Kammergericht: Befangenheitsantrag wegen unsachlicher Zeugenbefragung


Wer sich fragt, warum Berliner Strafverteidiger eigentlich so sind wie sie sind, dem sei die Lektüre der nachfolgenden Kammergerichtsentscheidung ans Herz gelegt. Da ist es kein Wunder, dass „Stimmung“ im Gerichtssaal herrscht. Das AG Tiergarten hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt, ihm die Fahrerlaubnis entzogen und gem. § 69a Abs.1 S. 1 StGB eine Sperrfrist von sechs Monaten verhängt.

Das Landgericht Berlin verwarf die hiergegen eingelegte Berufung. Allerdings darf sich nach zumindest vorläufig erfolgreicher Revision zum Kammergericht nun eine andere Strafkammer nochmals mit der Berufung auseinandersetzen, da der Vorsitzende der ursprünglich zuständigen kleinen Strafkammer des Landgerichts zum Frühstück wohl einen Clown hatte und es auch sonst mit der Strafprozessordnung nicht so genau nahm.

Die Verhandlungsführung des Vorsitzenden gab Anlass zu mehreren Ablehnungsanträgen wegen der Besorgnis der Befangenheit. Bei der Vernehmung der Ehefrau des Angeklagten als Zeugin, die ausgesagt hatte, sie könne sich nicht mehr erinnern, wer das Fahrzeug im Anschluss an den Unfall auf den Bürgersteig gefahren habe, machte ihr der Vorsitzende den Vorhalt, dann müsse ja wohl „Superman“ das Fahrzeug gefahren haben, und fragte anschließend nochmals ausdrücklich: „Hat Superman das Fahrzeug gefahren?“ Nach Äußerungen der Zeugin zum Alkoholkonsum des Angeklagten, wobei sie unter Abweichung von tatsächlichen oder vermeintlichen früheren Äußerungen erklärte, ihr Ehemann habe nur zwei Gläser Bier getrunken, fragte der Vorsitzende sie, ob sie im Ernst meinen würde, ihr Ehemann sei von zwei Bieren so betrunken geworden und fügte hinzu: „…dann sind das wohl zwei riesige Supermanbiere gewesen oder? Waren das Supermanbiere?“ Daraufhin fing sich der Herr Vorsitzende den ersten und als er sich zunächst geweigert hatte der Verteidigerin zur Antragstellung das Wort zu erteilen, gleich noch einen zweiten Ablehnungsantrag.

Nach einer Sitzungsunterbrechung war die Verteidigerin zu dem für die Fortsetzung festgesetzten Zeitpunkt nicht im Sitzungssaal anwesend. Auf Fragen des Vorsitzenden soll der Angeklagte erklärt haben, seine Verteidigerin schreibe noch an einem angekündigten Antrag und würde gleich kommen. Ohne das Eintreffen der Verteidigerin abzuwarten, setzte der Vorsitzende die Hauptverhandlung fort. Als die Verteidigerin wenige Minuten später den Sitzungssaal betrat und sich erkundigte, warum ohne sie begonnen worden und wie mit der vor der Unterbrechung vernommenen Zeugin verfahren worden sei, soll der Vorsitzende geantwortet haben, es sei ihr Problem, wenn sie nicht rechtzeitig da sei. Bezüglich der vor der Unterbrechung vernommenen Zeugin könne sie im Hauptverhandlungsprotokoll nachlesen, wie verfahren worden sei. Hierfür fing sich „Superjudge“ gleich noch einen weiteren Ablehnungsantrag. In seiner dienstlichen Stellungnahme hierzu wies der Vorsitzende darauf hin, dass die Verteidigerin ihre Verspätung nicht angekündigt und da kein Fall einer notwendigen Verteidigung vorgelegen habe, ein weiteres Zuwarten, insbesondere im Interesse der seit Stunden wartenden Zeugen, für die Beteiligten unzumutbar gewesen sei.

Als er dann um die Absprache eines notwendigen Fortsetzungstermin ging, wandte die Verteidigerin ein, dass sie an diesem Tage zur fraglichen Uhrzeit eine Pflichtverteidigung vor dem Amtsgericht Tiergarten wahrzunehmen habe. „Superjudge“ antwortete, dass ein Fall notwendiger Verteidigung nicht vorliegt und es den Schöffen nicht zuzumuten sei, an einem anderen Tage zusätzlich zu erscheinen. Dafür fing er sich dann selbstverständlich auch noch einen Abblehnungsantrag. War egal, dass Landgericht verwarf die Befangenheitsanträge durch Beschluss und verurteilte den Angeklagten.

Das Kammergericht fand die Verhandlungsführung von „Superjudge“ nicht so amüsant, vielmehr war es der Ansicht, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO vorliegt. Wenn ein Richter an einem Urteil mitwirkt, der wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden und gegen den das Ablehnungsgesuch zu Unrecht als unbegründet verworfen worden ist, kann das Urteil keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, ohne wenn und aber.

