BGH – Kita-Kosten (ausgenommen Verpflegungskosten) sind Mehrbedarf


In seiner Entscheidung vom 26.11.2008 hat der Bundesgerichtshof seine bisherige Rechtsprechung zu den Kosten der Kinderbetreuung (Kita-Platz) aufgegeben. Noch in der Entscheidung vom 05.03.2008, XII ZR 150/05, vertrat der BGH die Auffassung, dass nur die Kosten der Kinderbetreuung, soweit sie den Aufwand für den halbtägigen Kindergartenbesuch überstiegen, als Mehrbedarf (§ 1610 BGB) des Kindes anzusehen sind. Nunmehr ist er der Ansicht:

Leitsatz: „Kindergartenbeiträge bzw. vergleichbare Aufwendungen für die Betreuung eines Kindes in einer kindgerechten Einrichtung sind in den Unterhaltsbeträgen, die in den Unterhaltstabellen ausgewiesen sind, unabhängig von der sich im Einzelfall ergebenden Höhe des Unterhalts nicht enthalten. Das gilt sowohl für die Zeit vor dem 31. Dezember 2007 als auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten des Unterhaltsänderungsgesetzes 2007 am 1. Januar 2008 (Aufgabe der Senatsurteile vom 14. März 2007 – XII ZR 158/04 – FamRZ 2007, 882, 886 und vom 5. März 2008 – XII ZR 150/05 – FamRZ 2008, 1152, 1154). Die in einer Kindereinrichtung anfallenden Verpflegungskosten sind dagegen mit dem Tabellenunterhalt abgegolten.“

Der Bundesgerichtshof geht also nunmehr davon aus, dass die Kindergartenbeiträge gleichgültig ob sie für eine halbtägige Betreuung oder ganztägige Betreuung entstehen, einen Mehrbedarf des Kindes darstellen, der nicht vom Tabellenunterhalt erfasst ist und daher neben diesem zu zahlen sind.

In der Begründung heißt es unter anderem:

„… Kindergartenbeiträge können, schon da sie regelmäßig anfallen, keinen Sonderbedarf (§ 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB) begründen. Als Mehrbedarf ist der Teil des Lebensbedarfs anzusehen, der regelmäßig während eines längeren Zeitraums anfällt und das Übliche derart übersteigt, dass er mit den Regelsätzen nicht zu erfassen, andererseits aber kalkulierbar ist und deshalb bei der Bemessung des laufenden Unterhalts berücksichtigt werden kann (Wendl/ Klinkhammer Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis 7. Aufl. § 2 Rdn. 133; Maurer FamRZ 2006, 663, 667). …

… Das sächliche Existenzminimum und dem folgend der Mindestbedarf eines Kindes beinhalten deshalb nicht die für den Kindergartenbesuch aufzubringenden Kosten. Für den Betreuungs- und Erziehungsbedarf des Kindes, der über den existentiellen Sachbedarf hinaus notwendiger Bestandteil des familiären Existenzminimums ist (BVerfGE 99, 216 ff. = FamRZ 1999, 285, 287 f., 290), sind vielmehr zusätzliche Mittel zu veranschlagen. Die dem System der Bedarfsfestlegung immanente Abgrenzung dieses Bedarfs von demjenigen des sächlichen Bedarfs betrifft nicht nur den für ein Kind aufzubringenden Mindestunterhalt, sondern auch den bei günstigeren Einkommensverhältnissen des Barunterhaltspflichtigen geschuldeten höheren Unterhalt. Auch den Mindestunterhalt übersteigende Unterhaltsbeträge decken grundsätzlich keinen wesensverschiedenen Aufwand ab, sondern zielen aufgrund der abgeleiteten Lebensstellung des Kindes auf eine Bedarfsdeckung auf höherem Niveau. Danach ist die Annahme aber nicht gerechtfertigt, in höheren Unterhaltsbeträgen seien Kosten für den Besuch eines Kindergartens teilweise enthalten (vgl. Wendl/Klinkhammer aaO § 2 Rdn 275; a.A. OLG Frankfurt NJW-RR 2006, 1303; Reinken FPR 2008, 90, 92; Scholz FamRZ 2006, 737, 740 und Maurer FamRZ 2006, 663, 669). …“

Zur Höhe des Mehrbedarfs führt der Bundesgerichtshof aus:

„..Da die Kosten der Verpflegung indessen mit dem Tabellenunterhalt abgegolten sind, liegt in Höhe der hierfür ersparten Aufwendungen kein Mehrbedarf vor (vgl. hierzu auch Viefhues ZFE 2008, 284, 286 und Bißmaier BGH-Report 2008, 747 f.). …“

Der auf diesem Wege ermittelte Mehrbedarf, ist dann anteilig auf die Eltern zu verteilen.

