LAG Baden-Württemberg – Keine Diskriminierung nach dem AGG, wenn es an einer subjektiv ernsthaften Bewerbung fehlt


Als „AGG-Hopping“ wird eine finanziell motivierte Pseudobewerbung bezeichnet. Seit das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in Kraft ist, bewerben sich Menschen mit dem Ziel, den sie ablehnenden Arbeitgeber anschließend wegen angeblicher Verstöße zu verklagen und eine Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern der ausgeschriebenen Position zu erhalten.

Über einen Antrag eines mit seiner Bewerbung abgelehnten Volljuristen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit dem Ziel eine solche Klage zu erheben, hatten das Arbeitsgerichts Stuttgart sowie Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg zu entscheiden. Die sofortige Beschwerde gegen den die Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des AG Stuttgart vom 04.06.2007 – 36 Ca 700/07 – wurde vom LAG Baden-Würtenberg durch Beschluss vom 13.08.2007 – 3 Ta 119/07 – zurückgewiesen. Der Bewerber um einen Arbeitsplatz kann sich dann nicht auf eine Diskriminierung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz berufen, wenn es an einer subjektiv ernsthaften Bewerbung fehlt.

Aus den Gründen des lesenswerten Beschlusses:

Der (…) Kläger bewarb sich (…) auf die (…) ausgeschriebenen Stelle einer/eines Juristin/Juristen. Die Stelle war bei der Arbeitsgemeinschaft Arbeitslosengeld II angesiedelt und nach der Entgeltgruppe 10 TVöD dotiert. Erwartet wurden vertiefte Kenntnisse der Leistungsgewährung nach dem SGB II und des Unterhaltsrechts. Für das Bewerbungsschreiben verwendete der Kläger seinen früheren Briefkopf als zugelassener Rechtsanwalt, wobei der Briefkopf mit zahlreichen „xxx“ und maschinenschriftlichen Änderungen versehen war. In der Fußzeile des Bewerbungsschreibens war ein Text als „Cetero Censeo“ (ceterum – außerdem, übrigens; censeo – ich meine, ich rate, ich beantrage) eingefügt, den der Kläger für den größten Teil seiner derzeitigen Geschäftspost einschließlich Bewerbungsschreiben verwendet. Dieser Text lautet wie folgt:

„Im übrigen bin ich der Meinung, dass die Herren Lustmolche und Sittenstrolche, welche als die „Herren Freier“ regelmäßig in Bordellen verkehren, zu einer Sonderabgabe (Bordell oder Bordellumsatzsteuer) herangezogen werden müssten. Mit diesem Steueraufkommen sollte die Lebenssituation der Menschen in Pflegeheimen und Behinderteneinrichtungen verbessert werden.“

Der Bewerbung war u.a. ein Lichtbild beigefügt, das den Kläger anlässlich eines Schachturniers vor einem Schachbrett sitzend zeigt. Auf dem weiter beigefügten Lebenslauf war im Kopf eingetippt „Einsatzbereit! Lässt sich kein X für ein U vormachen!“

Der Kläger ist von der Ausbildung Volljurist. (…) Von 1982 bis 1998 war er als selbständiger Rechtsanwalt in verschiedenen Bezirken tätig. Am 29.01.1999 verzichtete er aus wirtschaftlichen Gründen auf die Zulassung als Rechtsanwalt. In seinem Lebenslauf ist angegeben: „Seit 01.02.2000 von bezahlter Arbeit ausgeschlossen“ und „seit 01.01.2005 im Zuge der sogenannten Reform Harz IV auf Bahnhofspennerniveau verharzt“. Des weiteren ist im Lebenslauf vermerkt „Februar 2004 Bewerbung als Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, Nürnberg, auserwählt: Herr Weise“.

Mit Schreiben vom 12.01.2007 bat der Kläger den Beklagten um Mitteilung des Verfahrensstandes des Bewerbungsverfahrens. Mit Schreiben vom 15.01.2007 antwortete der Beklagte, dass sich das Auswahlverfahren verzögert habe. Mit Schreiben vom 20.02.2007 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Stelle leider einer anderen Bewerberin übertragen worden sei.

