BVerfG: keine Kutten im Gericht


In einem Strafverfahren vor dem Landgericht Potsdam wurde dem Beschwerdeführer und zwei Mitangeklagten vorgeworfen, als Mitglieder des Hells Angels Motorcycle Club diverse Straftaten, unter anderem räuberische Erpressung, begangen zu haben, wobei sie die Geschädigten massiv bedroht und später derart unter Druck gesetzt haben sollen, dass diese ihre Aussage zeitweilig zurückgenommen hätten. Nach Durchführung einer Sicherheitskonferenz unter Beteiligung von Mitarbeitern des Gerichts, der Staatsanwaltschaft, der Polizei und des Justizvollzugs erließ der Landgerichtspräsident mehrere Sicherheitsverfügungen, wonach an allen Hauptverhandlungstagen im Justizzentrum unter anderem das Tragen von Motorradwesten, sog. Kutten, und sonstigen Bekleidungsgegenständen, die die Zugehörigkeit zu einem Motorradclub demonstrieren, untersagt wurde; die Kutten seien in eigener Verantwortung außerhalb des Gebäudes zu deponieren.

Die vom Verteidiger des Beschwerdeführers beantragte Aufhebung des Verbots lehnte der Gerichtspräsident mit der Begründung ab, dass ein massenhaftes Tragen szenetypischer Kleidung eine nicht hinnehmbare Machtdemonstration darstelle, die bei der Öffentlichkeit ein Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung hervorrufen sowie Verfahrensbeteiligte einschüchtern und beeinflussen könne. Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beihilfe zur räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und seine Mitangeklagten wegen weiterer gleichgelagerter Straftaten jeweils zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe. Seine Revision gegen das landgerichtliche Urteil, mit der der Beschwerdeführer auch einen Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen rügte, blieb vor dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg.

Der Beschwerdeführer sieht sich durch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen strafgerichtlichen Entscheidungen in seinem Recht auf ein faires Verfahren sowie auf eine willkürfreie Rechtsanwendung verletzt.

Die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Es liegt weder ein Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs.1 GG) vor noch ist der Beschwerdeführer in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) verletzt.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Danach ist die Auslegung und Anwendung des in § 169 Satz 1 GVG normierten Öffentlichkeitsgrundsatzes durch die Fachgerichte nicht willkürlich. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung kann der Grundsatz der Öffentlichkeit auch durch gesetzlich nicht erfasste unabweisbare Bedürfnisse der Rechtspflege modifiziert werden. Dazu gehört die Notwendigkeit, durch geeignete vorbeugende Maßnahmen für eine sichere und ungestörte Durchführung der Verhandlung zu sorgen. Maßnahmen, die den Zugang zu einer Gerichtsverhandlung nur unwesentlich erschweren und dabei eine Auswahl der Zuhörerschaft nach bestimmten persönlichen Merkmalen vermeiden, sind zulässig, wenn für sie ein verständlicher Anlass besteht. Diese Erwägungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Des Weiteren ist vorliegend nicht ersichtlich, dass die Einschätzung und Bewertung sowohl einer möglichen Beeinträchtigung der Hauptverhandlung durch das Tragen bestimmter Kleidung oder Abzeichen als auch der zur Abwehr dieser Gefahr geeigneten und erforderlichen Maßnahmen verfassungsrechtlich bedenklich wären.

2. Der Beschwerdeführer ist auch nicht in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren verletzt. Es kann dahin stehen, ob ein Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz einen Angeklagten in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzen kann. Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen wurde hier gewahrt. Die Sicherheitsverfügungen des Gerichtspräsidenten führten weder ausdrücklich noch faktisch zum Ausschluss der Öffentlichkeit insgesamt oder auch nur einzelner Personengruppen oder Personen. Sie legten ausschließlich Zugangsmodalitäten fest, deren Befolgung ohne weiteres möglich und zumutbar war.

Die Sicherheitsverfügungen widersprechen schließlich nicht den Anforderungen an eine öffentliche Verhandlung nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK), die bei der Auslegung des Grundgesetzes zu berücksichtigen sind. Die Sicherheitsverfügungen führten nicht zu einem tatsächlichen Hindernis, als Zuschauer an der Hauptverhandlung teilnehmen zu können. Das Gerichtsgebäude war auch für Träger der betreffenden Oberbekleidung nach wie vor einfach zugänglich, da diese nur ausgezogen und außerhalb des Gerichtsgebäudes hätte deponiert werden müssen. Es handelte sich ersichtlich um eine ganz geringfügige Beschränkung.

BVerfG, Beschluss vom 14. März 2 BvR 2405/11

Quelle: Pressemitteilung Nr. 25/2012 vom 25. April 2012

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