OLG Koblenz – Werte verschiedener vom Verkehrsteilnehmer konsumierter Betäubungsmittel (THC/Amphetamin) dürfen nicht einfach addiert werden


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A. Mertes/Pixelio

In der einem Kraftfahrzeugführer entnommenen Blutprobe wurden 0,8 ng/mL THC und 14 ng/mL Amphetamin festgestellt. Trotzdem die einzelnen Substanzen für sich genommen die für eine Anwendbarkeit des § 24a Abs. 2 StVG geltenden Grenzwerte nicht erreichten, verurteilte das Amtsgericht den Kraftfahrzeugführer wegen fahrlässigen Führens eines Pkw unter der Wirkung von Cannabis und Amphetamin, indem es die Werte einfach addierte. Hiergegen legte der Kraftfahrer erfolgreich Rechtsbeschwerde zum OLG Koblenz ein. Das OLG Koblenz verwies die Sache zurück an das Amtsgericht, wo mit Hilfe eines Sachverständigen zu prüfen sein wird, ob die Fahrtüchtigkeit des Kraftfahrzeugführers durch die Wirkung von THC und/oder Amphetamin auch unterhalb der festgestellten Grenzwerte eingeschränkt war, und ob dies dem Kraftfahrzeugführer im Sinne eines schuldhaften Verhaltens angelastet werden könne.
Aus den Gründen:

(…) In der dem Betroffenen entnommenen Blutprobe wurden 0,8 ng/mL THC und 14 ng/mL Amphetamin festgestellt. Beide Werte erreichen somit nicht die Grenzwerte (THC: 1 ng/mL, BVerfG, NJW 2005, 349 = NZV 2005, 270; Amphetamin: 25 ng/ml, OLG München, NJW 2006, 1606 = NStZ 2006, 535 L = StV 2006, 531), die einer verfassungskonformen Anwendung des § 24a II StVG zu Grunde zu legen sind. Da die Betäubungsmittel sehr unterschiedliche Wirkungsqualitäten haben – Amphetamin ist eine psychostimulierende Droge, während Cannabis auch ablenkend und dämpfend wirken kann -, ist die Kombinationswirkung kaum abschätzbar. Aus diesem Grunde verbietet es sich, die festgestellten Werte einfach wie folgt zu addieren: 80% des THC-Grenzwerts + 56% des Amphetamingrenzwerts = 136% = § 24a II StVG. Vielmehr ist im Ansatz zu Gunsten des Betroffenen davon auszugehen, dass beide Substanzen in Bezug auf die Fahrtüchtigkeit wirkungslos waren und somit auch keine relevante Kombinationswirkung auftreten konnte (s. dazu das vom Senat eingeholte Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz v. 9. 7. 2008).

Allerdings zwingen jedenfalls dann, wenn wie hier auf Grund einer Blutuntersuchung feststeht, dass der Betroffene mindestens eine der in der Anlage zu § 24a II StVG aufgeführten Substanzen im Blut hatte, weder der Wortlaut der Norm noch die Rechtsprechung des BVerfG (NJW 2005, 349 = NZV 2005, 270) zu der Annahme, nur die Feststellung einer den Grenzwert zumindest erreichenden Konzentration im Blutserum führe zur Anwendbarkeit der Norm (OLG München, NJW 2006, 1606 = NStZ 2006, 535 L = StV 2006, 531; wohl a.A., allerdings in einem obiter dictum, OLG Zweibrücken, NJW 2005, 2168 = NZV 2005, 430: Feststellung einer bestimmten Substanzkonzentration im Blut ist eine „objektive Bedingung der Ahndbarkeit“). Eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit kann vielmehr auch auf andere Weise festgestellt werden. (…)

OLG Koblenz, Beschluss vom 25. 8. 2008 – 1 Ss Bs 19/08 (NJW 2009, 1222)

Praxisrelevanz:

Wer unter der Wirkung eines berauschenden Mittels im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, handelt zumindest ordnungswidrig. Nach der Legaldefinition des § 24 a Abs. 2 S. 2 StVG liegt eine solche Wirkung vor, wenn eine der in der Anlage genannten Substanzen im Blut nachgewiesen wird. Nach seinem Wortlaut geht das Gesetz demnach von einer „Null – Toleranz – Schwelle“ aus, indem das Führen eines Kraftfahrzeuges selbst bei dem Nachweis geringster Spuren der genannten Substanzen den Ordnungswidrigkeitstatbestand erfüllt.

