Ein Kieferchirurg verlangte von seinem ehemaligen Patienten Honorarzahlung, hilfsweise Schadensersatz, für eine ausgefallene zahnärztliche Behandlung. Eine vorgesehene Behandlung hatte der Patient 4 Stunden vorher wegen einer angeblichen Verhinderung durch einen Gerichtstermin abgesagt. Der Arzt war der Ansicht, ihm stehe gemäß § 615 BGB der vertragliche Honoraranspruch in Höhe von 5.916,49 EUR zu. Zumindest aber schulde der Patient Schadensersatz, weil der Arzt wegen der Kurzfristigkeit der Absage die freigewordene Zeit nicht habe anderweitig gewinnbringend nutzen konnte.
Der Arzt hatte dem Patienten – wie jedem seiner Patienten – im Rahmen der Erstvorstellung Anamnesebogen vorgelegt, der neben verschiedenen Fragen zu Vorerkrankungen den folgenden vorgedruckten Hinweis enthält:
„Wir bitten darum, Terminänderungen bzw. Terminabsagen uns mindestens 24 Stunden, bei Vollnarkoseeingriffen 3 Tage vorher mitzuteilen. Andernfalls sind wir berechtigt, Ihnen eine Ausfallzeitgebühr zu berechnen.“
Das Landgericht Ellwangen hatte dem klagenden Arzt Schadensersatz in Höhe von 2.512 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 338,82 EUR zugesprochen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dem Kläger stehe zwar kein Anspruch nach § 615 BGB zu, doch habe der Beklagte durch die kurzfristige Absage vertragliche Nebenpflichten verletzt. Er sei daher zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Patient sei gehalten, einen für ihn reservierten Behandlungstermin, den er nicht wahrnehmen könne, nach Möglichkeit frühzeitig abzusagen, um dem Arzt Gelegenheit zu geben, seine Zeit anderweit zu nutzen und Gewinn zu erwirtschaften. Der Kläger habe für den Beklagten 2 Stunden reserviert und in diesem Zeitraum wegen der kurzfristigen Absage keinen anderen Patienten behandeln können. Der Schaden sei zu berechnen nach dem der nutzlos verstrichenen Zeit entsprechenden durchschnittlichen Umsatz der Praxis, der den entgangenen Gewinn gemäß § 252 BGB darstelle. Dieser Schaden betrage insgesamt 2.512 EUR.
Dagegen wenden sich sowohl der Arzt, als auch der Patient mit ihren Berufungen. Während der Patient beim Oberlandesgericht Oldenburg überwiegend Erfolg hatte, war die Berufung des Arztes erfolglos. Nach Ansicht des OLG Oldenburg stand dem Arzt nämlich weder nach § 615 BGB ein vertraglicher Honoraranspruch zu, noch konnte er nach den §§ 280, 281, 252 BGB Schadensersatz verlangen. Zwar habe der Patient eine vertragliche Nebenpflicht schuldhaft verletzt, indem er den vereinbarten Termin nicht rechtzeitig absagte, der Arzt habe aber nicht hinreichend genug dargelegt, dass ihm tatsächlich ein Schaden entstanden sei. Voraussetzung für einen Schadenersatzanspruch wäre gewesen, dass der Arzt darlegt und unter Beweis stellt, dass andere Patienten sich bei ihm mit der Bitte um einen kurzfristigen Termin gemeldet hatten, die er wegen der anstehenden Behandlung des Beklagten hätte abweisen müssen oder dass eine kurzfristige Vergabe von Terminen bei Wegfall einer geplanten Behandlung nicht möglich gewesen sei.
Aus den Gründen:
Ob und unter welchen Voraussetzungen einem Arzt oder Zahnarzt für den Fall der Absage eines fest vereinbarten Behandlungstermins seitens den Patienten Ansprüche auf das Behandlungshonorar nach § 615 BGB i.V. mit den Bestimmungen der jeweiligen Gebührenordnung (GOÄ bzw. GOZ) zustehen können, ohne dass der Arzt die Behandlung nachzuholen hat, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Ein Teil der veröffentlichten Rechtsprechung hält – mit teils divergierenden Begründungen und in unterschiedlichen Fallkonstellationen – § 615 BGB grundsätzlich für nicht anwendbar (LG München II, NJW 1984, 671; LG Heilbronn, NZS 1993, 424; LG Hannover, NJW 2000, 1799; AG München, NJW 1990, 2939; AG Calw, NJW 1994, 3015; AG Rastatt, NJW-RR 1996, 817; AG Dieburg, NJW-RR 1998, 1520). So wird insbesondere die Auffassung vertreten, die Vereinbarung eines Behandlungstermins diene – jedenfalls im Zweifel – nur der Sicherung eines zeitlich geordneten Behandlungsablaufs, beinhalte aber grundsätzlich keine kalendermäßige Bestimmung der Leistungszeit i.S. des § 296 BGB (so LG München II, aaO), so dass es im Allgemeinen am Annahmeverzug fehle. Zudem liege im Hinblick auf das (freie) Kündigungsrecht des Patienten nach § 621 Nr. 5 BGB oder § 627 BGB das Risiko, die erwartete Vergütung nicht zu verdienen, beim Arzt (LG München II und AG Calw, jeweils aaO, auch zur Frage eines Schadensersatzanspruchs).
