Unter Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen beantragte ein Empfänger von Leistungen nach SGB II die Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung wegen Hypertonie. Diese Erkrankung bedinge eine natriumdefinierte Kost, die er im Reformhaus einkaufen müsse. Seinem Zwillingsbruder im Bundesland Rheinland-Pfalz war ein Mehrbedarf in Höhe von 25,56 Euro anerkannt worden. Die Leistungsstelle lehnte den Antrag ab. Im Widerspruchsbescheid führte die Leistungsstelle aus, grundsätzlich werde ein Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung, die aus medizinischen Gründen erforderlich sei, in angemessener Höhe berücksichtigt. Die bei dem Kläger vorliegende Hypertonie führe jedoch nicht zu einem entsprechenden Mehrbedarf. Vielmehr reiche ein Verzicht auf Zusalzen und Vermeiden besonders salzreicher Speisen aus.
Das Hessische Landessozialgericht wies die daraufhin eingelegte Berufung des Klägers zurück.
Aus den Gründen:
Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, einen Mehrbedarf in angemessener Höhe. Aus der Vorschrift ergibt sich, dass ein pauschaler Anspruch auf einen krankheitsbedingten (abstrakten) Mehrbedarf nicht besteht. Vielmehr setzt ein Anspruch nach § 21 Abs. 5 SGB II voraus, dass ein Hilfebedürftiger konkret einer kostenaufwändigen Ernährung aus medizinischen Gründen bedarf und sich hieraus auch ein konkreter Mehrbedarf ergibt. Nur dann ist der Mehrbedarf in angemessenem Umfang zu gewähren.
Davon ausgehend ist bereits fraglich, ob dem Kläger in der Vergangenheit überhaupt ein konkreter Mehrbedarf entstanden ist bzw. derzeit noch entsteht, denn er hat lediglich darauf verwiesen, in Reformhäusern einkaufen zu müssen und nicht auf anderweitige „Billigprodukte“ zurückgreifen zu können. Mit diesem lediglich pauschal gehaltenen Vortrag genügt der Kläger seiner Darlegungslast nicht.
Dessen ungeachtet scheitert der geltend gemachte Anspruch jedenfalls daran, dass die Hypertonie-Erkrankung des Klägers in der gegebenen Ausprägung keine kostenaufwändige Ernährung bedingt und deshalb nicht ursächlich für einen Mehrbedarf sein kann. Dies steht zur Überzeugung des Senats fest aufgrund der Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge in F-Stadt (im Folgenden: B.) für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe aus dem Jahr 1997 (Kleinere Schriften des Deutschen Vereins, Heft 48, 2. Auflage 1997 – im Folgenden: Empfehlungen). Weiter stützt der Senat seine Überzeugung auf den Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwändiger Ernährung des Landschaftsverbandes W.-L. vom Januar 2002 (im Folgenden: Begutachtungsleitfaden) sowie auf den Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. C. vom 17.06.2007 und die Auskunft des Deutschen Vereins vom 22.06.2007.
Der Gesetzgeber hat in § 21 Abs. 5 SGB II keine Maßstäbe dazu aufgenommen, in welchen Fällen eine kostenaufwändige Ernährung durch die Bewilligung eines Mehrbedarfs auszugleichen ist bzw. welche Entscheidungskriterien heranzuziehen sind. Er ist jedoch davon ausgegangen, dass zur Ermittlung der Angemessenheit des Mehrbedarfs die hierzu vom Deutschen Verein entwickelten und an typisierbaren Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen herangezogen werden können (vgl. Gesetzesbegründung zu § 21 Abs. 5 SGB II, BT-Drucks. 15/1516, Seite 57). Da diese Empfehlungen auf medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Kenntnissen basieren, können sie als antizipierte Sachverständigengutachten verwertet werden (vgl. Juris-Praxiskommentar, Juris-PK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 21, 4.b.). Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden (Beschluss vom 20.06.2006, Az. 1 BvR 2673/05), dass ein Abweichen von den Empfehlungen des Deutschen Vereins begründungsbedürftig ist und entsprechende Fachkompetenz voraussetzt.
Davon ausgehend kann ein Anspruch auf krankheitsbedingten Mehrbedarf nicht aus den Empfehlungen des Deutschen Vereins hergeleitet werden, denn nicht jede Hypertonie-Erkrankung hat einen Mehrbedarf im genannten Umfang von 25,56 EUR (früher 50,00 DM) zur Folge. Vielmehr ist nach den Ausführungen in den Empfehlungen das Krankheitsbild bzw. die Ausprägung der Erkrankung entscheidend zu berücksichtigen. Den Erläuterungen zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins bei Herz-, Kreislauf- und Nierenerkrankungen ist zu entnehmen, dass weit überwiegend keine erhöhten Lebenshaltungskosten durch gesundheitsfördernde diätetische Maßnahmen entstehen (Empfehlungen, Seite 101). Nur bei sehr fortgeschrittenen Krankheitszuständen ist nach den Empfehlungen eine Ausnahme geboten (Empfehlungen, Seite 104). Von einem fortgeschrittenen Krankheitszustand kann indes hier keine Rede sein. Der behandelnde Internist Dr. C. hat in seinem von dem Sozialgericht beigezogenen Befundbericht vom 09.05.2006 ausgeführt, bei dem Kläger bestehe (u. a.) eine Hypertonie, die gut eingestellt sei. Dies steht im Einklang mit dem mitgeteilten Blutdruckwert: RR 120/80 mmHg. Dabei handelt es sich um einen Wert, der für einen 45-jährigen Patienten völlig normal ist. Weiter hat Dr. C. in seinen früheren Bescheinigungen lediglich die Notwendigkeit einer „natriumdefinierten“ Kost bescheinigt. In dem von dem Senat beigezogenen Befundbericht vom 17.06.2007 hat er seine Angaben dahingehend präzisiert, dass der Kläger wegen der bestehenden arteriellen Hypertonie eine natriumarme (kochsalzarme) Diät einhalten muss. Auch besteht die Notwendigkeit einer fettreduzierten Kost. Weitere Angaben enthält der Befundbericht nicht. Damit ist eine gravierende Krankheitsausprägung nicht erkennbar. Insbesondere ergeben sich auch keine Hinweise auf kardiale oder renale Ödeme, wie sie in den Empfehlungen des Deutschen Vereins (Seite 13) genannt worden sind. Es hat mithin dabei zu verbleiben, dass bei dem Kläger lediglich eine geringfügige Krankheitsausprägung vorliegt, auf die der in den Empfehlungen ausgewiesene Mehrbedarf von 25,56 EUR (Seite 32 der Empfehlungen, 50,00 DM) nicht anzuwenden ist.
