AG Offenburg erklärt der Staatsanwaltschaft die Welt der Musikindustrie – Ermittlung des Anschlussinhabers bei Tauschbörsen-Strafverfahren ist unzulässig


Wie Heise Online am 26.07.2007 berichtet, hat das Amtsgericht Offenburg der Staatsanwaltschaft wegen „offensichtlicher Unverhältnismäßigkeit“, die Anordnung eine Provider-Anfrage zur Ermittlung der IP-Adresse eines mutmaßlichen Tauschbörsennutzers versagt. Das Anbieten von wenigen urheberrechtlich geschützten Musikstücken per Tauschbörsen-Client sei „der Bagatellkriminalität zuzuordnen“, erklärte das Gericht im entsprechenden Beschluss vom 20. Juli 2007 (Az. 4 Gs 442/07).

Bei den zu ermittelnden Daten des Anschlussinhabers handelt es sich um Verkehrsdaten, die dem Fernmeldegeheimnis unterliegen. Deshalb muss die Ermittlungsmaßnahme gemäß § 100g StPO richterlich angeordnet werden. Das Gericht beschäftigte sich mit der Frage, ob die Ermittlung des Anschlussinhabers gemessen an der Schwere des Tatvorwurfs sowie dem Grad des Tatverdachts verhältnismäßig ist.

Die Argumente in der Strafanzeige laufen dem Gericht zufolge „aus Gründen der Logik“ ins Leere. Die im Auftrag von Unternehmen aus der Musikindustrie tätig gewordene Kanzlei hatte eine Fraunhofer-Studie ins Feld geführt, nach der in den Jahren 2001 und 2002 jeweils über fünf Milliarden Musikdateien verbreitet worden seien. Das Gericht bestritt diese Zahlen nicht, erklärte aber, sie würden keinen „strafrechtlich relevanten Schaden“ belegen. Im Gegenteil habe die Kanzlei in ihrer Anzeige lediglich einen Download eines Beschuldigten nachgewiesen, nämlich den zur Beweisführung von einer Gesellschaft zum Schutze geistigen Eigentums getätigten.

In der Begründung zweifelte das Gericht jene Argumentation an, die die Musikindustrie stets anführt. Im vorliegenden Fall sei ein vom Tauschbörsennutzer angebotenens Musikstück legal für weniger als einen Euro zu haben gewesen. Dies sei aber keinesfalls mit dem entgangenen Umsatz gleichzusetzen, denn es verhalte sich „hier wie überall, wo der Markt regiert: Beim Preise 0 fragt auch derjenige ein Produkt nach, für das er sonst nicht mal einen Cent ausgeben würde.“ Zur Bekräftigung führte auch das Gericht eine Studie an: Die Universität Harvard ermittelte demnach im Jahre 2004, dass der Schaden, der der Musikindustrie durch Tauschbörsen entsteht, gegen Null tendiere.

Auch den Vorwurf des Vorsatzes in der Strafanzeige zog das Amtsgericht in Zweifel. Es sei in einer US-amerikanischen Studie von 2006 überzeugend dargelegt, dass Clients zu fünf gängigen P2P-Netzwerken Programmkomponenten aufweisen, „die einen Zwangsupload zur Folge haben, ohne dass der jeweilige Nutzer, der im vorliegenden Fall als Täter anzusprechen wäre, dies erkennen könne“. Außer im Falle eines Geständnisses sei folglich „der Nachweis, er sei nicht auf die teils verborgenen und schwer entdeckbaren Redistributionsprogrammteile hereingefallen, kaum zu führen“.

Schließlich ließ das Gericht auch die Vorgehensweise der Musikindustrie „in die Abwägung einfließen“. Die Strafanzeigen haben demnach „ersichtlich den Zweck, den über die Ermittlungen festgestellten Anschlussinhaber später zivilrechtlich als Störer auf Unterlassung, weit überwiegend aber auf Zahlung hohen, meist unberechtigten Schadensersatzes in Anspruch zu nehmen“. Ein eigener Auskunftsanspruch gegen die Provider auf Offenlegung der Nutzerdaten stehe der Musikindustrie eben nicht zu. In dem sie „den Strafverfolgungsbehörden mehrere 10.000 Strafanzeigen beschert“, strebe sie folglich Auskünfte an, die ihr „der Gesetzgeber bewusst versagt hat“.

Die Begründung des Beschlusses ist konsequent und in sich schlüssig. Die genaue Kenntis des Amtsrichters von der Funktionalität eines Tauschbörsenprogramms überrascht dann aber doch etwas.

Quelle:
Heise Online vom 26.07.2007
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Leitsätze der Entscheidung bei Medien Internet und Recht
Entscheidung im Volltext als pdf (MIR Dok 283-2007)

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