„… Für den Mehrbedarf des Klägers haben beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen aufzukommen (Senatsurteil vom 5. März 2008 – XII ZR 150/05 – FamRZ 2008, 1152, 1154). Vor der Gegenüberstellung der jeweiligen Einkommen ist bei jedem Elternteil grundsätzlich ein Sockelbetrag in Höhe des angemessenen Selbstbehalts abzuziehen. Durch einen solchen Abzug werden bei erheblichen Unterschieden der vergleichbaren Einkünfte die sich daraus ergebenden ungleichen Belastungen zugunsten des weniger verdienenden Elternteils relativiert (vgl. Senatsurteil vom 31. Oktober 2007 – XII ZR 112/05 – FamRZ 2008, 137, 140; Wendl/Klinkhammer aaO § 2 Rdn. 294 ff. m.w.N.). …“

BGH, Urteil vom 26.11.2008, Az: XII ZR 65/07

Praxistipp:

Diese Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat für viel Aufsehen gesorgt, da nunmehr die Frage der Kinderbetreuungskosten im Zusammenhang mit den Unterhaltsansprüchen des Kindes endgültig geklärt wurde (Kindergartenbeiträge sind Mehrbedarf des Kindes und sie sind nicht vom Tabellenunterhalt nach den Unterhaltsleitlinien erfasst. Im Berlin/Brandenburger Raum wird die Entscheidung bereits durch die Jugendämter umgesetzt, so dass viele Unterhaltspflichtige sich einer weiteren Forderung ausgesetzt sehen.

Soweit auch Ihnen eine derartige Aufforderung zugegangen ist, sollte Sie sich in jedem Fall die Bescheide über die Kinderbeiträge vorlegen lassen, damit Sie selbst die Höhe der Gesamtkindergartenbeiträge sowie des darin enthaltenen Essengeldes (Verpflegungsanteil) überprüfen können. Der Kostenanteil für das Essen ist vom Tabellenunterhalt erfasst, stellt somit keinen Mehrbedarf dar und ist aus den Kinderbeiträgen heraus zurechnen.

Auch wenn noch die Umsetzung der Entscheidung, insbesondere hinsichtlich der Berechnung des Anteils des einzelnen Elternteils, aussteht, kann eine Berechnung des Haftungsanteils des Unterhaltsverpflichtet nach der nachstehenden Formel vorgenommen werden.

(Unterhaltsrelevantes Einkommen des Kindesvaters – Selbstbehalt (hier 1.100,00 €)) x bereinigte Kindergartenbeiträge = Haftungsanteil Kindesvater
(Unterhaltsrelevantes Einkommen des Kindesvaters + Unterhaltsrelevantes Einkommen der Kindesmutter) – 2.200,00 €

Achtung: Die Zahlung des Unterhaltsbetrages und der Kindergartenkosten darf nicht dazu führen, dass Ihnen von Ihrem Einkommen nicht mehr der Selbstbehalt verbleibt. Sollte dies der Fall sein, wäre zunächst der Haftungsanteil für die Kindergartenkosten zu reduzieren, ggf. auch auf 0,00 € zu setzen.

Bitte beachten Sie auch, dass für die Vergangenheit Kindergartenbeiträge nur unter den Voraussetzungen des § 1613 BGB gefordert werden können, im Regelfall also ab dem Monat, in dem Sie aufgefordert werden, diese Kosten zu tragen oder diesbezüglich Auskunft zu erteilen. Sollte der Mehrbedarf für die Vergangenheit geltend gemacht werden, ist eine anwaltliche Beratung, die die Umstände Ihres Einzelfalles berücksichtigt anzuraten.

Die vorstehende Entscheidung wirft einige interessante Fragen auf, die noch durch die Rechtsprechung zu klären sind:

Wenn der Unterhaltsverpflichtete die Betreuungskosten des Kindes trägt, in wie weit führt dies zur Absenkung eines mglw. zu zahlenden Betreuungsunterhalts für den Elternteil bei dem das Kind lebt? Schließlich wird das Kind durch den Kindergarten betreut und kann somit nicht gleichzeitig von dem jeweiligen Elternteil betreut werden. Es wäre also nur logisch, wenn der Anteil an den Kindergartenbeiträge beim Unterhaltsverpflichteten im Rahmen des Betreuungsunterhalts einkommensmindernd berücksichtigt wird.

Welche Kindergartenbeiträge sind zu erstatten, wenn das Kind einen speziellen Kindergarten besucht (z.B. Kindergarten mit Sprachförderung oder musikalischer Förderung) und die hier entstehenden Kosten wesentlich höher sind als die Kosten eines „normalen“ Kindergartens?

Auch wenn noch keine Entscheidungen vorliegen, wird sich die Rechtsprechung in unserer Erwartung auch im Bereich der Kosten für den Schulhort und ggf. für die Kinderkrippen durchsetzen.

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