstellung zum bloßen, auswechselbaren Objekt sexueller Begierde degradiert wird (vgl. S/S/Lenckner/Perron/Eisele, StGB 27. Aufl., § 184 Rdn. 4; MK-Hörnle a.a.O., § 184 Rdn. 15; jeweils m. w. Nachw.). In der damit verbundenen Überbewertung von Sexualität und ihrer vollständigen Loslösung von individuellen und emotionalen Begleitumständen liegt die besondere Gefahr für Kinder und Jugendliche, die sich noch in ihrer sexuellen Entwicklung befinden (vgl. Erdemir, MMR 2003, 628 (631)).

Desweiteren tritt als formales Merkmal neben die beiden genannten inhaltlichen Kriterien, dass die pornographische Darstellung typischerweise vergröbernd, aufdringlich, übersteigert, „anreißerisch“ oder plump-vordergründig sein muss (vgl. BGHSt 23, 40 (44 ff); S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 4; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl., § 184 Rdn. 2; MK-Hörnle a.a.O., § 184 Rdn. 17). Dabei besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass allein die Darstellung des nackten Körpers einschließlich der Genitalien sowie auch sexueller Vorgänge einschließlich des Geschlechtsverkehrs nicht per se als pornographisch zu qualifizieren ist (vgl. OLG Frankfurt NJW 1987, 454 (455); S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 5; Lackner/Kühl a.a.O., § 184 Rdn. 2; MK-Hörnle a.a.O., § 184 Rdn. 15, 18; Erdemir, MMR 2003, 628 (631, 634)). Dies gilt insbesondere auch für bildliche Darstellungen (vgl. S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 5; Erdemir, MMR 2003, 628 (634)). Erforderlich ist vielmehr stets eine Würdigung der jeweiligen Darstellung in ihrem Gesamtzusammenhang (vgl. Erdemir, MMR 2003, 628 (634)). Die Grenze zur Pornographie ist erst überschritten, wenn der organisch-physiologische Aspekt der Sexualität in grob aufdringlicher Weise in den Vordergrund gerückt wird (vgl. S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 5 m. w. Nachw.). Dies kann – wie das Amtsgericht zutreffend ausführt – beispielsweise bei Einnahme sexuell herausfordernder Stellungen oder anstößiger Hervorhebungen der Geschlechtsmerkmale der Fall sein (vgl. OLG Frankfurt, NJW 1987, 454 (455)).

Darüber hinaus ist bei der rechtlichen Qualifizierung einer Schrift als Pornographie zu beachten, dass Maßstab stets die objektive Gesamttendenz der Darstellung ist, nicht hingegen die subjektive Sicht des Verfassers oder des Fotografen (vgl. S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 4; Lackner/Kühl a.a.O., § 184 Rdn. 2; MK-Hörnle a.a.O., § 184 Rdn. 15). In diesem Zusammenhang ist außerdem zu beachten, dass § 184 Abs. 1 StGB nur Anwendung findet, wenn das Pornographische den Gesamtcharakter des Werkes bestimmt. Unschädlich ist es danach, wenn nur einzelne Stellen oder Szenen eines Films oder eines Buches pornographisch sind, ohne dass diese Einzelheiten die Gesamttendenz des Mediums wesentlich prägen (vgl. Schumann a.a.O., S. 565 (574 f)). Da die Eigenschaft „pornographisch“ der Schrift selbst anhaften muss, kommt es zudem nur auf deren Inhalt, nicht aber auf außerhalb der Darstellung liegende Begleitumstände an (vgl. S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 5; LK-Laufhütte a.a.O., § 184 Rdn. 10). Bedeutungslos ist deshalb beispielsweise der Leserkreis, an den sich die Schrift richtet (vgl. S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 5; LK-Laufhütte a.a.O., § 184 Rdn. 10). Es versteht sich daher von selbst, dass allein aus der Tatsache, dass sich die Kalender des Angeklagten speziell an ein männliches, homosexuelles Publikum wenden, kein für § 184 Abs. 1 StGB relevanter Hinweis auf den pornographischen Charakter dieser Schriften abzuleiten ist.

bb) Die vom Angeklagten vertriebenen Kalender sind nach diesen Grundsätzen nicht als pornographische Schriften zu qualifizieren.

