OLG Celle – Schadenersatzanspruch gegen Behörde bei Nichtanerkennung eine EU-Führerscheins


Der Kläger verlangte von dem beklagten Landkreis Schadensersatz aus einer Amtspflichtverletzung, weil ihm mit einer Ordnungsverfügung untersagt wurde, von seiner in Tschechien erteilten Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen. Wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und Trunkenheit im Straßenverkehr war dem Kläger die Fahrerlaubnis entzogen worden, für die Neuerteilung wurde eine Sperre verhängt. Der beklagte Landkreis verweigerte dem Kläger nach Ablauf der Sperrfrist die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis und verlangte eine MPU. Der Kläger stellte sich der Untersuchung nicht und besorgte sich statt dessen eine tschechische Fahrerlaubnis. Daraufhin verbot ihm der Landkreis mit sofort vollziehbaren Bescheid von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Bundesgebiet Gebrauch zu machen.

Im Verfahren auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entziehung und das Verbot der Benutzung der tschechischen Fahrerlaubnis scheiterte der Kläger zunächst vor dem Verwaltungsgericht und sodann im Beschwerdeverfahren vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht. Dann aber gab der beklagte Landkreis dem Widerspruch des Klägers statt und hob die Ordnungsverfügung auf. Der Kläger verlangt darauf hin Ersatz der ihm im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren entstandenen Rechtsanwaltskosten sowie für eine Entschädigung von 40 EUR je Kalendertag für den Zeitraum der Ordnungsverfügung, weil es ihm nicht möglich war, in dieser Zeit ein Kraftfahrzeug zu benutzen.

Das Landgericht Lüneburg wies die Klage ab, da die Bediensteten des Landkreises jedenfalls nicht schuldhaft gehandelt hätten. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung habe lediglich die Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 29. April 2004 im Fall Kapper (NJW 2004, 1725) vorgelegen, aus der sich nicht eindeutig ergebe, dass der Beklagte sich habe anders verhalten müssen. Hinsichtlich der Kosten des Eilverfahrens komme eine Ersatzpflicht nicht in Betracht, weil die Entscheidung nach damaligem Recht richtig gewesen sei. Die Änderung des Rechts führe nicht dazu, dass Entscheidungen eines Gerichts über Kosten, welches auf einer anderen Rechtsgrundlage entschieden habe, von dem Verfahrensgegner zu ersetzen seien. Der Anspruch auf Nutzungsausfall sei nicht hinreichend dargelegt.

Die Berufung des Klägers zum OLG Celle hatte nur geringen Erfolg. Ein Nutzungsausfall wurde dem Kläger dort ebenfalls nicht zuerkannt, allerdings erhielt er seine Rechtsanwaltskosten aus den verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstattet. Der Ersatzanspruch ergebe sich auch nicht aus Amtshaftung, sondern aus dem Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsgesetz. Der Erlass des Bescheides verstieß gegen die Richtlinie des Europarates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (91439EWG) und war damit rechtswidrig. Der nach dem Nds.SOG zu ersetzende Vermögensschaden umfasse daher die Kosten des Klägers für sein vergebliches Bemühen, die Folgen seiner fortdauernden rechtswidrigen Inanspruchnahme durch Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs zu beseitigen.

Leitsatz:

Die Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (91439EWG) verwehrt es einer deutschen Verwaltungsbehörde, die Anerkennung einer seinem Angehörigen von der Behörde eines anderen Mitgliedstaates nach Ablauf der Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis zu verweigern.

Untersagt eine Verwaltungsbehörde dem Inhaber einer solchen Fahrerlaubnis das Führen von fahrerlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen, handelt sie gemeinschaftswidrig, sofern diese Maßnahme nicht wegen eines Verhaltens ihres Angehörigen nach Erteilung der Fahrerlaubnis ergriffen wird (Neutatsache). Selbst dann, wenn der Angehörige die Behörden des ausländischen Mitgliedstaates durch rechtsmissbräuchliches Verhalten zur Ausstellung der Fahrerlaubnis veranlasst hat, ist es ausschließlich Sache der ausstellenden Behörde des Mitgliedstaates, die erteilte Fahrerlaubnis zu widerrufen (EuGH. Beschluss vom 29. April 2004 = NJW 2004, 1725. Beschluss vom 6. April 2006 = NJW 2006, 2173. Beschluss vom 28. September 2006 = NJW 2007, 1863. BayVGH, Beschluss vom 22. Februar 2007 = ZfSch 2007, 354).

Das bloße – rechtswidrige – Verbot, ein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug zu führen, stellt für sich genommen noch keinen Vermögensschaden dar und rechtfertigt insbesondere nicht einen Ausgleich für den Verlust von Gebrauchsvorteilen durch Zuerkennung von Tagespauschalen, wie dies nach den Tabellen von SandenDanner bei dem Fortfall der Nutzungsmöglichkeit von Kraftfahrzeugen anerkannt ist (BGHZ 63, 203).

