LG Berlin – Merkantile Wertminderung ausnahmsweise auch bei sehr altem Fahrzeug mit hoher Laufleistung ersatzfähig


Dieter Schuetz / Pixelio

D.Schuetz/Pixelio

Die Schadensposition einer sog. merkantilen Wertminderung (oder auch merkantiler Minderwert) entsteht regelmäßig dadurch, dass ein Fahrzeug nach einem Unfall einen geringeren Marktwert hat als ein gleichwertiges unfallfreies Fahrzeug. Da im Falle eines Verkaufs auf Nachfrage der Unfallschaden nicht verschwiegen werden darf, wird sich in der Regel nur ein geringerer Verkaufserlös realisieren lassen, selbst dann, wenn das Fahrzeug technisch einwandfrei instand gesetzt wurde. Unerheblich für den Ersatz der Wertminderung ist, ob das Fahrzeug tatsächlich später verkauft werden soll. Diese ist demnach auch dann zu ersetzen, wenn der Schaden fiktiv, auf Gutachtenbasis geltend gemacht wird.

Problematisch gestaltet sich die Geltendmachung der merkantilen Wertminderung bei älteren Fahrzeugen und insbesondere bei solchen mit einer hohen Laufleistung. Der Bundesgerichtshof entschied seinerzeit mit Urteil vom 18.09.1979, Az: VI ZR 16/79, dass bei Pkw eine Fahrleistung von 100.000 km als obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts angesetzt werden müsse. Dies mag für die Vergangenheit zutreffend gewesen sein, heutige, moderne Fahrzeuge erreichen jedoch ohne weiteres Laufleistungen von 200.000 km und mehr. In einer Entscheidung vom 23.11.2004, Az: VI ZR 357/03, gab der Bundesgerichtshof diese generalisierende Auffassung dann auch zu Gunsten einer Einzelfallbetrachtung auf.

Das Landgericht Berlin hatte bei einem Schadenfall in diesem Sinne entschieden und einem Unfallgeschädigten ausnahmsweise einen Anspruch auf Ersatz des merkantilen Minderwerts zumindest teilweise in Höhe von 450,00 Euro zuerkannt, obwohl dessen Fahrzeug mehr als 11 Jahre alt war und eine Laufleistung von über 180.000 km aufwies.

Aus den Gründen:

(…) Das Gericht hat keine Bedenken, dass nach den Umständen dieses Einzelfalls als Ausnahme von der Regel (vgl. KG NZV 2005, 46) bei dem erstmals am 01.10.1996 auf nur einen Vorbesitzer zugelassenen, zum Unfallzeitpunkt elf Jahre und drei Monate alten, unfallfreien, nicht vorbeschädigten, scheckheftgepflegten Fahrzeug in einem überdurchschnittlichen Pflegezustand mit einer Laufleistung von 183.502 km, erheblichen Reparaturkosten von geschätzten und erstatteten 7 830,38 € und einem geschätzten Wiederbeschaffungswert von 7 950,00 € brutto ein Minderwert zu bejahen ist (vgl. Palandt/Heinrichs, 68. Aufl., BGB, § 251 Rn. 14; Hentschel/König/ Dauer, 40. Aufl., Straßenverkehrsrecht, StVG § 12 Rn. 26).

Hier liegt der Fall, worauf der Kläger zu Recht hingewiesen hat, anders als der, über den der Bundesgerichtshof ( NJW 2005, 277) zu befinden hatte. Dort war das Fahrzeug bereits 16 Jahre alt und der Wiederbeschaffungswert betrug nur 2.100,00 €. Im Übrigen hat der Bundesgerichtshof bisher nicht abschließend entschieden, bis zu welchem Alter eines Fahrzeugs bzw. bis zu welcher Laufleistung ein merkantiler Minderwert zuerkannt werden kann, vielmehr bestätigt, dass nach sachverständiger Beratung auch die Zubilligung eines merkantilen Minderwerts bei einem Fahrzeug mit einer Fahrleistung von über 100.000 km nicht zu beanstanden ist (vgl. BGH a.a.O., 279).

Der Annahme eines merkantilen Minderwerts steht nicht entgegen, dass der Sachverständige technische Folgeschäden aus dem eingetretenen Schadensereignis ausgeschlossen hat. Maßgebend ist insoweit nicht die technische Sicht eines Sachverständigen. Denn es handelt sich bei dem merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts, der trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht (vgl. BGH a.a.O.).

Zur Bestimmung des Publikums reichte eine aktuelle Befragung von insgesamt sieben ortsansässigen Automobilhändlern, davon vier markengebundenen und drei freien, aus, auch wenn nach dem (…)Gutachten vom 28.02.2008 vergleichbare Fahrzeuge überwiegend am Privatmarkt angeboten werden. Die Automobilhändler repräsentieren jedenfalls auch einen großen Teil des Publikums. Selbst wenn von den sechs Angaben der sieben Händler jeweils der höchste Wert von 795,00 € und der niedrigste Wert von 0 nicht berücksichtigt würden, verbliebe ein durchschnittlicher Wert von (397,50 € + 783,00 € + 500,00 € + 596,25 € = 2 276,75 €: 4 =) 569,19 €, der über dem vom Sachverständigen festgestellten läge.

Für die Einschätzung der kaufmännischen Betrachtung musste der Sachverständige nicht das Fahrzeugzug im beschädigten Zustand untersuchen oder die Schadensfotos (…) sehen. Maßgebend für den merkantilen Minderwert ist der Zeitpunkt der Ingebrauchnahme nach der Reparatur (vgl. Hentschel/König a.a.O. Rn. 26). Es sind auch keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich, dass der merkantile Minderwert bei einer Umfrage zu diesem Zeitpunkt nach der Reparatur des Fahrzeugs am 28.03.2008 geringer gewesen wäre als im April 2009.

Hinsichtlich des behaupteten merkantilen Minderwerts von insgesamt 770,00 €, mithin von weiteren 320,00 €, ist der Kläger beweisfällig geblieben, weil der Sachverständige nur einen von 450,00 € bestätigt hat. (…)

LG Berlin, Urteil vom 25.06.2009, Az: 41 S 15/09 (PDF auf rsw.beck.de)

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