Dass nach dem Wortlaut auch geringste Konzentrationen, die aufgrund verbesserter Messmethoden immer genauer festgestellt werden können, den Schluss zuließen, sie übten noch eine Wirkung bei dem betroffenen Kraftfahrer aus, hielt dann der verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Vom blutanalytischen Wirkstoffnachweis sollen daher nur solche Konzentrationen erfasst werden, die deutlich oberhalb des Nullwertes liegen (BVerfG NZV 2005, 270; BayObLG NZV 2003, 252; OLG Hamm NJW 2005, 3298; OLG Zweibrücken BA 2006, 235; OLG Köln BA 2006, 236; OLG München BA 2006, 239; Janiszewski/Jagow/Burmann/Jagow, Straßenverkehrsrecht, 19. Auflage, § 24 a Rn. 5 a; Hentschel NJW 2005, 641).

Diese Voraussetzung erfüllen die analytischen Grenzwerte, die von der beim Bundesministerium für Verkehr angesiedelten „Grenzwertkommission“ festgelegt wurden:

* Cannabis: 1 ng/ml
* Morphin: 10 ng/ml
* Kokain: 10 ng/ml oder 75 ng/ml BZE im Blutserum
* Amphetamin: 25 ng/ml und
* MDE und MDMA: 25 ng/ml.

(veröffentlicht u.a. in BA 2005, 160 und bestätigt durch den Beschluss der Kommission vom 24.10.2005 vor dem Hintergrund der Entscheidung des BVerfG NZV 2005, 270 – vgl. Eisenmenger NZV 2006, 24 ff).

Es handelt sich hierbei nicht um Gefahrengrenzwerte oder feststehende Werte, ab denen die Leistungsfähigkeit gemindert ist, sondern um vom wissenschaftlichen Fortschritt abhängige, pharmakodynamische und rein analytische Grenzwerte. Damit ist die z.B. für den Wirkstoff THC im Blut eines Betroffenen festgelegte 1 ng/ml – Grenze in Beachtung verfassungsgerichtlicher Rechtssprechung lediglich als Entscheidungsgrenze („cut-off“) anzusehen, die den sicheren Nachweis belegt, der Betreffende stehe noch unter der Einwirkung zuvor genossenen Cannabis. Ein Zuschlag für „Messunsicherheiten“ ist dabei nicht erforderlich (vgl. hierzu Eisenmenger NZV 2006, 24 ff).

Die Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG können sowohl vorsätzlich, als auch fahrlässig begangen werden. Vorsatz bzw. Fahrlässigkeit müssen sich aber nicht lediglich auf den Konsumvorgang, sondern auch auf die Wirkung des Betäubungsmittels zum Tatzeitpunkt beziehen. Vorsätzlich wäre es z.B., wenn der Fahrzeugführer gerade eben noch konsumiert hat und sich sogleich ans Steuer setzt, wobei er erkennt oder es zumindest für möglich hält, dass er unter dem Einfluss von Drogen steht, es ihm aber letztlich egal ist. Mit zunehmendem Abstand zwischen Konsum und Fahrtantritt kann es aber an der Erkennbarkeit der Wirkung des Rauschmittels zum Tatzeitpunkt und damit am Merkmal der Fahrlässigkeit fehlen. Fahrlässigkeit liegt z.B. dann nicht vor, wenn der Fahrzeugführer es unwiderlegt nach einem länger zurückliegenden Konsum für ausgeschlossen hält, dass er noch unter dem berauschenden Einfluss einer Droge steht, selbst wenn objektiv der Wert von 1 ng/ml THC überschritten ist.

In einem solchen Fall muss das Amtsgericht sämtliche zur Verfügung stehende Beweismittel ausschöpfen und sich, wenn z.B. der Fahrzeugführer bis auf den Umstand, dass der Konsum längere Zeit zurückliegt oder aber das Amtsgericht dieser Aussage keinen Glauben schenken möchte, im Zweifel eines Sachverständigen bedienen, um zu klären, aufgrund welcher Umstände sich der Betroffene hätte bewusst machen können, dass der zurückliegende Konsum noch Auswirkungen haben konnte. Neben Ausfallerscheinungen im engeren Sinn können insoweit u.a. die Menge und Qualität des konsumierten Betäubungsmittels, die Häufigkeit des Konsums und die Einlassung des Fahrzeugführers zu seinem Vorstellungsbild Rückschlüsse zulassen.

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