Aus den Gründen:

Dahinstehen kann, ob es für eine Haftung der Beklagten wegen Amtspflichtverletzung aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 womöglich am erforderlichen Verschulden fehlt (…). Denn der Beklagte ist dem Kläger jedenfalls nach §§ 80, 81 Nds.SOG zum Ersatz der im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren entstandenen (…) Rechtsverfolgungskosten verpflichtet.

§ 80 Abs. 1 Satz 2 postuliert eine Haftung für jede rechtswidrige Inanspruchnahme, unabhängig davon, ob der Betroffene als Nichtstörer nach § 8 oder als Störer nach § 6 in Anspruch genommen worden ist, sofern die Inanspruchnahme nur rechtswidrig war (BöhrenzUngerSiefken, Nds.SOG, 8. Aufl., § 80 Rn. 3). Bei der Verbotsverfügung des Beklagten (…) handelte es sich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr, denn der Beklagte hat dem Kläger zur Herstellung der erforderlichen öffentlichen Sicherheit und Ordnung verboten, in Deutschland ein Kraftfahrzeug zu führen, weil er nach Auffassung des Beklagten nicht im Besitz der dafür erforderlichen Fahrerlaubnis war, die in Tschechien erteilte Fahrerlaubnis nach seiner Auffassung in der BRD keine Gültigkeit hatte. Diese Annahme war fehlerhaft, was auch der Beklagte letztlich durch die Aufhebung der Ordnungsverfügung eingeräumt hat. Der Erlass des Bescheides verstieß gegen die Richtlinie des Europarates vom 29. Juli 1991 über den Führerschein (91439EWG), (…).

Der Europäische Gerichtshof hat mehrfach Fälle der vorliegenden Art entschieden und erkannt, dass nach der Führerscheinrichtlinie die Behörde eines Mitgliedstaates ihrem Angehörigen die Benutzung einer in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis nicht untersagen darf. Dies folgt aus Art. 1 Abs. 2 FSRichtlinie. Danach werden von jedem Mitgliedstaat die von einem anderen Mitgliedstaat der Union ausgestellten Führerscheine anerkannt, und zwar „ohne jede Formalität“ (EUGH NJW 2004, 1725 Nr. 45 Kapper). Dabei ist es den Mitgliedstaaten auch versagt, die Einhaltung der Ausstellungsbedingungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen (EuGH NJW 2007, 1863 Nr. 27 – Kremer. NJW 2006, 2173 Nr. 34 Halbritter). Ist die Fahrerlaubnis unter Vortäuschung eines Wohnsitzes im Ausstellungsstaat erschlichen worden, so ist es ausschließlich Sache des Ausstellungsstaates die von seinen Behörden erteilte Fahrerlaubnis zu entziehen (EuGH NJW 2004, 1725 Nr. 48 – Kapper).

Das Recht zur Verweigerung der Anerkennung von Fahrerlaubnissen aus Art. 8 Abs. 4 FSRichtlinie erstreckt sich nach dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften auch nicht auf solche Fälle, in denen ein Mitgliedstaat dem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaates nach Entzug der Altfahrerlaubnis und abgelaufener Sperrfrist eine neue Fahrerlaubnis erteilt hat, obwohl er in seinem Mitgliedstaat mangels Eignung zum Führen eines Kraftfahrzeugs keine neue Fahrerlaubnis erteilt bekommen hätte. Er hat ausgeführt (NJW 2004, 1725 – Kapper):

Nach dem Wortlaut von Art. 8 IV der Richtlinie 91439 kann ein Mitgliedstaat es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 dieses Artikels genannten Maßnahmen angewendet wurde. Da diese Bestimmung eng auszulegen ist, kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf sie berufen, um einer Person, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer früher von ihm erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, auf unbestimmte Zeit die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins zu versagen, der ihr möglicherweise später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt wird. Ist nämlich die zusätzlich zu der fraglichen Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis im
Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats bereits abgelaufen, so verbietet es Art. 1 II i. V. mit
Art. 8 IV der Richtlinie 91439 diesem Mitgliedstaat, weiterhin die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins, der dem Betroffenen später von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist, abzulehnen.

Nach alledem ist auf den zweiten Teil der Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 II i. V. mit Art. 8 IV der Richtlinie 91439 so auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht deshalb ablehnen darf, weil im Hoheitsgebiet des erstgenannten Mitgliedstaats auf den Inhaber des Führerscheins eine Maßnahme des Entzugs oder der Aufhebung einer von diesem Staat erteilten Fahrerlaubnis angewendet wurde, wenn die zusammen mit dieser Maßnahme angeordnete Sperrfrist für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis in diesem Mitgliedstaat abgelaufen war, bevor der Führerschein von dem anderen Mitgliedstaat ausgestellt worden ist.