Mit Schreiben vom 27.02.2007 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er Schadenersatzansprüche in Höhe von 6 Bruttomonatsgehältern geltend mache. Er begründete dies damit, dass der begründete Verdacht einer Diskriminierung wegen seines Alters, seines Geschlechts, seiner Arbeitslosigkeit und seiner politischen Betätigung bestehe.

Mit seiner am 12.04.2007 eingegangenen Klage hat der Kläger Schadenersatz in Höhe von 6 Bruttomonatsgehältern begehrt. Zugleich hat er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Im Rahmen des Gütetermins am 31.05.2007 übergaben die Beklagtenvertreter verschiedene handschriftliche Schreiben des Klägers. In einem Schreiben vom 12.05.2007 hatte der Kläger als Vergleichsmöglichkeit vorgeschlagen, ihn auf die ebenfalls zu besetzende Stelle eines Sozialdezernenten „zu hieven“. Auf diese Stelle hatte sich der Kläger ebenfalls beworben.

Mit Beschluss vom 04.06.2007 wies das Arbeitsgericht den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den gestellten Antrag zurück. Der Beschluss wurde dem Kläger am 11.06.2007 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 05.06.2007 erweiterte der Kläger die Klage um den Antrag, ihm ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens EUR 4.000,00 zu bezahlen. Im Rahmen dieses Schriftsatzes nahm der Kläger umfangreich dazu Stellung, aus welchen Gründen er in der Fußzeile seiner Geschäftspost den oben angegebenen Text einfüge. Er zitierte hierbei aus seinem Schreiben an das Jobcenter Stuttgart-West vom 19.06.2006, in dem es auszugsweise heißt:

„Nachdem die Rotlichtbranche offenbar boomt, können Sie ja versuchen, weitere arbeitslose junge Damen an Frau „N.“ (Studio A. in S) zu vermitteln. Vielleicht begegnet dann ja eine so vermittelte im SM-Studio ihrem früheren Chef wieder, der sie gefeuert hat. … Welch ein „Hallooo“ wäre das wohl ….?!“

(…) Die sofortige Beschwerde des Klägers ist gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthaft. Sie ist auch gemäß § 569 Abs. 1 und 2, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Die sofortige Beschwerde ist allerdings unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die beantragte Prozesskostenhilfe für den Antrag aus der Klageschrift zu Recht versagt.

Gemäß § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichend Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. (…)

Nach diesen Maßstäben hat das Arbeitsgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den Antrag aus der Klageschrift zutreffend zurückgewiesen. Hierbei scheitert der geltend gemachte Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG schon daran, dass nach den Gesamtumständen des vorliegenden Falls von einer ernsthaften Bewerbung des Klägers um die ausgeschriebene Stelle nicht ausgegangen werden kann. Vielmehr dient die Bewerbung des Klägers ausschließlich dazu, einerseits eine Geldquelle zu erschließen und andererseits – wohl überwiegend – die Behörden und Gerichte aus Frustration über seinen sozialen Abstieg mit scheinbar ernsthaft formulierten Schriftsätzen zu beschäftigen. Letztlich dient das gesamte Verfahren dazu, das System des staatlichen Rechtsschutzes ad absurdum zu führen und der Lächerlichkeit preiszugeben.

Eine Benachteiligung im Sinne der Antidiskriminierungsvorschriften kommt nur dann in Betracht, wenn der Bewerber objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt und eine subjektiv ernsthafte Bewerbung vorliegt. Diesen Grundsatz hat das Bundesarbeitsgericht bereits zur früheren Vorschrift des § 611a BGB (betreffend das Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts) entwickelt. (…)

Nach diesen Grundsätzen lässt sich zwar nicht verneinen, dass der Kläger für die ausgeschriebene Stelle einer/eines Juristin/Juristen für die Arbeitsgemeinschaft Arbeitslosengeld II im Team Unterhalt objektiv in Betracht kam. Der Kläger ist Volljurist mit zwei befriedigenden Staatsexamina. Mit dem Unterhaltsrecht hatte sich der Kläger während seiner langjährigen Praxis als Rechtsanwalt befasst. Mit der Leistungsgewährung nach dem SGB II war der Kläger seit 01.01.2005 in eigener Sache vertraut

Hingegen kann von einer subjektiv ernsthaften Bewerbung im vorliegenden Fall nicht ausgegangen werden. Die Form der Bewerbung und das nachfolgende Verfahren sprechen für sich.

