Ein Verein, der Hilfestellung für Menschen mit Alkoholproblemen und deren Angehörigen über das Internet bietet, beschloss auf einer Mitgliederversammlung Änderungen der Satzung, wonach u.a. künftige Mitgliederversammlungen auch online in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugangswort zugänglichen Chat-Raum durchgeführt werden können. Das Amtsgericht Iserlohn äußerte Bedenken gegen die vorgesehene Form der “Onlineversammlung” und verweigerte die Eintragung der Satzungsänderung. Auch wenn ein spezieller Chat-Raum verwendet werde, bestehe die Gefahr, dass sich eine fremde Person Zugang verschaffen und sich als Mitglied ausgeben könnte.
Über die dagegen gerichtete Beschwerde des Vereins hatte das OLG Hamm zu entscheiden und fand, dass eine virtuelle Mitgliederversammlung im Onlineverfahren nicht zu beanstanden sei.
Aus den Beschlussgründen:
Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB werden die Angelegenheit des Vereins grundsätzlich durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Allerdings sind nach § 32 Abs. 2 BGB Beschlüsse auch dann gültig, wenn alle Mitglieder schriftlich zustimmen. Darüber hinaus kann nach § 40 BGB in der Satzung eine von § 32 BGB abweichende Regelung getroffen werden.
Nach der herrschenden Auffassung in der Literatur (Palandt-Ellenberger, BGB, 70. Auflage 2011, § 32 Rn 1; Erman-Westermann, BGB, 11. Auflage 2004, § 32 Rn. 3; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 12. Auflage 2010, Rn., 1961 ff.; BeckOK BGB – Schöpflin, Stand 1.3.2011, § 32 Rn. 44 a; Fleck DNotZ 2008, 245; Erdmann MMR 2000, 526; Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 18. Auflage 2006, Rn. 155; Burhoff, Vereinsrecht, 8. Auflage 2011, Rn. 154 a) sind grundsätzlich auch virtuelle Mitgliederversammlung zulässig. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Es folgt aus § 40 BGB, dass der Verein bei der Ausgestaltung seiner Binnenstruktur grundsätzlich frei ist (vgl. Erdmann DNotZ 2008, 245). Zwar ist es nicht möglich, etwa die Mitgliederversammlung, die das oberste Organ des Vereins ist, abzuschaffen. Das Organ der Mitgliederversammlung wird durch die Schaffung eines virtuellen Verfahrens aber nicht aufgegeben. Es wird lediglich ein bestimmter Modus der Willensbildung geregelt, der von § 32 BGB abweicht.
Für die Zulässigkeit einer virtuellen Mitgliederversammlung spricht auch, dass nach dem neu gefassten § 118 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AktG Aktionäre auch ohne Anwesenheit am Ort der Hauptversammlung im Wege elektronischer Form ihre Rechte wahrnehmen und ihre Stimme abgegeben können. Des Weiteren bestimmt § 43 Abs. 7 GenG, dass Beschlüsse – sofern die Satzung dies vorsieht – auch in elektronischer Form gefasst werden können.
Soweit davon abweichend die Ansicht vertreten wird, dass eine Versammlung eine räumliche Zusammenkunft erfordert (Stöber, Handbuch zum Vereinsrecht, 9. Auflage 2004, Rn. 409 a), überzeugt dies nicht. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch der Systematik des Gesetzes. In den §§ 27, 36, 37, 41 BGB einerseits und dem § 32 BGB andererseits wird zwischen dem Organ der Mitgliederversammlung und dem Verfahrensmodus unterschieden (vgl. Fleck DNotZ 2008, 245, 247). Da § 32 BGB den Verfahrensmodus regelt, unterliegt er nach § 40 BGB der Disposition des Satzungsgebers.
Dagegen spricht auch nicht, dass im Falle einer Onlineversammlung die Geschäftsfähigkeit Mitglieder nicht eindeutig festgestellt werden kann. Soweit es keine entgegenstehenden Anhaltspunkte gibt, kann der Versammlungsleiter von der Geschäftsfähigkeit der Vereinsmitglieder ausgehen. Es ist nicht erforderlich, dass diese vor jeder Versammlung erneut geprüft wird. Auch im Falle einer schriftlichen Zustimmung § 32 Abs. 2 BGB hat der Versammlungsleiter keinen persönlichen Eindruck vom Vereinsmitglied.
Soweit das Amtsgericht auf § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG verweist, der eine physische Präsens verlangt (vgl. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 12. Auflage 2010, Rn. 1961), überzeugt das nicht. Die Satzung sieht die Möglichkeit einer realen Mitgliederversammlung weiterhin vor, die im Falle einer Verschmelzung des Vereins einberufen werden könnte.
Auch die konkrete Ausgestaltung ist im vorliegenden Fall wirksam.
Die Satzung sieht vor, dass die Mitgliederversammlung in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugang das Wort zugänglichen Chat-Raum durchgeführt werden. Das nur für die aktuelle Versammlung gültige Zugangswort wird erst mit einer gesonderten E-Mail unmittelbar vor der Versammlung bekannt gegeben. Allen Mitgliedern wird die Verpflichtung auf erledigt, ihre Legitimationsdaten und das Zugangswort keinem Dritten zugänglich zu machen und unter strengem Verschluss halten.Durch die Zugangsbeschränkungen mittels Passwort wird gewährleistet, dass nur Vereinsmitglieder an der Versammlung teilnehmen.
Es liegt auch keine unangemessene Benachteiligung der Vereinsmitglieder vor, die über keinen eigenen Computer verfügen. Abgesehen davon, dass der Verein seinen Satzungszweck insbesondere durch die Präsenz im Internet verwirklicht, muss ein Verein nicht einem beliebigen Personenkreis offen stehen. Er muss daher auch nicht Kommunikation auf jede erdenkliche Weise anbieten (vgl. Fleck DNotZ 2008, 245, 251). Darüber hinaus gibt es auch öffentliche Internetzugänge, auf die die Vereinsmitglieder zumutbar zurückgreifen können.
Soweit in § 11 Abs. 2 der Satzung alternativ eine reale oder eine virtuelle Mitgliederversammlung vorgesehen ist, unterliegt dies keine Bedenken (vgl. auch Fleck DNotZ 2008, 245, 248: “als zusätzliche Option”). Auch dies wird von der Vereinsautonomie gedeckt. Selbst wenn die Mitgliederversammlungen im Regelfall virtuell stattfinden, kann es im Einzelfall sinnvoll oder in den Fällen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG sogar notwendig sein, auf eine physische Präsenz bei der Versammlung oder Abstimmung zu bestehen. Erforderlich ist lediglich, dass die Vereinsmitglieder rechtzeitig über den Modus der Versammlung informiert werden, was im vorliegenden Fall mit der Einladung erfolgt. (…)
OLG Hamm, Beschl. v. 27.09.2011, Az: I-27 W 106/11