An dieser Rechtsprechung hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften auch im Fall Halbritter festgehalten und ergänzend ausgeführt, Mitgliedstaaten dürften vom Inhaber eines in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins nicht verlangen, dass er die Bedingungen erfüllt, die ihr nationales Recht für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach Entzug aufstellt (NJW 2006, 2173 Nr. 29).

Soweit ersichtlich wird diese Rechtsprechung auch von den Obergerichten in der Zivil und Verwaltungsgerichtsbarkeit anerkannt (vgl. vornehmlich OLG München, Urteil vom 12. Juli 2007 – 1 U 204207). Soweit insbesondere in der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die der Argumentation des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Ausgangspunkt folgt, im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren die Auffassung vertreten wird, der in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Fahrerlaubnis dürfe die Anerkennung ausnahmsweise versagt werden – jedenfalls sei das nicht offensichtlich rechtswidrig , wenn diese auf rechtsmissbräuchliche Weise erlangt worden sei – sogenannter Führerscheintourismus. siehe etwa OVG NW vom 13. September 2006 – 16 B 98906 = VRS 111, 466. ausführlich und mit Nachweisen: Nds.OVG, Beschluss vom 14. Dezember 2006 – 12 ME 33506 = ZfSch 2007, 235, Beschluss v. 13. Juli 2007 16 B 82307 m. w. N.. Hess.VHG. Beschluss v. 12. Februar 2007 – 2 TG 1307, NJW 2007, 1897 , folgt der Senat dieser Rechtsprechung nicht (ebenso OLG München, s. o.). Freilich ist es in höchstem Maße verwerflich, wenn jemand ohne Verfolgung weiterer Zwecke außerhalb seines Heimatstaates in einem anderen Mitgliedstaat einen Wohnsitz nimmt, um dort eine Fahrerlaubnis zu erhalten, die ihm in seinem Heimatstaat – womöglich zur Vermeidung einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer – richtigerweise niemals erteilt worden wäre. Diese Überlegung hat vor dem Hintergrund der referierten Rechtsprechung des Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften aber keinen Platz. Wie ausgeführt, ist es danach Sache des einzelnen Mitgliedstaates, die Voraussetzungen für die Erteilung von Fahrerlaubnissen autonom zu regeln. Diese sind von den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen. Rechtsmissbräuchlich erlangte Führerscheine sind dabei keineswegs hinzunehmen, sondern gegebenenfalls von der ausstellenden Behörde einzuziehen. Solange das nicht geschehen ist, darf aber deren Anerkennung nicht verweigert werden. Schon im Fall Kapper hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nämlich unmissverständlich ausgeführt, dass die Anerkennung einer nach Ablauf der Sperrfrist erteilten Fahrerlaubnis nicht verweigert werden darf (unter Nr. 78). (…)

Rechtlich unerheblich für einen Ersatzanspruch nach § 80 Abs. 1 Satz 2 Nds.SOG ist, dass das Handeln der Bediensteten des Beklagten womöglich entschuldbar war, weil sie sich von der teilweise nicht europarechtskonformen Fahrerlaubnisverordnung des Bundesministers für Verkehr (BGBl. I 1998, 2214. BGBl. I 2002, 3267. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl. FeV § 28  Rn. 5 ff.. BayVGH, Urt. v. 22. Februar 2007 – 11 CS 06.1644 Rn. 44 zitiert nach juris. Nds. OVG, Beschlüsse vom 11. Oktober 2005 in 12 ME 28805 = DAR 2005, 701 und 12 ME 28205) haben leiten lassen und ihr Verhalten nach Ansicht von Teilen der obergerichtlichen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit beanstandungsfrei gewesen sein mag. Die Haftung nach §§ 80 ff. Nds.SOG ist eine verschuldensunabhängige Haftung.

Der nach § 81 Abs. 1 Nds.SOG zu ersetzende Vermögensschaden umfasst die Kosten des Klägers für sein vergebliches Bemühen, die Folgen seiner fortdauernden rechtswidrigen Inanspruchnahme durch Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs zu beseitigen.

Dem steht nicht entgegen, dass dem Kläger im erfolglosen verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren die Verfahrenskosten auferlegt worden sind, selbst dann nicht, wenn, wie der Beklagte wohl meint, damit die Kostenpflicht des Klägers mit materieller Rechtskraft für und gegen die Parteien endgültig – eine solche Endgültigkeit ist Entscheidungen im Eilverfahren an sich fremd – festgestellt worden ist. Über die Kosten des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens haben die Gerichte nur unter prozessualen Gesichtspunkten entschieden. Die Rechtswidrigkeit der Amtshandlung haben das Verwaltungsgericht und das Niedersächsische OVG gerade nicht abschließend bejaht oder verneint, so dass für einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch Raum bleibt.

