Kammergericht – Bei Erstverbüßer, der wegen Drogenhandels verurteilt wurde, sind an die positive Prognose besondere Anforderungen zu stellen


Ein wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten Verurteilter stellte einen nach Verbüßung von zwei Dritteln seiner Haft einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung (§ 57 StGB). Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin verwarf den Antrag.

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb beim Kammergericht ohne Erfolg, wobei allerdings auch zu berücksichtigen ist, dass dem Verurteilten eine neuerliche einschlägige Straftat, die er im Zeitraum der Strafvollstreckung begangen haben soll, vorgeworfen wurde. Trotzdem die Verurteulung wegen der neuen Straftat noch nicht rechtkräftig war, sah das Kammergericht sich nicht daran gehindert, dies bei der negativen Prognoseentscheidung zu berücksichtigen.

Aus den Gründen:

Für einen Erstverbüßer wie den Verurteilten spricht zwar grundsätzlich die Vermutung, dass die erste Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ihn ausreichend beeindruckt und in Zukunft von weiteren Straftaten abhält (vgl. KG ZfStrVo 1996, 245 = NStZ-RR 1997, 27 und Beschluss vom 6. November 2002 – 5 Ws 533-534/02 -). Dieser Grundsatz erfährt jedoch eine Einschränkung, wenn der Verurteilte mit Betäubungsmitteln handelte. Der Beschwerdeführer hat (…) mit Ecstasy–Tabletten in erheblichem Umfang Handel getrieben und sich an solchen Taten beteiligt, obwohl er selbst nicht abhängig war. Angesichts der außerordentlichen Gefährdung, die derartige Taten für das Leben und die Gesundheit Dritter mit sich bringen, wiegt die Verantwortung, die die Vollstreckungsgerichte mit einer vorzeitigen Haftentlassung des Täters auf sich nehmen, besonders schwer (vgl. KG, Beschlüsse vom 23. Oktober 2002 – 5 Ws 569/02 – und vom 4. Oktober 2001 – 5 Ws 640/01 -). Eine günstige Prognose ließe sich in diesen Fällen nur dann gewinnen, wenn Tatsachen vorlägen, die sicherstellten, dass der Beschwerdeführer seine charakterlichen Mängel soweit behoben hätte, um Tatanreizen künftig zu widerstehen.

Allein der Wille, sich künftig an Gesetze zu halten, genügt nicht(vgl. KG NStZ-RR 2000, 170). Das ordnungsgemäße Vollzugsverhalten reicht hierfür nicht aus; denn daraus ergibt sich nur, dass der Gefangene sich unter den strengen Regeln des Vollzuges beanstandungsfrei verhalten kann. Für seine Führung in Freiheit lassen sich daraus keine tragfähigen Schlüsse ziehen (vgl. KG ZfStrVo 1996, 245 = NStZ 1997, 27 und Beschluss vom 22. April 1998 – 5 Ws 197/98 -). Maßgeblich ist vielmehr eine günstige Entwicklung während des Vollzuges, die von besonderem Gewicht sein muss. Dazu zählen etwa die Beseitigung von Defiziten im Sozialverhalten, vor allem die Behebung von tatursächlichen Persönlichkeitsmängeln, wie sie bei dem Beschwerdeführer zutage getreten sind. Dazu ist die aktive und erfolgreiche Auseinandersetzung mit den Taten und die Aufarbeitung ihrer Ursachen erforderlich. Davon kann nur gesprochen werden, wenn der Verurteilte sein Fehlverhalten angemessen beurteilen und sich die Taten hinsichtlich ihrer Ursachen, ihrer konkreten Bedeutung und ihren Folgen so bewusst gemacht hat, dass eine Wiederholung dieses oder eines anderen Gesetzesverstoßes wenig wahrscheinlich ist (vgl. KG, Beschlüsse vom 6. November 2002 – 5 Ws 533-534/02 – und vom 11. Februar 2002 – 5 Ws 55/02 -).

Tatsachen für eine derartige günstige Entwicklung sind aber weder vorgetragen noch erkennbar. Dem Verurteilten ist es lediglich gelungen, sich den Bedingungen des Vollzuges anzupassen und formal seine Taten zu bereuen. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass er Vollzugslockerungen (…) beanstandungsfrei absolvierte. Umstände für eine günstige Entwicklung müssen feststehen; sie dürfen nicht lediglich unterstellt werden. Auf die Gründe, warum der Beschwerdeführer solche Tatsachen nicht schaffen konnte, kommt es nicht an (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 311; KG, Beschluss vom 24. Februar 1999 – 5 Ws 87/99 -).

Diesen Anforderungen genügt der Beschwerdeführer nicht. Ein dauerhafter charakterlicher Wandel, der den dargestellten Anforderungen genügt kann dem Beschwerdeführer trotz seines (…) beanstandungsfreien Vollzugsverhaltens nicht attestiert werden. Denn mit Haftbefehl (…) und einer diesem entsprechenden Anklageschrift (…) wird dem Verurteilten erneut eine einschlägige Tat, die in die Zeit der Strafvollstreckung fällt, vorgeworfen. Danach hat der Verurteilte (…) zusammen mit einem weiteren Gefangenen mit insgesamt 471,2 Gramm Kokain Handel getrieben. (…) Wegen dieses Vorwurfs wurde der Beschwerdeführer (…) – nicht rechtskräftig – zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darin zeigt sich, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen ist, sich von seinen Straftaten dauerhaft zu distanzieren.

Die Strafvollstreckungskammer war entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht daran gehindert, ihre negative Prognosebeurteilung auch auf die dem Verurteilten (…) zur Last gelegten Tat zu stützen, die zwischenzeitlich zu einer nicht rechtskräftigen Verurteilung geführt hat. Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK steht dem nicht entgegen. (…)

Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung (§ 57 Abs. 1 Satz 2 StGB) gehen Zweifel über das Prognoseurteil zu Lasten des Verurteilten, so dass bei verbleibenden Unsicherheiten über die Frage, ob mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von künftiger Straffreiheit des Verurteilten auszugehen sei, eine bedingte Haftentlassung nicht in Betracht kommt. (…) Hinzu kommt, dass das Verfahren nach § 57 StGB nicht die Rechtsfolgen der neuen Tat betrifft, sondern allein die Frage der Fortsetzung der Vollstreckung einer bereits rechtskräftig erkannten Strafe wegen eines ungünstigen Prognoseurteils. Folglich bedarf es nicht zwingend sicherer Feststellungen über das Vorliegen einer neuerlichen Straftat; vielmehr kann die Prognose bereits dann ungünstig erscheinen, wenn der Verurteilte mit hoher Wahrscheinlichkeit eine neue Straftat begangen hat (vgl. BVerfG NJW 1994, 378). (…)

Kammergericht, Beschluss vom 06.07.2006, Az: 5 Ws 273/06 (www.strafverteidiger-berlin.de)

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