Blamage für die Justiz? Mitnichten.


Im Prozess vor dem Landgericht Magdeburg um den Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh soll am 27. März nun doch ein Brandsachverständiger gehört werden, allerdings nur „informell“ zu der Frage, ob ein neues Brandgutachten überhaupt noch neue Aufschlüsse liefern könnte, berichtet die taz. Offenbar muss dann wohl der von der Nebenklage gestellte Befangenheitsantrag abgelehnt worden sein. Beim Durchstöbern der weiteren Artikel fand sich dann ein „Kommentar“ eines Redakteurs der taz,  der es dann doch verdient hat, etwas näher beleuchtet zu werden. Allerdings im negativen Sinne. Der Kommentar trägt die Überschrift „Blamage der Justiz“, ist aber eher eine Blamage für den Journalismus.

Ungenauigkeiten im Rahmen der Berichterstattung über den Prozess sind dem Redakteur nachzusehen. Da wird ausgeführt, die Richterin habe beantragt, das Verfahren einzustellen. Das Gericht beantragt nichts, es regt an. Es handelt sich auch nicht um einen Revisionsprozess. Das Revisonsverfahren fand bereits statt, vor dem Bundesgerichtshof. Der hat den erstinstanzlichen Freispruch aufgehoben und die Sache an das Landgericht Magdeburg zurückverwiesen, wo jetzt ein (neues) erstinstanzliches Strafverfahren geführt wird. Es handelt sich auch um keine Klage der Staatsanwaltschaft, man nennt das Anklage.

Im Prozessbericht wird auch zutreffend festgehalten, dass bis heute völlig unklar ist, wie das Feuer überhaupt ausbrechen konnte. Im Kommentar des Redakteurs wird dem Gericht dann aber unterstellt, es wolle auch gar nicht herausfinden, wie es wirklich zum Tod Jallohs kam, zu dramatisch wären die Folgen, wenn herauskäme, dass Jalloh sich gar nicht selbst angezündet habe.

In der Grundthese geht man davon aus, dass Jalloh in der Zelle die Matratze auf der er fixiert lag, selbst angezündet und der Dienststellenleiter der Wache den anschließenden Feueralarm vorwerfbar ignoriert habe. Warum diese Grundthese falsch sei und auf welcher Grundlage die Gegenthese, Jalloh sei angezündet worden, Allgemeingültigkeit beanspruchen soll, ist dem Kommentar nicht zu entnehmen. Das war Mord, basta. Mit dem Vorschlag der Einstellung habe das Gericht die Einschätzung eines vorhandenen Desinteresses noch genährt. Die Einstellung sei unter anderem „wegen der langen Verfahrensdauer“ angeregt worden, „ ganz so, als sei es dem Gericht und dem angeklagten Polizisten nicht zuzumuten, sich noch länger mit dem Fall zu befassen“ Nach Auffassung des Redakteurs sei ein solches Verfahren so lange zu führen, wie die Klärung eben dauert. Dem Redakteur wird die Lektüre der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) anempfohlen. In Artikel 6 verlangt die EMRK, dass Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Fristen abgeschlossen werden. Abs. 2 dieses Artikels enthält ferner das Recht auf die Unschuldsvermutung. Das bedeutet, dass jede angeklagte Person so lange als unschuldig zu gelten hat, bis ihre Schuld auf einem gesetzlichen Weg bewiesen ist. Das gilt auch für angeklagte Polizisten.

Welche Wahrheit soll das Gericht den herausfinden oder gibt es nur die eine wahre Wahrheit und wird damit nicht das Ergebnis vorweggenommen? Jalloh hat sich nicht selbst angezündet, er wurde angezündet! Wozu brauchen wir dann noch dieses Strafverfahren? Die angebliche Unlust des Gerichts, hier die Wahrheit herauszufinden, sei ein Signal für schwarze Menschen in Deutschland. Ihr Leben sei eben doch nicht genauso viel wert wie das eines Weißen.

Der Tod Jallohs, der lebendig verbrannte, war grausam. Dass er in Gewahrsam genommen wurde, dass eine Blutprobe entnommen wurde, dass der stark alkoholisierte Jalloh dann in einer Zelle fixiert wurde, bloß weil er an einer Haltestelle Leute belästigt haben soll,  lag mit Sicherheit auch daran, dass Jalloh schwarz ist. Aber auch nichtschwarze Mandanten von mir haben Erlebnisse mit Polizisten hinter sich, die ich eher in Diktaturen vermutet hätte. Es gibt einen Korpsgeist bei der Polizei. Das ist aber nicht neu. Es ist aber nicht Aufgabe des Gerichts, das zu ändern. Das Gericht hat  ein Verfahren gegen einen Angeklagten zu führen und nicht gegen ein System.

Dem Gericht hier gar inzident zu unterstellen, es wolle die Sache unter den Tisch kehren oder schlimmer noch, die Wahrheit vertuschen zu wollen, ist unseriös. Was wird hier von einem Gericht verlangt, wenn nicht ein Inquisitonsprozess? Es steht nicht die Dessauer Polizei oder gar die Institution Polizei vor Gericht. Man möge mir diesen Vergleich nachsehen, aber Magdeburg ist nicht Nürnberg.

Ja, das Gericht muss es hinnehmen, wenn Brandsachverständige zu keinem eindeutigen Ergebnis der Brandursache kommen, wenn Polizisten sich bei ihren Aussagen in Widersprüche verwickeln, wenn Beweismittel wie Videobänder verschwunden sind. Verurteilen kann das Gericht nur, wenn es keine Zweifel an der Verantwortlichkeit des Polizeibeamten hat. Wie bitte soll das Gericht sich bei dieser Ausgangslage ohne jeden Zweifel dann der These anschließen, nicht Jalloh selbst habe die Matratze angezündet, sondern die Polizei und was soll es dann mit dem Angeklagten machen? Ihn stellvertretend verurteilen? Die Folgen, sollte nachgewiesen werden können, dass nicht Jalloh selbst das Feuer gelegt hat, wären in der Tat dramatisch. Es würde sicher nicht nur meinen ohnehin angeschlagenen Glauben an den Rechtsstaat ins Bodenlose stürzen lassen. Bei einer hier augenscheinlich vom Gericht verlangten „Wahrheitsfindung“ ohne Rücksicht auf rechtsstaatliche Grundsätze und über jeden Zweifel erhaben, ist mir der Preis aber zu hoch.

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