Fahrerlaubnisentzug bei gelegentlichem Cannabiskonsum


Nach der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung(FeV) soll nur die regelmäßige (Nr. 9.2.1) und – wenn keine Trennung zwischen Konsum und Fahren erfolgt – die gelegentliche (Nr. 9.2.2), nicht aber die einmalige Einnahme von Cannabis den Wegfall der Fahreignung und damit die Entziehung der Fahrerlaubnis nach sich ziehen. Belässt es jemand also bei einem einmaligen, experimentellen Gebrauch von Cannabis, so ergibt sich daraus keine Notwendigkeit, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.

Das Erfordernis der „Regelmäßigkeit“ bzw. „Gelegentlichkeit“ der Cannabiseinnahme stellt eine der Tatbestandsvoraussetzungen dar. Von dieser Voraussetzung hängt es ab, ob Fahrungeeignetheit vorliegt. Den Nachweis dass ein Kraftfahrer Cannabis mehr als nur einmal konsumiert hat, muss die Behörde führen.

Bei einer Entziehung der Fahrerlaubnis wird in aller Regel durch die Behörde nach einer Fahrt unter Cannabiseinfluss mantrartig auf die Höhe der durch eine Blutprobe festgestellten Tetrahydrocanabinol- (THC) und THC-Carbonsäure (THC-COOH) abgestellt, wenn es um die Frage des regelmäßigen bzw. gelegentlichen Konsums geht.

THC, THC-COOH? Was ist das?

THC gehört zu den psychoaktiven Cannabinoiden und ist der Hauptwirkstoff der Hanfpflanze (Cannabis sativa). Über 65 % des ursprünglich vorhandenen THC werden mit dem Stuhl ausgeschieden, ca. 25 % im Urin, ein geringer Teil wird im Körper selbst abgebaut. Das THC wird vom Körper zu THC-Carbonsäure (THC-COOH) einem Abbauprodukt metabolisiert. Metaboliten sind inaktiv, sie führen zu keinem Rauschzustand. Aufgrund seiner lipophilen Eigenschaften lagert sich das THC-COOH im Fettgewebe ein und wird vom Körper nur langsam abgebaut. Bei THC geht man davon aus, dass es sich nach dem Konsum relativ schnell abbaut und die THC-Konzentration entsprechend schnell sinkt (zwischen 3 bis 6 bis hin zu 12 und auch mehr Stunden), Konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirkung und den Abbauzeitraum von THC gibt es allerdings nicht (Übersicht zum wiss. Meinungsstand zu THC bei Krause in HRRS 2005, 138 ff.; Tabelle mit Nachweiszeiten unter verkehrslexikon.de). Abbauprodukte sind entsprechend länger nachweisbar, THC-COOH rund 6 Tage.

Im Rausch unmittelbar nach einem Konsum von Cannabis und während der Dauer einer mehrstündigen Abklingphase ist die Fahrtüchtigkeit unzweifelhaft aufgehoben. In aller Regel besteht allerdings kein Anlass zu der Befürchtung, dass der Konsum von Cannabis zu einer permanenten fahreignungsrelevanten Absenkung der körperlich-geistigen Leistungsfähigkeit führt (vgl. etwa Kleiber, in: Schneider/Buschkamp/Follmann, Cannabis – eine Pflanze mit vielen Facetten -, 2000, S. 11, 17; BVerfG, Urteil vom 20.6.2002, 1 BvR 2062/96). Trotzdem es letztlich keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse gibt, wann THC so weit abgebaut ist, dass es unterhalb der magischen Grenze von 1 ng/ml liegt, werden von den Behörden bei Verdacht einer Drogenfahrt und entsprechendem THC-COOH-Wert Führerscheinmaßnahmen angeordnet, da der betroffene Kraftfahrer zumindest als „Gelegenheitskiffer“ anzusehen sei.

Was heißt „gelegentlich“?

