Sozialgerichts Dresden – ALG II – Jedes Familienmitglied hat Anspruch auf ein eigenes Zimmer


Eine vierköpfige Familie, die von Arbeitslosengeld II lebt, hat Anspruch auf eine 4-Raum-Wohnung, wenn zwischen den Geschwisterkindern ein erheblicher Altersunterschied besteht. Der Leistungsträger muss daher einem Umzug aus einer 3-Raum-Wohnung zustimmen. Dies hat die 10. Kammer des Sozialgerichts Dresden am 02.08.2007 im Wege der Einstweiligen Anordnung durch Beschluss entschieden. (Az.: S10 AS 1957/07 ER – nicht rechtskräftig).

Ein unverheiratetes Paar bewohnt mit zwei Kindern (12 Jahre bzw. 17 Monate alt) eine ca. 60 qm große Dreizimmerwohnung in Sachsen. Sie wollten in eine nahe gelegene mit 80 qm größere Wohnung mit 4 Zimmern umziehen und beantragten beim Landkreis als Leistungsträger die Genehmigung zum Umzug. Die Warmmiete der neuen Wohnung wäre um ca. 80 EUR höher. Der Landkreis lehnte die Zustimmung zum Umzug mit der Begründung ab, das 17 Monate alte Kleinkind brauche noch kein eigenes Zimmer für sich alleine. Der Landkreis berief sich auf § 22 Abs. 2 SGB II und meinte, die Erforderlichkeit des Umzuges und die Angemessenheit der neuen Wohnung nicht erkennen zu können.

Die Antragsteller legten Widerspruch ein und beantragten gleichzeitig den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht in Dresden. Mit Erfolg, das Sozialgericht hat den Landkreis antragsgemäß verpflichtet, dem Umzug zuzustimmen.

Aus den Gründen:

„So gilt nach § 22 Abs. 2 SGB II gilt für einen Wohnungswechsel, dass der erwerbsfähige Hilfebedürftige (bzw. der erwerbsfähige Hilfebedürftige und die mit ihm eine Bedarfsgemeinschaft bildenden Personen, § 7 Abs. 2 und 3 SGB II) vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen soll. Dieser ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Dabei ist die Erteilung der Zusicherung keine Anspruchsvoraussetzung, die erfüllt sein muss, um überhaupt einen Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) für eine neu bezogene Wohnung zu begründen. Insoweit – anderes mag für die in § 22 Abs. 3 SGB II geregelten sonstigen Kosten eines Wohnungswechsels gelten – hat sie nur die Bedeutung einer Obliegenheit (Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 RdNr 62 ff); sie nicht zu beachten bleibt bzgl. der Übernahme der Wohnungskosten ggf. folgenlos. Wird die Zusicherung (= Mietkostenübernahmeerklärung) erteilt, d.h. die Erforderlichkeit des Umzugs (und die Angemessenheit der Kosten) von der Behörde akzeptiert und festgestellt, begründet sie den Anspruch auf die Übernahme der vollen Kosten der neuen Wohnung. Wird sie nicht erteilt, besteht (ab Einzug) ein Anspruch auf die gesamten KdU, sofern diese angemessen sind nur, wenn der Umzug erforderlich war. Ansonsten verbleibt es bei den KdU der aufgegebenen Wohnung (§ 22 Abs. 1 S 2 in der seit dem 01. August 2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitslose vom 20. Juli 2006 (BGBl I 1706)). Des Weiteren kann nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II u.a. die Mietkaution bei vorheriger Zusicherung durch den kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann (§ 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II); die Mietkaution soll als Darlehen erbracht werden (§ 22 Abs. 3 Satz 3 SGB II).

