BSG – Pflicht zur Verwertung von Lebensversicherungen vor Bezug von ALG II (Harzt IV) kann bei langjährig Selbständigen eine besondere Härte bedeuten


Die 1950 geborene schwerbehinderte Klägerin, die überwiegend selbständig tätig war, ohne Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet zu haben, beantragte im Dezember 2005 bei dem beklagten Grundsicherungsträger Arbeitslosengeld II. Sie verfügte seinerzeit über sieben Kapitallebensversicherungen mit einem Rückkaufwert von ca 80.000 Euro, weswegen die Beklagte den Antrag der Klägerin ablehnte. Die dagegen erhobene Klage blieb in den Vorinstanzen ohne Erfolg.

Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat mit Urteil vom 7. Mai 2009 (B 14 AS 35/08 R) das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. In der Sache hat das Bundessozialgericht entschieden, dass bei langjährig Selbständigen eine Pflicht zur Verwertung von Lebensversicherungen wegen Vorliegens eines Härtefalls ausscheiden kann, wenn eine Kumulation von Umständen vorliegt. Ob dies bei der Klägerin der Fall war, konnte der Senat allerdings wegen fehlender Feststellungen des Landessozialgerichts nicht abschließend entscheiden.

Das Landessozialgericht hat zu Unrecht auch bei der überwiegend selbständig tätig gewesenen Klägerin das Vorliegen eines Härtefalls schon deshalb ausgeschlossen, weil die Klägerin nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, die Verwertung ihrer Lebensversicherungsverträge vor Eintritt in den Ruhestand vertraglich in der Form auszuschließen, wie sie von § 12 Abs 2 Nr 3 SGB II gefordert wird. Das Landessozialgericht ist insofern in Bezug auf Hilfebedürftige, die im Verlauf ihres Erwerbslebens überwiegend nicht in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert waren, von einem zu strengen, rechtlich unzutreffenden Maßstab ausgegangen. Maßgebend ist insoweit lediglich, ob die Lebensversicherungsverträge objektiv und subjektiv zur Altersvorsorge zweckbestimmt waren.

Um feststellen zu können, ob die geforderte Verwertung der Lebensversicherungen der Klägerin für diese eine besondere Härte im Sinne des § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6, 2. Alternative SGB II bedeuten würde, wird das Landessozialgericht zu ermitteln haben, inwieweit bei der Klägerin eine Versorgungslücke besteht.

Dies liegt bereits deshalb nahe, weil die Klägerin bei Vollendung des 65. Lebensjahres nur mit einer monatlichen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 257,10 Euro rechnen kann. Hierbei wird auch zu ermitteln sein, über welches Restleistungsvermögen die Klägerin verfügt. Ihr wurde ein GdB von 50 zuerkannt. Das Bundessozialgericht geht dabei davon aus, dass die Restleistungsfähigkeit auch Indiz dafür sein kann, inwiefern die Klägerin überhaupt noch in der Lage sein wird, eine neue, zusätzliche Rentenanwartschaft durch Erwerbstätigkeit aufzubauen. Gegebenenfalls wird auch zu berücksichtigen sein, aus welchem Grund und für welche Dauer der Klägerin Berufsunfähigkeitsrenten gewährt werden, sowie über welche Berufsausbildungen und Fertigkeiten die Klägerin verfügt. Das Landessozialgericht wird auch zu berücksichtigen haben, dass die besondere Härte im Sinne dieser Regelung möglicherweise noch nicht zu Beginn des Bewilligungszeitraums vorlag, als die Klägerin 55 Jahre alt war, gegebenenfalls aber später im Verlauf des Rechtsstreits eingetreten sein könnte.

Hinweis zur Rechtslage:
§ 12 SGB II
(1) Als Vermögen sind alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen.
(2) Vom Vermögen sind abzusetzen

3. geldwerte Ansprüche, die der Altersvorsorge dienen, soweit der Inhaber sie vor dem Eintritt in den Ruhestand auf Grund einer vertraglichen Vereinbarung nicht verwerten kann und der Wert der geld-werten Ansprüche 250 Euro je vollendetem Lebensjahr des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und seines Partners, höchstens jedoch jeweils den nach Satz 2 maßgebenden Höchstbetrag nicht über-steigt,

(3) Als Vermögen sind nicht zu berücksichtigen

3. vom Inhaber als für die Altersvorsorge bestimmt bezeichnete Vermögensgegenstände in an-gemessenem Umfang, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige oder sein Partner von der Ver-sicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit ist,

6. Sachen und Rechte, soweit ihre Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich ist oder für den Be-troffenen eine besondere Härte bedeuten würde.
Für die Angemessenheit sind die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grund-sicherung für Arbeitsuchende maßgebend.

BSG, Urteil vom 7. Mai 2009, Az.: B 14 AS 35/08 R (M. ./. JobCenter für Arbeitsmarkt-Integration)

Quelle: Medieninformation Nr. 17/09 vom 07.05.2009

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