In der deutschen Sprache soll „gelegentlich“ die Häufigkeit von Geschehnissen umschreiben, im Sinne von „manchmal“, „häufiger, aber nicht regelmäßig“, „öfters“, „hin und wieder“ oder „ab und zu“. Der Begriff dient damit zur Beschreibung eines mehr als ein Mal eingetretenen Ereignisses. Eine „gelegentliche“ Einnahme von Cannabis ist gekennzeichnet durch einen zumindest mehrmaligen Konsum; bleibt es bei einem einmaligen Vorkommnis dieser Art, kann nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht von einer gelegentlichen Einnahme die Rede sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. v 29.09.2003 – 10 S 1294/03, NZV 2004, 215 f. mit ausführlicher Begründung; OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 – 4 B 206/04, Blutalkohol 43, 161 ff.; VGH München, Beschl. v. 25.01.2006 – 11 CS 05.1453, DAR 2006, 349 ff.).

Schweigen ist Gold

Wenn ein gelegentlicher Konsum von einem Kraftfahrer gegenüber der Polizei oder der Behörde eingeräumt wird, kann diese Erklärung im Verwaltungsverfahren verwendet werden. Selbst wenn der Betroffene nicht ordnungsgemäß über sein Schweigerecht belehrt wurde. Entsprechende Fragen der Polizei nach dem KOnsumverhalten sollte man als Betroffener daher ebenso unbeantwortet lassen, wie Fragen nach „gängigen Markpreisen“ für ein Gramm. Liegt im günstigsten Fall keine Erklärung des Betroffenen vor, darf eine Fahrerlaubnis ohne weitere Sachverhaltsaufklärung nur entzogen werden, wenn die Behörde die „Gelegentlichkeit“ des Konsums zweifelsfrei nachweisen kann (vgl. VGH München, Beschluss vom 16.08.2006 – 1 CS 05.3394; VG Oldenburg, Beschl. v. 17.11.2008, 7 B 2875/08).

Auch einmaliges exzessives kiffen, bleibt einmaliges kiffen

Es steht der Annahme eines einmaligen Konsums dabei auch nicht entgegen, wenn jemand seinem Körper in so engem zeitlichem Zusammenhang mehrere Konsumeinheiten zugeführt hat, dass von einem einheitlichen Lebensvorgang gesprochen werden muss (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 – 4 B 206/04, Blutalkohol 2006, 161/163). Denn zum Wesen des Probierkonsums gehört es gerade, dass der Handelnde ausloten will, wie sich Cannabis auf seine Befindlichkeit auswirkt. Zeitigt die Einnahme des Betäubungsmittels entweder keine oder nicht die erwartete Wirkung, so liegt es in der inneren Logik eines Verhaltens, das der Gewinnung von Erfahrung in Bezug auf Cannabis dienen soll, dass der Experimentierende sich eine höhere Dosis dieses Betäubungsmittel zuführt. Zwar kann aus der mangelnden Kenntnis der Rauschmittelwirkung die eher zurückhaltende erstmalige Aufnahme einer vergleichsweise geringen Probedosis resultieren. Andererseits kann bereits beim Erstkonsum eine hedonistische Erfahrung der Cannabiswirkung gemacht oder ein anderer als der in Aussicht gestellte Effekt erlebt werden. Beides kann zu möglicherweise mehrfacher unmittelbarer Wiederholung einer inhalativen Einzelaufnahme im Rahmen derselben Session führen, wobei sich die mehrfache Inkorporation einer Einzeldosis THC nicht ausschließen lässt (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 – 4 B 206/04, Blutalkohol 2006, 161/1639.

Gelegentlichkeit bei zeitnaher Blutentnahme erst ab 150 ng/ml

Eine THC-COOH-Konzentration von über 80 ng/ml in einer zeitnah zum Konsum entnommenen Blutprobe weist nicht zwingend auf einen gelegentlichen Cannabiskonsum hin; eine solche Konzentration kann auch nach einmaligem Konsum erreicht werden.

Der Daldrup-Tabelle (Daldrup/Käferstein/Köhler/Maier/Musshoff, Blutalkohol Vol. 37/2000, 39, 41), die es u. a. ermöglichen soll, aus den bei einer Blutuntersuchung ermittelten Daten auf das Maß eines Cannabiskonsums des Probanden zu schließen, liegt die Annahme zu Grunde, dass die jeweilige Blutuntersuchung nicht innerhalb weniger Stunden nach dem Konsum, sondern in einem größeren zeitlichen Abstand von bis zu acht Tagen vorgenommen wurde.

