Das Amtsgericht Eilenburg oder „Wir sperren die Autobahn, vielleicht bin ich ja nicht zuständig“


Unser Kooperationspartner, Rechtsanwalt Dr. Carsten Pagels aus Torgau übermittelte uns die nachfolgende Posse als Gastbeitrag, die wir natürlich zu gern veröffentlichen. Es trug sich folgendes zu: Eine Eisplatte hat sich im Winter auf der Autobahn A14 vom Dach eines Kühltransporters gelöst und auf das nachfolgende Auto gefallen. Die Motorhaube ist eingedellt. Es geht um rund fünfzehnhundert Euro Schadensersatz. Juristischer Standard und Alltags-Kleinkrams.

Mein Mandant erinnert zum Ort des Geschehens nur, dass es „ganz kurz vor der Ausfahrt Leipzig Nordost“ gewesen ist. Nun ist es so, dass die Grenze der Stadt Leipzig zur Umlandgemeinde kurz vor dieser Ausfahrt 7 Mal (!) die Autobahn schneidet. Hier war es jetzt entscheidend, wo es ganz genau passiert ist, denn entweder darf sich das AG Leipzig oder das AG Eilenburg mit der Sache befassen. Ich klage in Eilenburg, verweise auf die Umstände (Ort nicht auf den Meter genau feststellbar) und beantrage hilfsweise Verweisung ans Amtsgericht Leipzig, unter dem Bemerken, dass es mir egal ist, ob die Sache in Eilenburg oder Leipzig entscheiden wird. Die Gegenseite rügt die örtliche Zuständigkeit. So weit so gut.

Rechtsanwälte lästern gelegentlich, dass Richter sich bei der Aktenbearbeitung zunächst einmal mit größter Akribie mit der Frage beschäftigen, ob sie nicht vielleicht unzuständig sind, um die Akte jemand anderes aufhalsen können. Dazu muss man wissen, dass die Richter zwar wirklich maximal unabhängig sind, sie jedoch trotzdem justizintern auf ihre Fleißigkeit hin beobachtet werden. Dies ergibt sich aus dem sog. „Pensenschlüssel“. Jede bearbeitete Akte gibt einen Punkt; wer am Jahresende viele Punkte hat ist, ist mutmaßlich fleißig; wer am wenigsten hat, ist unter Umständen faul. Ein schwieriger Prozess mit mehreren Sachverständigen, 20 Zeugen und mit einem langen 30seitigen Urteil gibt einen Punkt. Akte aufschlagen und gleich wieder wegen Unzuständigkeit zuschlagen gibt allerdings auch einen Punkt.

Die Sache entwickelt sich. Das Gericht schreibt, es solle zunächst zur örtlichen Zuständigkeit verhandelt werden. Ich antworte, er möge doch die Sache nach Leipzig verweisen, wenn er sich für unzuständig halte (eine solche Verweisung ist dann nämlich bindend). Das Gericht antwortet, nein-nein-nein, so einfach sei dass nicht, die Verweisung sei dann nämlich vielleicht willkürlich, wenn der Ort des Geschehens nicht zuvor festgestellt sei. Dann sei der vielleicht willkürliche Verweisungsbeschluss nicht bindend für den Leipziger Richter.

Es hilft nichts: Der Fahrer wird äußerst akribisch zum Ort befragt (um das Geschehen selbst ging es noch längst nicht). Wir erreichten einen großen Erfolg: wir konnten den Ort eingrenzen: Das Geschehen war zwischen dem Schild „Ausfahrt in 1.000 Metern“ und der 300-Meter-Ausfahrt-Barke. Das half dem Richter aber noch nicht viel weiter, denn auf diesen 700 Metern kreuzt die Grenze noch dreimal die Autobahn.

Nächster Termin, vier Monate später: der Richter hat sich vom Autobahnamt gigantische Autobahnverlaufspläne kommen lassen, die ausgeklappt ca. fünf Meter lang sind. Im Super-Detail-Format sind alle Einzelheiten verzeichnet, aber natürlich nicht der Ort des Eisplatteneinschlags (wie sollte er auch …). Die Rechtsanwälte staunen ob der tollen Pläne, sie wissen jedoch nicht recht, was man damit will.

Der Richter daraufhin: „Es hilft nichts, wir machen einen Ortstermin, um per Augenschein den Unfallort genau festzustellen“. Zitat: „Dazu muss dann aber die Autobahn für mindestens eine Stunde voll gesperrt werden.“

Im Anwaltshirn überschlagen sich die Gedanken: Hat er das hat jetzt ernst gemeint? Offensichtlich ja. Wahnsinn! Sperren der Autobahn Magdeburg –Dresden, damit der Richter feststellen kann, ob er die Akte bearbeiten muss. Auf mein Bemerken „Ich schlage vor, wir machen es im Berufsverkehr“ ernte ich ein mühsam unterdrücktes Lachen des Kollegen und einen recht unfreundlichen Richterblick.

Danach passiert erst mal 7 Monate nichts. Schließlich wechselt der Dezernatsrichter. Gott sei Dank hat dann der gegnerische Rechtsanwalt ein Einsehen und schreibt, dass er die Zuständigkeit nicht mehr rüge, damit es endlich weiter geht. So nimmt sich der neue Richter der Sache denn doch an, auch ohne die Autobahn zu sperren.

Schade eigentlich. Ich hätte gern im Verkehrsfunk gehört: „Zwischen den Ausfahrten Leipzig-Nordost und Leipzig Ost bleibt die A14 zwischen 8 und 9 Uhr auf richterliche Weisung gesperrt, weil vor Ort überprüft werden muss, ob ein Richter in Eilenburg oder einer in Leipzig für einen kleinen Unfallschaden zuständig ist. Derzeit 15 km Rückstau, die Umleitungsstrecken sind überlastet. Bitte haben Sie Geduld. Sie helfen unserer Rechtspflege“. (CP)

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