Weiter gebietet die von dem Senat eingeholte Auskunft des Deutschen Vereins vom 22.06.2007 keine andere Sicht der Dinge. Dieser hat ausgeführt, eine natriumdefinierte Kost sei eine Variante der Vollkost in überwiegend vegetarischer Form. Ob in der für 2008 zu erwartenden Überarbeitung der Empfehlungen bei Hypertonie künftig eine Vollkost empfohlen werde und ob diese kostenaufwändiger sei, bleibe den weiteren Prüfungen vorbehalten. Damit bleibt zwar eine Änderung der Empfehlungen im Falle von Hypertonie-Erkrankungen offen, jedoch ist der Auskunft zu entnehmen, dass eine „natriumdefinierte“ Kost lediglich eine Variante der Vollkost in überwiegend vegetarischer Form darstellt. Eine Vollkost kann jedoch nicht als Diät angesehen werden. Vielmehr handelt es sich dabei um eine ausgewogene Mischkost, wie sie für jeden Menschen empfehlenswert ist. Ob hieraus ein Mehrbedarf erwachsen kann, ist zumindest zweifelhaft. Im Ergebnis sind die Ausführungen des Deutschen Vereins jedenfalls nicht geeignet, einen tatsächlichen krankheitsbedingten Mehrbedarf des Klägers zu bestätigen.
Auch der genannte Begutachtungsleitfaden, auf den das Sozialgericht im Wesentlichen seine Entscheidung gestützt hat, führt zu keiner für den Kläger günstigeren Beurteilung. Danach hat eine natriumdefinierte Kost grundsätzlich (unabhängig von der Krankheitsausprägung) keine Mehrkosten zur Folge (Begutachtungsleitfaden, Seite 9). Weiter ist zu Hypertonie/Bluthochdruck, herz- und nierenbedingten Ödemen (Wassereinlagerung) ausgeführt, dass alleine der Verzicht auf Zusalzen und das Vermeiden besonders salzreicher Speisen (zum Beispiel Chips, Salzstangen, Würzmittel, Fertigsuppen, Salznüsse, bestimmte Konserven) erforderlich ist (Seite 11). Im Falle von Übergewicht wird weiter eine Gewichtsnormalisierung für erforderlich gehalten. Mehrkosten durch eine derartige Diät werden verneint. Letztlich ist in dem Begutachtungsleitfaden (Seite 14) ergänzend ausgeführt, eine mäßige kochsalzreduzierte Kostform werde heute als gültiger Ernährungsgrundsatz bei Hypertonie betrachtet. Eine strenge Kochsalzdiät eigne sich in der Regel nicht für die Ernährung unter häuslichen Bedingungen, sondern finde unter definierten Bedingungen in stationärer Behandlung Anwendung. Eine Ernährung mit mäßig reduzierter Kochsalzzufuhr sei mit üblichen Lebensmitteln möglich. Hieraus entstünden keine Mehrkosten. Dies gelte ebenso, sofern bei Übergewicht eine Reduktionskost und eine Einschränkung des Alkoholkonsums erforderlich seien. Auch unter Berücksichtigung dieser Ausführungen vermag der Senat keinen Mehrbedarf des Klägers zu erkennen. Allein das Vermeiden bestimmter Speisen (die ohnehin nicht zu einer ausgewogenen Mischkost gehören) kann keine höheren Kosten für die Ernährung zur Folge haben.
Nach alledem kann dahingestellt bleiben, ob die Empfehlungen des Deutschen Vereins als überholt anzusehen oder diese bis zur Veröffentlichung der überarbeiteten Fassung vorläufig weiter anzuwenden sind (vgl. hierzu Juris-PK-SGB II, § 21, 4.c.), denn sowohl unter Anwendung der Empfehlungen als auch des Begutachtungsleitfadens ist ein Mehrbedarf des Klägers nicht begründbar.
Letztlich hat das Sozialgericht mit zutreffender Begründung darauf verwiesen, dass der Kläger seinen Anspruch auch nicht auf eine andere Handhabung im Falle seines Zwillingsbruders stützen kann.
Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.08.2007, AZ: L 6 AS 97/07, rechtskräftig
Vorinstanz: Sozialgericht Fulda, Urteil vom 06.02.2007, AZ: S 10 AS 56/06