Erstes Indiz für die mangelnde Ernsthaftigkeit ist der vom Kläger als „Ceterum Censeo“ bezeichnete Text, der im Sachverhalt dieses Beschlusses aufgeführt ist. Gerade als Volljurist und langjähriger Rechtsanwalt war dem Kläger bewusst, dass es gegen jegliche Übung im Geschäftsleben verstößt, derartige Bemerkungen in der Geschäftspost anzubringen. Bemerkenswert ist weiter das beigefügte Lichtbild, das den Kläger vor einem Schachbrett sitzend anlässlich eines Schachturniers zeigt, ferner die Bemerkung im Lebenslauf „seit 01.01.2005 im Zuge der sogenannte Reform Harz IV auf Bahnhofspennerniveau verharzt“ und die weitere Angabe über eine erfolglose Bewerbung als Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. Diese Besonderheiten der Bewerbung mussten bei jedem Arbeitgeber den Eindruck hervorrufen, der Bewerber lege es von vornherein nicht darauf an, in die engere Auswahl zu gelangen. Der Kläger war sich auch dessen bewusst, dass er mit der Form seiner Bewerbung eben diesen Effekt erreichte.

Diese Indizien werden erhärtet durch die im Gütetermin vorgelegten handschriftlichen Schreiben an den Landrat persönlich. Hierin wird im Schreiben vom 12.05.2007 als Vergleichsmöglichkeit aufgezeigt, den Kläger auf die Position eines Sozialdezernenten „zu hieven“. Zur Begründung für diesen Vergleichsvorschlag führt der Kläger aus, die Position werde entscheidend dazu beitragen, dass er im Alter nicht der Grundsicherung anheimfalle. Er – der Landrat – werde im Interesse der Steuerzahler/innen handeln, wenn er dem vorgeschlagenen Vergleich nähertrete. Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass der Beklagte diesen Vergleichsvorschlag nur als Provokation verstehen konnte.

Als letztes Indiz für die mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung lassen sich die umfangreichen Ausführungen des Klägers zum Hintergrund des in seinen Geschäftsbriefen verwendeten „Ceterum Censeo“ anführen. Unter sexuellen Anspielungen befasst sich der Kläger mit den Themen Prostitution, Bordellen, Freiern und Bordellsteuer, führt aber gleichzeitig aus, dies habe mit seiner Bewerbung nichts zu tun. Welche Bedeutung die ab Anlage K 27 vorgelegten Schreiben, betreffend Dominas und Rotlichtmilieu, demnach haben sollen, ist unerfindlich. Die beigelegte Kleinannonce aus einem Berliner Magazin: „Prallärschiges Weib für alles Unanständige gesucht“ und „Alter Molch, 57 sucht unmoralische Frauen für Sex und Kultur“ sprechen ebenfalls für sich.

Die Gesamtumstände der Bewerbung und des weiteren Verfahrens lassen nur den Schluss zu, dass es dem Kläger neben dem möglichen Motiv des Gelderwerbs in diesem Verfahren vornehmlich darum geht, Aufsehen zu erregen und das System des staatlichen Rechtsschutzes lächerlich zu machen. Es ist zwar durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger darüber frustriert ist, dass er seinen Lebensunterhalt mit Leistungen nach dem SGB II bestreiten muss. Es kann jedoch nicht angehen, angebliche Verstöße gegen das Antidiskriminierungsrecht als Instrument dazu benutzen, um Protest gegen die „Hartz“- Gesetzgebung zum Ausdruck zu bringen. Würde der Staat eine solche Rechtsverfolgung mit der Gewährung von Prozesskostenhilfe unterstützen, so hätte der Kläger das von ihm angestrebte Ziel erreicht.

LAG Baden-Württemberg, Beschluß vom 13.08.2007, Az: 3 Ta 119/07

Zum „AGG-Hopping“ – FAZJob.net vom 31.01.2007, Christian Siedenbiedel: Dann eben die drei Monatsgehälter

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