Es kann dahinstehen, ob die zur Bebilderung eines Kalenders verwendeten Fotos überhaupt auf eine sexuelle Stimulation des Betrachters abzielen. Denn die Darstellungen sind insgesamt nicht von einer Verabsolutierung sexuellen Lustgewinns unter Außerachtlassung sämtlicher individueller und emotionaler Bezüge gekennzeichnet. Die abgebildeten Personen sind vielmehr unter Berücksichtigung ihrer Individualität abgelichtet worden. Es ist offensichtlich Wert darauf gelegt worden, Männer unterschiedlicher Nationalität zu präsentieren. Unterschiede hinsichtlich Hautfarbe, aber auch Haarschnitt und Bartwuchs sind deutlich erkennbar dargestellt. Gleiches gilt für die Tätowierungen einiger Männer. Das Bemühen der Hersteller des Kalenders, unterschiedlichste Männertypen zu versammeln, um dadurch den Kalender abwechslungsreich zu gestalten und möglichst viele Käufer anzusprechen, ist unverkennbar. Da die Kalender ausschließlich aus Ganzkörperfotos bestehen und auch nur ein Mann pro Bild zu sehen ist, treten diese individuellen Merkmale auch nicht hinter anderen Aspekten wie der Nacktheit oder der Tatsache, dass die Männer einen erigierten Penis haben, zurück. Ihnen kommt aufgrund der Gesamtgestaltung des einzelnen Fotos aber auch des gesamten Kalenders eigenständige Bedeutung zu. Daraus folgt zugleich, dass die abgebildeten Männer nicht zu auswechselbaren Objekten degradiert werden. Eine solche Herabwürdigung wird von den Bildern auch deshalb nicht vermittelt, weil die abgebildeten Personen – wie das Amtsgericht zutreffend ausführt – einen ausgesprochen selbstbewussten Eindruck machen. Sie präsentieren ihren gesamten Körper mit Stolz. Eine „Entmenschlichung“ von Sexualität im oben beschriebenen Sinne liegt daher nicht vor.

Darüber hinaus ist auch das Kriterium einer aufdringlichen, vergröbernden oder „anreißerischen“ Darstellung zu verneinen. Dies ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, dass dem jeweils abgebildeten erigierten Penis zumindest optisch keine hervorgehobene Bedeutung zukommt. Da es sich um Ganzkörperfotos und nicht lediglich um Bildausschnitte handelt, wird der Blick des Betrachters nicht gezielt dorthin gelenkt. Dies wird dadurch verstärkt, dass der erigierte Penis jeweils nur im unteren Drittel des Bildes zu sehen ist. Er ist bei keinem der Fotos in der Bildmitte platziert. Eine aufdringliche Hervorhebung wird auch nicht durch entsprechende Gesten oder Stellungen erzeugt. Die abgebildeten Personen nehmen überwiegend recht natürliche Haltungen ein, die vor allem den muskulösen Oberkörper betonen.

Entgegen der Auffassung der Revisionsführerin ergibt sich ein pornographischer Charakter der Kalender auch nicht aus der ständigen Wiederholung des Motivs des erigierten Penisses. Die Wiederholung nicht pornographischer Inhalte vermag diese grundsätzlich nicht pornographisch zu machen. Anders kann dies allenfalls bei einer fortschreitenden Eskalation der Darstellung durch eine Aneinanderreihung von Szenen mit sexuell immer stärker provozierenden Reizen zu beurteilen sein (vgl. S/S/Lenckner/Perron/Eisele a.a.O., § 184 Rdn. 5). Hier bleiben die Bilder von Monat zu Monat jedoch inhaltlich nahezu unverändert, so dass eher ein Gewöhnungseffekt als eine Spannungssteigerung eintritt. Überdies weist die formale Gestaltung der Bilder einen – wenn auch geringen – ästhetischen Wert auf. Dies ist nicht zuletzt auf die unterschiedlichen Hintergrundmotive zurückzuführen, die entweder der Natur oder einer Wohnumgebung entnommen sind. Der Hintergrund ist jeweils deutlich erkennbar und trägt wesentlich zur positiven Grundstimmung der Bilder bei. Eine übersteigerte, von den äußeren Lebensumständen völlig losgelöste Darstellung ist deshalb auch unter diesem Aspekt zu verneinen.