So wird bei Daldrup (a.a.O.) zum regelmäßigen Konsum ausgeführt:

„Somit kann bei Blutproben, die nur wenige Stunden nach dem letzten Konsum abgenommen wurden, ab einer THC-COOH-Konzentration von 150 ng/ml ein regelmäßiger Konsum als gesichert angesehen werden. Wird die Blutprobe dagegen aufgrund der Aufforderung durch die Straßenverkehrsbehörde entnommen, so ist von regelmäßigem Konsum auszugehen, sobald eine Konzentration von mindestens 75 ng/ml THC-COOH im Blut nachgewiesen wird. Bei der Festlegung des Grenzwertes von 75 ng/ml wurde die Halbwertszeit dieses Metaboliten berücksichtigt und die Tatsache, dass die Betroffenen bis zu 8 Tage nach Aufforderung durch die Straßenverkehrsbehörde Zeit haben, sich einer Blutentnahme zu unterziehen. Während dieser Zeit hätten sie die Möglichkeit, ganz auf den Konsum von Cannabis zu verzichten. Legt man die Halbwertszeit von rund 6 Tagen von THC-COOH zugrunde, so reichen bereits weniger als 3 Tage aus, bis die Konzentration von beispielsweise 100 ng/ml auf 75 ng/ml abfällt.“

Nach Huestis/Henningfield/Cone (Blood Cannabinoids I. Absorption of THC and formation of 11-OH-THC und THC-COOH during and after marijuana smoking, Journal of Analytical Toxicology 16 [1992], 276 ff.) wird davon ausgegangen, dass bei THC-Carbonsäure-Werten, die eine Größenordnung von 60 bis 80 ng/ml „wesentlich“ überschreiten, nicht von einem einmaligen Konsum von Cannabis auszugehen sei.

Zu dieser Studie ist allerdings anzumerken, dass Huestis/Henningfield/Cone die Entwicklung der THC-Carbonsäure-Konzentration im Blut nach dem Rauchen einer standardisierten Cannabiszigarette mit einem Gehalt von 3,5 % THC untersucht haben. Der THC-Gehalt aktuell „handelsüblichen“ Cannabis variiert hingegen je nach „Qualität“ von 15 bis 20 %, teilweise liegt der Wirkstoffgehalt sogar wesentlich höher.

Welchen Wirkstoffgehalt das konsumierte Cannabis hat, wird ein Betroffener bei einem erstmaligen Probierkonsum mangels entsprechender Erfahrungswerte nicht beurteilen können. Bei entsprechend hoher Konzentration an aktivem THC im Blut muss davon ausgegangen werden, dass es sich um Cannabis mit hohem Wirkstoffgehalt handelte. Da die maximal erreichbare Konzentration an THC-Carbonsäure von der THC-Dosis abhängt, kann ein exzessiver Probierkonsum auch zu entsprechend hohen Werten führen.

Die sichere Annahme des gelegentlichen oder häufigeren Konsums entsprechend der Datenlage unterhalb 100 ng/ml ist medizinisch gesichert nicht möglich. Erst THC-Carbonsäure-Konzentrationen, die über 100 ng/ml liegen, sind als Hinweis und bei Überschreitung von 150 ng/ml als Beweis für einen häufigeren Konsum von Cannabis heranzuziehen. Ein THC-Carbonsäure-Wert von über 80 ng/ml bis 100 ng/ml kann auf eine einmalige Konsumepisode zurückzuführen sein.

Was sagt die Rechtsprechung?