Aus den Gründen:

(…) Die Voraussetzungen, unter denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann (§ 24 II StPO), haben vorgelegen. Danach kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 24 I u. II StPO). Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters ist dann gegeben, wenn der Ablehnende bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Grund zu der Annahme hat, dass der abgelehnte Richter ihm gegenüber eine innere Haltung einnimmt, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann. Der Senat hat nach Beschwerdegrundsätzen zu prüfen, ob auf Grund des Verhaltens des Vorsitzenden Richters ein derartiger Grund gegeben war. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Angeklagten an. Maßgebend ist vielmehr, ob ein vernünftiger Angeklagter bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, dass bei dem abgelehnten Richter Umstände vorliegen, die seine Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen können (st. Rspr., s.u.a. BGHSt 23, 265 [266] = NJW 1970, 1558 m.w. Nachw.).

Diese Prüfung ergibt, dass das Ablehnungsgesuch zu Unrecht als unbegründet verworfen worden ist. Der Senat ist dabei nicht auf die isolierte Prüfung jedes einzelnen Befangenheitsantrags für sich genommen beschränkt, sondern kann auch auf die Gesamtschau der oben dargestellten Ablehnungsgesuche zurückgreifen, weil das LG alle oben dargestellten Ablehnungsanträge in einer einheitlichen Entscheidung beschieden hat und somit das beanstandete prozessuale Verhalten des Strafkammervorsitzenden in einer Gesamtschau zu würdigen war (vgl. RGSt 74, 296 (297); BGH, StV 1993, 339; NStZ 2008, 172 [173]; OLG Karlsruhe, StV 2005, 539 [540]; OLG Bamberg, NJW 2006, 2341 [2342] = NStZ 2006, 588 L).

Die vorgetragenen Tatsachen sind, auch aus der Sicht eines besonnenen Angeklagten, geeignet, eine Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen. Auf die Frage, ob der abgelehnte Richter tatsächlich befangen ist, kommt es dabei nicht an (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 24 Rdnr. 6 m. Nachw.). Die beanstandeten Äußerungen und Verhaltensweisen des abgelehnten Richters sind jedenfalls in ihrer Gesamtheit geeignet, den Eindruck zu erwecken, das Gericht könnte sich ohne Rücksicht auf den weiteren Verlauf des Verfahrens vorbehaltlos und endgültig festgelegt haben. Das ergibt sich in erster Linie aus den Äußerungen des Vorsitzenden gegenüber der Zeugin K. Zwar schließt das Gebot sachlicher Befragung des Angeklagten und der Zeugen auch Vorhalte in nachdrücklicher Form nicht aus (vgl. Meyer-Goßner, § 24 Rdnr. 18 m. Nachw.). Gleiches gilt auch für nach der Sachlage noch verständliche Unmutsäußerungen oder überflüssige Bemerkungen.

Die Besorgnis der Befangenheit kann sich jedoch aus unsachlichen spöttischen Nachfragen ergeben. So liegt der Fall hier. Zu Unrecht hat das LG bei der Entscheidung über den Ablehnungsantrag die Grenze zu einer spöttischen Befragung der Zeugin als noch nicht überschritten angesehen. Zwar treffen die Ausführungen des LG zu, die verwendeten Sprachbilder des abgelehnten Richters seien als pointierter Ausdruck von Bedenken gegen die Plausibilität der Angaben der Zeugin zu verstehen. Eine Überzeichnung mit völlig unrealistischen Bildern und Vergleichen mag auch in der alltäglichen Argumentation geläufig sein. Die Benutzung derartiger Begriffe, die Aussagen von Zeugen auf eine Stufe mit überzeichneten und völlig unrealistischen Handlungen von Comicfiguren stellen, lässt jedoch auch aus der Sicht eines verständigen Angeklagten die gebotene Sachlichkeit der Verhandlungsleitung durch den Vorsitzenden vermissen und gibt die Entlastungszeugin der Lächerlichkeit preis, so dass für den Angeklagten Anlass zu der Besorgnis bestand, der Richter habe sich schon ein abschließendes und zwar negatives Bild über den Wahrheitsgehalt der Zeugenaussage gemacht. Dies gilt umso mehr für die Äußerungen des Vorsitzenden im Zusammenhang mit dem Abstellen des Fahrzeugs auf dem Bürgersteig, weil die Zeugin diesbezüglich nicht etwa – wie bei der Frage nach dem Alkoholkonsum des Angeklagten – eine unrealistische Aussage gemacht hat, die mit den sonstigen Beweismitteln nicht in Übereinstimmung zu bringen war, sondern lediglich zum Ausdruck gebracht hat, sie könne sich nicht mehr erinnern, wer das Fahrzeug abgestellt habe. Auch und gerade unter der Prämisse, dass die Äußerungen des abgelehnten Richters nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern im Gesamtzusammenhang gewertet werden müssen, in dem sie gefallen sind (vgl. BGH, NStZ 2000, 325), liegt die Wortwahl des Vorsitzende und das von ihm gebrauchte „Bild“ jenseits der Grenze dessen, was im Gerichtssaal angemessen und mit der Würde des Gerichts vereinbar ist, und ist geeignet, auch bei besonnenen Angeklagten Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters zu erwecken (vgl. BGH, NJW 1984, 1907 [1908f.] = NStZ 1984, 420). Die gilt auch insoweit, als der Vorsitzende Zweifel an dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage hatte und berechtigt, wenn nicht sogar verpflichtet war, die Zeugin deswegen nachdrücklich auf ihre Wahrheitspflicht hinzuweisen. Auch in diesem Zusammenhang sind die von dem Vorsitzenden gewählten Äußerungen nicht gerechtfertigt, sondern geeignet, die Zeugin und ihre Aussagen lächerlich zu machen.

