AG Dessau – Mitwirkung des Verteidigers an einer Verfahrenseinstellung durch gezieltes Schweigen


Unser Mandant erhielt wegen einer recht heftigen Geschwindigkeitsüberschreitung einen Anhörungsbogen im Bußgeldverfahren. Mit der Vertretungsanzeige wurde mitgeteilt, dass der Betroffene sich auf anwaltlichen Rat hin zur Sache zunächst nicht äußern und zunächst Akteneinsicht beantragt wird. Die Durchsicht der Akte ergab keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Messung, allerdings war das Fahrerfoto recht undeutlich.

Die Verwaltungsbehörde erließ einen Bußgeldbescheid, gegen den wir Einspruch einlegten, ohne diesen zu begründen. Kurz darauf stellte die Behörde das Bußgeldverfahren auf Kosten der Landeskasse ein.

Die Festsetzung der notwendigen Auslagen unseres Mandanten, namentlich die Gebühren seiner Verteidigung wurde beantragt. Unter anderem auch eine Gebühr gem. Nr. 5115 Vergütungsverzeichnis zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz. Diese Gebühr entsteht u.a., wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt wird.

Die Verwaltungsbehörde setzte die beantragte Gebühr nicht fest, da eine auf die Förderung des Verfahrens gerichtete Tätigkeit nicht ersichtlich gewesen sei. Es sei lediglich Einspruch ohne weitere Begründung eingelegt worden. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte beim AG Dessau Erfolg.

Aus den Gründen:

(…) Gemäß Nr. 5115 VV RVG steht dem Verteidiger eine zusätzliche Gebühr in Höhe der jeweiligen Verfahrensgebühr zu, wenn das Verfahren durch anwaltliche Mitwirkung vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Mit Schriftsatz (…) hatte der Verteidiger seine ordnungsgemäße Bevollmächtigung angezeigt und mitgeteilt, dass sich sein Mandant – seinem Rat folgend – zur Sache zunächst nicht äußern werde. Die Mitteilung des Verteidigers, dass der Betroffene sich nicht zur Sache einlassen werde, stellt eine Mitwirkung im Sinne der Nr. 5115 VV RVG dar (Baumgärtel u.a., RVG-Kommentar, 13. Auflage, Nr. 5115 VV RVG Ziffer 4a m.w.N.). Die Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG ist vorliegend somit entstanden. (…)

AG Dessau, Beschluss vom 28.02.2008, Az: 13 OWi 84/08

Praxisrelevanz:

Nach überwiegender Auffassung ist die Mitteilung, dass der Betroffene sich nicht zur Sache einlassen werde (sog. „gezieltes Schweigen“), als Mitwirkung i.S.d. Nr. 5115 VV RVG anzusehen, da gerade das gezielte Schweigen Anlass zur Einstellung des Verfahrens geben kann (s. auch AnwKomm-RVG/Schneider, VV 4141 Rn. 31; Burrhoff, in: Burhoff (Hrsg.) RVG Straf- und Bußgeldsachen, Nr. 4141 VV Rn. 7; inzidenter AG Rotenburg AGS 2006, 288 m. Anm. Madert; unzutreffend a.A. AG Dinslaken JurBüro 1996, 308 für das OWi-Verfahren; AG Achern JurBüro 2001, 304; AG Halle AGS 2007, 77, 83; AG Hannover JurBüro 2006, 79 m. abl. Anm. Enders; AG Meinerzhagen RVGprofessionell 2007, 67). Dies gilt auch dann, wenn der Verteidiger für den Betroffenen zunächst lediglich vorläufig vom Schweigerecht Gebrauch macht und sich eine Einlassung zur Sache nach Akteneinsicht vorbehält (AG Berlin-Charlottenburg, Urteil vom 11.04.2007, AZ: 215 C 8/07 in StraFo 2007, 307-308). Ob die anwaltlichen Tätigkeit ursächlich für die Einstellung war, ist unerheblich und auch keine Voraussetzung des anwaltlichen Gebührenanspruchs. Allein entscheidend ist, ob der vom Verteidiger geleistete Beitrag objektiv geeignet war. Diese Eignung wird grundsätzlich vermutet, so dass nur offensichtlich nicht förderliche sachfremde oder neutrale (Bestellungsanzeige, Akteneinsichtsbitte) anwaltliche Äußerungen von der Vergütung ausgeschlossen werden (vgl. OLG Düsseldorf JurBÜro 1999, 131). Welche Gründe die Behörde letztendlich bewogen haben, das Verfahren einzustellen, ist unerheblich.

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