Ein gewichtiger Anteil der Rechtsprechung geht davon aus, dass bei einer THC-COOH-Konzentration von unter 100 ng/ ml aus wissenschaftlicher Sicht eine Abgrenzung zwischen einmaligem und gelegentlichem Konsum nicht möglich ist, wenn die Blutentnahme – wie vorliegend – anlassbezogenen war und zeitnah nach der Verkehrsteilnahme unter Cannabiseinfluss erfolgte (vgl. BayVGH, Beschluss vom 23.09.2008, 11 CS 08.1622; BayVGH, Beschluss vom 16.08.2006, 11 CS 05.3394; BayVGH, Beschluss vom 27.03.2006, 11 CS 05.1559; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19.12.2006, 1 M 142/06; VG Saarland, Beschluss vom 13.09.2007, 10 L 1006/07; VG Stuttgart, Beschluss vom 31.07.2006, 10 K 2124/06; VG Oldenburg, Beschl. v. 17.11.2008, 7 B 2875/08 – bei Werten von 21,1 ng/ml THC und 88,6 ng/ml THC-COOH).

Insbesondere der Bayerische VGH legt in seinen Beschlüssen vom 16.08.2006, 11 CS 05.3394, und vom 27.03.2006, 11 CS 05.1559, unter ausführlicher Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Studien dar, dass es nicht auszuschließen ist, dass ein einmaliger Cannabis-Konsum ohne weitere zu THC-COOH-Werten von um die 80 ng/ml, möglicherweise gar von bis zu 100 ng/ml im Blut führen kann.

Mit dem Nachweis einer darunter liegenden Konzentration steht demzufolge im Sinne von § 11 Abs. 7 FeV nicht zwingend fest, dass ein Kraftfahrer bereits mehr als einmal und damit „gelegentlich“ Cannabis eingenommen habe.

Was droht, wenn keine Entziehung der Fahrerlaubnis erfolgt?

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist nur rechtmäßig, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung zweifelsfrei feststeht. Allein das fehlende Trennungsvermögen reicht nach Ziff. 9.2.2 der Anl. 4 zur FeV noch nicht aus, um die Kraftfahreignung zu verneinen. Es muss noch das weitere Tatbestandsmerkmal des gelegentlichen Konsums hinzukommen.

Solange dies nicht zweifelsfrei feststeht, kann die Behörde den Vorfall zwar zum Anlass nehmen, ein ärztliches Gutachten nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV zur Aufklärung des Konsummusters anzuordnen, nicht aber um sofort die Fahrerlaubnis zu entziehen (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19.12.2006, 1 M 142/06; BayVGH. Beschluss vom 27.03.2006, 11 CS 05.1559; VG Saarland, Beschluss vom 13.09.2007, 10 L 1006/07).

Auch die Anordnung der Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens gemäß § 14 Abs 1 S. 4 FeV setzt die Feststellung einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis voraus (vgl. OVG Brandenburg, Beschl. v. 13.12.2004 – 4 B 206/04, Blutalkohol 43, 161 ff.).

Bestehen noch Zweifel, müssen gemäß § 2 Abs. 7 Satz 1 StVG von Amts wegen weitere Aufklärungsmaßnahmen ergriffen werden, um zu ermitteln, ob der Betroffene im Hinblick auf den Vorfall als fahrungeeignet anzusehen ist. (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 19. Dezember 2006 -1 M 142/06-Juris Rn. 21; BayVGH, Beschluss vom 16. August 2006 – 11 CS 05.3394-Juris Rn. 19).

Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FeV kann verlangt werden, sich für die Dauer eines Jahres wiederholten Urinuntersuchungen zu unterziehen, die an für ihn unvorhersehbar anberaumten Zeitpunkten stattfinden. Kommt der Betroffen einer solchen Aufforderung entweder generell oder auch nur dergestalt nicht nach, dass er ggf. vorzulegende Zwischenergebnisse nicht fristgerecht beibringt, so darf gemäß § 11 Abs. 8 FeV auf seine Nichteignung geschlossen werden; die Fahrerlaubnis könnte ohne weitere Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung entzogen werden. Würde im Rahmen des Screenings ein erneuter Cannabiskonsum festgestellt, so könnte, sofern seit dem Vorfall noch nicht mehr als ein Jahr verstrichen ist, nach § 11 Abs. 7 FeV vorgegangen werden; andernfalls nach § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Fahreignungsgutachtens verlangt werden.

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