Hinzu kommt, dass der Eindruck der Voreingenommenheit des Vorsitzenden gegenüber dem Angeklagten durch die nachfolgende Verfahrensweise noch verstärkt worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die verfahrensrechtlichen Entscheidungen des Vorsitzenden bzw. die darauf bezogenen Äußerungen bereits – jede für sich genommen – die Besorgnis der Befangenheit zu begründen geeignet gewesen sind. Maßgeblich ist vielmehr, jedenfalls wenn – wie hier – alle Gründe in einer einheitlichen Entscheidung zu beurteilen waren, auch, ob sich aus der Gesamtschau aus der Sicht des Angeklagten die Besorgnis der Voreingenommenheit des Vorsitzenden ergeben kann. Derartige Umstände ergeben sich aus der Fortsetzung der Hauptverhandlung ohne die Verteidigerin, auch wenn diese ein späteres Erscheinen nicht ausdrücklich selbst angekündigt hatte, jedenfalls dann wenn – wovon der Senat auf Grund des Vorbringens der Verteidigerin, das der Vorsitzende in seiner dienstlichen Stellungnahme nicht in Abrede gestellt hat, ausgeht – der Angeklagte mitteilt, die Verteidigerin werde sich verspäten, weil sie noch Anträge vorbereite. Gleiches gilt für die vorgetragene Weigerung des Vorsitzenden, die Verteidigerin über den Verlauf des Verfahrens während ihrer allenfalls siebenminütigen Abwesenheit zu unterrichten.

Auch das Verhalten des Vorsitzenden in Zusammenhang mit der Bestimmung des Fortsetzungstermins am 15. 5. war geeignet, den bestehenden Eindruck des Angeklagten, der Vorsitzende stehe ihm nicht unvoreingenommen gegenüber, zu verstärken. Zwar hat der Angeklagte keinen uneingeschränkten Anspruch auf Terminsverlegung. Gleichwohl ist der erkennende Richter in Terminierungsfragen nicht völlig frei. Vielmehr hat er eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der neben der Belastung des Gerichts und dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung auch die Interessen der Beteiligten, insbesondere des Angeklagten, zu berücksichtigen sind (vgl. Meyer-Goßner, § 213 Rdnr. 6 m. Nachw.) Dies folgt aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Wenn der erkennende Richter vor diesem Hintergrund einen mit einer von der Verteidigerin zu derselben Terminsstunde wahrzunehmenden Pflichtverteidigung begründeten Antrag auf anderweitige Terminierung mit der Begründung ablehnt, andere Tage kämen aus näher bezeichneten Gründen nicht in Betracht, jedoch nicht erkennbar in Erwägung zieht, mit dem Fortsetzungstermin zu einer späteren Stunde am selben Tage zu beginnen, um der Verteidigerin die Teilnahme zu ermöglichen, ist derartiges Verhalten auch bei einem besonnen Angeklagten geeignet, eine schon bestehende Besorgnis der Befangenheit noch weiter zu vertiefen.

KG, Beschluss vom 10.07.2008, Az: (3) 1 Ss 354/07, NJW 2009 Heft 1-2, S. 96 (Volltext)

Zugegeben, die der Entscheidung zugrunde liegende Missachtung einer Verteidigung manifestiert sich selten so massiv nach außen, wie in diesem Fall und es gibt auch beim Kriminalgericht Richterinnen und Richter, die ob ihrer Professionalität auch trotz manchmal auftretender Meinungsverschiedenheiten uneingeschränkten Respekt verdienen, aber ähnliche Fälle einzelner „Superjudges“ kann wohl jeder Berliner Strafverteidiger berichten (so z.B. hier). So ist es auch regelmäßige Unsitte, dass bei kleineren Strafsachen die Vernehmung des Angeklagten zur Person bereits abgeschlossen und die Vernehmung zur Sache schon begonnen hat, bevor man als Verteidiger die Möglichkeit hatte, seine Robe überzuwerfen und seine Sachen zu sortieren. Man fragt sich unweigerlich, ob man nur ein lästiges, „leider“ nach der StPO zulässiges Anhängsel einer Strafverhandlung ist. Über die fehlende Begrüßung beim Betreten des Saales verliert man ja schon kein Wort mehr. Der Verteidigerin in diesem Fall ist für ihr dickes Fell jedenfalls Respekt zu zollen.

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