( …) Mit der Erforderlichkeit, die nach allgemeiner Auffassung bedeutungsgleich mit der Notwendigkeit des Umzuges i.S.v. § 22 Abs. 3 S 2 SGB II ist (Kahlhorn in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 RdNr 29; Rothkegel in Gagel, SGB III, zu § 22 SGB II RdNr 66), ist die erste Voraussetzung an eine Kostenübernahmezusicherung als unbestimmter Rechtsbegriff gefasst, der der Auslegung bedarf. Er besagt nach dem Normzusammenhang zunächst, dass erwerbsfähige Hilfebedürftige schon auf der Ebene der Aufwendungen für ihre Unterkunft (die mit einem Umzug verbundenen Kosten werden in § 22 Abs- 3 SGB II selbständig geregelt) Beschränkungen auch dann hinnehmen müssen, wenn sie einen Wechsel zwischen Wohnungen beabsichtigen, deren Kosten angemessen sind. Dem Hilfebedürftigen wird auferlegt, auf Gestaltungen, die er als Verbesserung seiner Lebensumstände ansieht, zu verzichten und Wünsche (die auch im Bereich der Bedarfsdeckung durch staatliche Gewährungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) beachtlich sind – § 9 Abs. 2 SGB XII) zurückzustellen, auch wenn er nicht mehr anstrebt als bei einem bereits bestehenden oder aus zwingenden Gründen neu abzuschließenden Mietvertrag als Leistung nach §§ 19, 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zu erbringen ist. Dies gebietet – wie bereits der Wortlaut, wonach nicht etwa zwingende Gründe zu verlangen sind – eine Auslegung, die nur maßvolle Beschränkungen mit sich bringt. Sachgerecht ist es, die Erforderlichkeit als eine (sonst nur im Zusammenhang mit §§ 22 Abs. 3 SGB II gegebene) Schranke dafür anzusehen, dass konsolidierte Verhältnisse (auf dem Niveau des § 22 Abs. 1 SGB II) weiter verbessert oder ohne zureichenden Grund umgeschichtet werden (vgl. Beschluss des Senats vom 18. Dezember 2006, L 10 B 1091/06 AS ER). Überdies dürfte auch im aktuellen Normkontext der vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) überzeugend entwickelte Gedanke zu berücksichtigen sein, dass der finanzielle Mehraufwand in ein Verhältnis zum Gewicht des Grundes für den Umzug und zum Ausmaß der Verbesserungen zu setzen ist (BVerwGE 97, 110). Die Voraussetzung der Erforderlichkeit kann aber nicht dazu dienen, einen Umzug auszuschließen, der gewollt ist, und für den objektive Gründe von Gewicht sprechen. Ob ein solcher Grund vorliegt, ist nach den Verhältnissen des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. Sauer in Jahn, SGB II, § 22 RdNr 41). (…)
Die Wohnung die die Antragsteller derzeit mit den beiden Söhnen der Antragstellerin zu 1 bewohnen, ist für deren Bedarfsgemeinschaft zu klein. In diesem Zusammenhang kann offen bleiben, ob eine aus vier Personen bestehende Familie immer einen Anspruch auf eine 4-Raum-Wohnung geltend machen kann. Es mögen Ausnahmefälle denkbar sein, in denen auf Grund des Zuschnittes der Wohnung oder der konkreten Zusammensetzung der Familie eine Wohnung mit weniger als vier Zimmern zumutbar ist. Auch erscheint es nicht zwingend, einem Baby im Säuglingsalter in jedem Fall ein eigenes Zimmer zuzubilligen.

Im Fall der Antragsteller jedenfalls ist der Umzug in eine 4-Raum-Wohnung unter Beachtung der oben dargelegten Kriterien erforderlich. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass der Antragsteller zu 2 als Lebensgefährte der Antragstellerin zu 1 mit deren beiden Söhnen eine Patchwork-Familie bildet. M. und P. sind Halbbrüder mit einem Altersunterschied von über 10 Jahren. Nachdem P. das Säuglingsalter verlassen hat und die allgemeinbekannten alterstypischen eigenständigen Mobilitätsbedürfnisse entfaltet, ist im konkreten Fall dieser Familie das Vorhalten eines Zimmers für jedes Mitglied der Familie ohne Weiteres erforderlich, wobei es den Antragstellern unbenommen bleibt, einen Raum als gemeinsames Schlafzimmer und einen weiteren Raum als Stube für die gesamte Familie vorzuhalten.

Die Wohnung, in die die Antragsteller umziehen möchten, ist schließlich auch angemessen im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 2 SGB II, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist, da sie sowohl hinsichtlich der Größe als auch hinsichtlich der Kosten pro Quadratmeter unterhalb der in der Unterkunfts- und Heizkostenrichtlinie des Antragsgegners gezogenen Grenzwerten bleibt (vgl. Bescheid vom 30.03.2007).

Folglich haben die Antragsteller einen Anspruch auf Erteilung der Zusicherung im Sinne des § 22 Abs. 2 SGB II.“

Sozialgerichts Dresden, Beschluss vom 02.08.2007 Az.: S 10 AS 1957/07 ER (nicht rechtskräftig)

Das Gericht lässt offen, ob bei einer 4-köpfigen Familie jedem Familienmitglied ein eigenes Zimmer zusteht, geht aber davon aus, dass auch ein Kleinkind bereits ein eigenes Zimmer bracht. Dies insbesondere dann, wenn ein erheblicher Unterschied im Alter zu den Geschwisterkindern besteht.

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