cc) Auf die mit dem besonderen Schutz der Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) einhergehenden Fragen kommt es nach alledem nicht mehr an.

b) Zutreffend hat das Amtsgericht bewertet, dass sich der Angeklagte auch nicht nach § 27 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG strafbar gemacht hat, indem er die Kalender frei zugänglich im Internet anbot und sie dort teilweise abbildete.

aa) Nach § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG unterliegen dem umfassenden Vertriebs- und Werbeverbot des § 15 Abs. 1 JSchG schwer jugendgefährdende, aber nicht indizierte Trägermedien, die offensichtlich geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit schwer zu gefährden. Nach § 27 Abs. 1 JSchG wird bestraft, wer gleichwohl ein solches Trägermedium anbietet oder zugänglich macht.

bb) Der Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG ist zunächst auch für die vom Angeklagten gewählte Vertriebsform über das Internet eröffnet. Nach § 1 Abs. 2 S. 1 JSchG ist das Jugendschutzgesetz auf sog. Trägermedien anwendbar. Darunter sind nach dieser Vorschrift Medien mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern zu verstehen, die zur unmittelbaren Wahrnehmung bestimmt sind. Dem gegenständlichen Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen steht dabei nach § 1 Abs. 2 S. 2 JSchG das elektronische Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen gleich. Die vom Angeklagten vertriebenen Kalender stellen gegenständliche Träger von Bildern im Sinne dieser Vorschrift dar. Indem er diese auf seiner Homepage darstellte und anbot, hat er sie auf elektronischem Wege zugänglich gemacht.

cc) Jedoch sind die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG nicht erfüllt. Zwar können grundsätzlich auch Darstellungen unterhalb der Pornographieschwelle schwer jugendgefährdend sein (vgl. Liesching in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Bd. 2, J 214 § 15 Rdn. 52 m. w. Nachw.). Obwohl es sich bei § 15 Abs. 2 Nr. 5 JSchG um einen Auffangtatbestand handelt, sind jedoch die Anforderungen an eine Eignung zur schweren Jugendgefährdung streng (vgl. Liesching a.a.O., § 15 Rdn. 51 f). „Schwer“ ist die Jugendgefährdung, wenn sie auf einen gravierenden Erfolg hinausläuft, der aber noch nicht eingetreten sein muss; es muss die abstrakte Möglichkeit einer gravierenden sozialethischen Desorientierung bestehen, die in einem den Grundwerten der Verfassung krass zuwiderlaufenden Charakter der betreffenden Trägermedien zum Ausdruck kommt (vgl. Liesching a.a.O., § 15 Rdn. 51; Schumann a.a.O., S. 565 (579); Nikles/Roll/Spürck/Umbach, Jugendschutzrecht 2. Aufl., § 15 JSchG Rdn. 94) Eine solche schwere Gefährdung ist offensichtlich, wenn sie klar zutage tritt und deshalb jedem einsichtigen, für Jugenderziehung und Jugendschutz aufgeschlossenen Menschen ohne besondere Mühe erkennbar ist (vgl. BGHSt 8, 80 (87 f); für die Perspektive eines unbefangenen Beobachters BVerfGE 77, 346 (358)).

Nach diesen Grundsätzen fehlt es bei den verfahrensgegenständlichen Abbildungen, wie das Amtsgericht zu Recht erkannt hat, sowohl am Erfordernis einer „schweren“ Jugendgefährdung als auch an der „offensichtlichen“ Eignung, eine solche herbeizuführen. Die Darstellung nackter Körper einschließlich der Genitalien stellt noch keine Negation von Grundwerten der Verfassung dar. Die Abbildungen sind auch nicht derart verstörend oder losgelöst von realen Bezügen, dass durch sie die Gefahr einer erheblichen Verunsicherung oder gar einer sozialethischen Desorientierung droht. (…)

Kammergericht, Urteil vom 08.02.2008, Az: (4) 1 Ss 312/07 (192/07)

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