Die prozessuale Kostenpflicht ist vielmehr Voraussetzung für den Eintritt eines Schadens, der nach materiellem Recht liquidiert werden kann. Hätte der Beklagte dem Kläger die Kosten nach § 154 Abs. 2 VwGO zu erstatten, so wäre dem Kläger kein Schaden entstanden. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB nur dann besteht, wenn der Geschädigte versucht hat, den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Dem Kläger kann dann aber der Ausgleichsanspruch nicht mit der Begründung versagt werden, sein Rechtsmittel sei für ihn kostenpflichtig zurückgewiesen worden. Zur Vermeidung eines Wertungswiderspruchs muss diese Überlegung aber auch für den Anspruch aus §§ 80, 81 Nds.SOG gelten. Auch insoweit gilt, dass die Verwaltungsgerichte zur Rechtswidrigkeit der Inanspruchnahme des Klägers im Eilverfahren keine abschließenden Feststellungen getroffen haben.

OLG Celle, Urteil vom 18.12.2007, AZ: 16 U 92/07

Praxisrelevanz.

Personen, denen die Fahrerlaubnis nach deutschem Recht entzogen wurde und die sich zur Neuerteilung einer Eignungsprüfung unterziehen müssten, erwerben häufig einen in einem europäischen Land ausgestellten Führerschein. Die in einem EU-Mitgliedstaat rechtmäßig erteilten Führerscheine sind in ganz Europa gültig. Mit diesem sog. „Führerscheintourismus“ wird unter Ausnutzung des europäischen Gemeinschaftsrechts deutsches Recht umgangen. Für die Erteilung der Fahrerlaubnis gelten die Gesetze des jeweiligen Ausstellerstaates, mangels einheitlicher Register ist dem ausstellenden Mitgliedsstaat auch nicht bekannt, warum der Person in Deutschland ein Führerschein versagt wird.

Der Europäische Gerichtshof hatte in seinem Urteil vom 29. April 2004 C-476/01 (Kapper) festgestellt, dass ein erteilter Führerschein aus einem EU -Mitgliedstaat im Aufnahmestaat selbst dann anerkannt werden muss, wenn gegen die Wohnsitzregel offensichtlich verstoßen wurde. Deutsche Verwaltungsbehörden ignorierten diese Entscheidung weitestgehend und gingen davon aus, berechtigt zu sein, die Fahreignung durch eine MPU auf der Grundlage der weiter bestehenden Eignungszweifel zu prüfen und im Fällen der nicht fristgerecht Beibringung eines Gutachtens den Gebrauch des ausländischen Führerscheins zu untersagen. In den überwiegenden Fällen wurde diese Vorgehensweise von den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten bestätigt.

Mit Urteil vom 6. April 2006 C-227/05 (Halbritter) entschied der Europäischen Gerichtshof dann aber, dass die Gültigkeit eines in Österreich rechtmäßig erworbenen Führerscheins nach Ablauf der Sperrfrist von der deutschen Fahrerlaubnisbehörde nachträglich nicht in Frage gestellt werden darf und der Führerschein auf Antrag des Bewerbers ohne weitere Auflagen in eine gültige deutsche Fahrerlaubnis umgeschrieben werden muss.
Diese Entscheidung konnte in ihrer Klarstellung nicht ignoriert werden, so dass deutsche Verwaltungsbehörden dazu übergingen, die Berufung auf Gemeinschaftsrecht generell zu untersagen, wenn offensichtlich falsche oder unvollständige Angaben im Ausstellerstaat gemacht wurden und demzufolge die Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis durch die ausländische Behörden unzureichend war. Auch diese Vorgehensweise wird von den Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichten weitestgehend gestützt.

Die europäische dritte Führerscheinrichtlinie (PDF) wird dem Führerscheintourismus wohl ein Ende bereiten. Danach kann ein Mitgliedstaat die Anerkennung der Gültigkeit eines Führerscheins ablehnen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, deren Führerschein in seinem Hoheitsgebiet entzogen ist. Die Richtlinie muss bis zum 19. Januar 2013 in nationales Recht der Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. In Deutschland ist die Umsetzung für 2009 vorgesehen. Alle bis dahin ausgestellten Führerscheine genießen Bestandsschutz.

Nachtrag:
Mit Urteil vom 11.09.2008, Az: III ZR 212/07, entschied der BGH, dass Schadenersatzansprüche jedenfalls dann nicht bestehen, wenn der EU-Führerschein unter Verletzung des Wohnortprinzips erworben wurde.

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