Andere Gerichte haben dagegen Vergütungsansprüche – wiederum in unterschiedlichen Sachverhaltskonstellationen und mit unterschiedlicher Begründung – bejaht (LG Konstanz, NJW 1994, 3015; AG Osnabrück, NJW 1987, 2935 für Krankengymnasten; AG Bremen, NJW-RR 1996, 819; AG Ludwigsburg, NJW-RR 1993, 1695; AG Meldorf, NJW-RR 2003, 1029 für den Fall des Nichterscheinens ohne vorherige Terminsabsage; implizit auch AG Fulda, Arzt und Recht 2003, 167).
Auch in der Literatur sind die Meinungen geteilt (für die Anwendung des § 615 BGB: Wertenbruch, MedR 1991, 167; Uhlenbruck/Kern in Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage, RN 14 zu § 78 und RN 21 zu § 82 m.w.N; wohl auch Henssler in Münchner Kommentar zum BGB, 4. Auflage, RN 9 zu § 615 BGB; Palandt-Weidenkaff, BGB, 66. Auflage, RN 2 zu § 615 BGB; gegen eine sog. Verweilgebühr dagegen Hesse in Münchner Kommentar zu BGB, 4. Auflage, RN 28 zu § 621 BGB).
Die grundsätzliche Streitfrage (…) braucht im vorliegenden Fall nicht abschließend entschieden zu werden. Zweifel erscheinen im Hinblick auf das freie Kündigungsrecht des Patienten (§§ 621 Nr.5, 627 BGB) und im Hinblick auf den Zweck einer Terminsvereinbarung angebracht, zumal auch Ärzte und Zahnärzte ihren Patienten nicht selten erhebliche Wartezeiten ohne Ausgleich für entgangenen Verdienst abverlangen. (…)
Im vorliegenden Fall steht einem Anspruch nach § 615 BGB aber bereits der Umstand entgegen, dass die Parteien den (…) vereinbarten Termin im Einvernehmen auf einen späteren Zeitpunkt (5.9.2005) verlegt haben. Durch diese Terminsänderung (…) konnte (…) kein Annahmeverzug mehr eintreten. (…)
Zutreffend hat das Landgericht allerdings angenommen, dass der Beklagte dadurch, dass er den Kläger lediglich 4 Stunden vor der geplanten Behandlung über seine Verhinderung informiert hat, gegen vertragliche Nebenpflichten verstoßen hat. Es lag auf der Hand, dass der Kläger, der immerhin 2 Stunden für die umfangreiche Behandlung reserviert hatte, aus Gründen der zeitlichen Planung ein erhebliches und berechtigtes Interesse daran hatte, möglichst frühzeitig über Verhinderungen informiert zu werden. Der Kläger hatte den Beklagten auch im Anamneseformular ausdrücklich gebeten, Termine nicht innerhalb der letzten 24 Stunden abzusagen.
Da eine rechtzeitige Absage unschwer möglich war, hatte der Beklagte nach Treu und Glauben – der Bitte des Klägers entsprechend – die Pflicht, dem Kläger die Verhinderung spätestens 24 Stunden vorher mitzuteilen.
Gegen diese Pflicht hat der Beklagte schuldhaft verstoßen. (…)
Der Kläger hat aber einen durch die Pflichtverletzung des Beklagten verursachten Vermögensschaden (§§ 249 ff. BGB) nicht schlüssig dargetan.
Das Landgericht hat einen entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) mit der Erwägung bejaht, es wäre dem Kläger im Falle einer längerfristigen Absage möglich gewesen, in der frei gewordenen Zeit einen anderen Patienten zu behandeln (…). Der Schaden errechne sich daher nach dem der „nutzlosen“ Zeit entsprechenden durchschnittlichen Umsatz der Praxis des Klägers. (…)
Diese Erwägungen rechtfertigen einen Schadensersatzanspruch nach § 252 BGB, auch unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen nach § 287 ZPO, nicht. Das Landgericht hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass dem Kläger durch die Pflichtverletzung des Beklagten ein Schaden nur insoweit entstanden sein kann, als er bei rechtzeitiger Terminsabsage einen „Ersatzpatienten“ hätte behandeln können und behandelt hätte, den er tatsächlich nicht behandeln konnte und nicht behandelt hat. Dies muss im Rahmen des § 252 Satz 2 BGB zumindest als wahrscheinlich anzunehmen sein. (…)
Gemäß § 252 BGB kann der Kläger denjenigen entgangenen Gewinn als Schaden ersetzt verlangen, welcher nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Damit genügt zwar auch hinsichtlich der Schadensverursachung ein geringerer Grad an Sicherheit als er im Allgemeinen im Schadensrecht erforderlich ist. Es darf aber dennoch der allgemeine schadensersatzrechtliche Grundsatz nicht außer Betracht bleiben, wonach sich jeder Schaden i.S. der §§ 249 ff. BGB aus einem Vergleich der tatsächlichen Vermögenslage mit derjenigen Vermögenslage errechnet, die bestünde, wenn das zum Ersatz verpflichtende schädigende Ereignis nicht eingetreten wäre (sog. Differenzhypothese). Auch im Rahmen der §§ 252 BGB, 287 ZPO ist daher der maßgebliche Bezugspunkt der Schadensfeststellung stets die Frage, wie der (hypothetische) Verlauf – wahrscheinlich – gewesen wäre, wenn sich der Schädiger pflichtgemäß verhalten hätte. Dies ist nicht erst eine Frage des rechtmäßigen Alternativverhaltens, sondern im Rahmen der Kausalität zu berücksichtigen. Insoweit ist zugleich einer abstrakten Schadensberechnung die Grenze gesetzt, so dass es im vorliegenden Fall auf die durchschnittlichen Stundenumsätze der Praxis des Klägers erst ankommen kann, wenn mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststeht, dass in der fraglichen Zeit andere Patienten hätten behandelt werden können, wenn der Beklagte rechtzeitig – jedenfalls 24 Stunden vorher – den Termin abgesagt hätte.
Dies ist nicht der Fall. Das Landgericht hat keine tragfähigen Feststellungen dazu getroffen, wie sich der Kläger bei einer Absage bereits am Vortag verhalten hätte, insbesondere, ob er tatsächlich die Möglichkeit gehabt hätte, an Stelle des Klägers andere Patienten zu behandeln, die er wegen der verspäteten Absage nicht behandeln konnte. (…)
Daher hat der Kläger nicht schlüssig dargetan, dass ihm durch die verspätete Absage des Beklagten überhaupt ein Verdienstausfall entstanden ist. Dies wäre nur der Fall, wenn er bei einer Absage bis zu 24 Stunden vor der Behandlung, wie er sie von seinen Patienten verlangt, die Möglichkeit gehabt hätte, einen bestimmten anderen Patienten in der frei gewordenen Zeit zu behandeln, den er tatsächlich nicht, auch nicht später, behandeln konnte oder wenn er behauptet und konkret belegt hätte, dass dies dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge entspricht. (…)
Dem Kläger steht daher der geltend gemachte Anspruch auch als Schadensersatz nicht zu, so dass das Urteil insoweit abzuändern und die Klage abzuweisen ist.
Zu Recht (…) hat das Landgericht dem Kläger vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 338,82 EUR zugesprochen. Der Beklagte hatte trotz mehrfacher Zahlungsaufforderung die fällige Honorarrechnung (…) nicht beglichen, so dass er sich insoweit im Zahlungsverzug befand (§ 286 BGB) und nach § 280 Abs.2 BGB den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen hat. Dem Kläger sind durch die Beauftragung seiner Anwälte Kosten in Höhe von 338,82 EUR entstanden, die auf die Prozesskosten nicht anzurechnen sind und die der Beklagte zu erstatten hat. (…)
OLG Stuttgart, Urteil vom 17.04.2007, AZ: 1 U 154/06 – (Volltext)
Vorinstanz: LG Ellwangen, Urteil vom 13.10.2006, AZ: 5 O 490/05