OLG Rostock – immer, vor allen Dingen in Polen, den Fahrzeugschlüssel abziehen!


(c) Tommy S / Pixelio

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Ein Fall wie aus einem schlechten Film und voller Klischees. Dem Kläger wurde sein Audi A8 gestohlen, in Gdańsk. Er war ausgestiegen, um das Auto herum gegangen, um sich mit einem Passanten zu unterhalten. Vielleicht wollte er nach dem Weg fragen oder wo man Zigaretten kaufen kann. Ohne dass der Kläger es bemerkte, stieg der Dieb ein und konnte dank des noch steckenden Zündschlüssels mit dem schönen Audi A8 wegfahren. Von seiner Vollkaskoversicherung beanspruchte der Kläger Ersatz in Höhe von 40.000 Euro. Die wertete das Verhalten des Klägers allerdings als grob fahrlässig und zahlte nichts.

Vor dem Landgericht Rostock gewann der Kläger noch, auf die von der Versicherung eingelegte Berufung, wurde die Klage vom Oberlandesgericht Rostock dann abgewiesen. Wer sein Fahrzeug verlässt und den Schlüssel stecken lässt, noch dazu in Polen, wo  so das OLG wörtlich, „Personen unterwegs sind, die gezielt nach Möglichkeiten zum Fahrzeugdiebstahl, insbesondere von Luxusfahrzeugen (…) Ausschau halten oder spontan eine passende Gelegenheit ausnutzen, handelt grob fahrlässig, auch wenn er nur um das Auto herum auf die Beifahrerseite geht. Das Steckenlassen eines Schlüssels ohne Eingriffsmöglichkeit sei grob fahrlässig.  Nach § 61 VVG a.F. war die Versicherung damit leistungsfrei. Darüber hinaus hatte der Kläger, wohl nachdem er bemerkt hatte, dass das Steckenlassen des Schlüssels wohl nicht die cleverste Einlassung war, noch verschiedenste Sachverhaltsalternativen präsentiert, so dass die Versicherung auch noch wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung nach § 6 Abs. 3 VVG a.F. leistungsfrei wurde.

Aus den Gründen:

(…) Die obergerichtliche Rechtsprechung und mehrere Landgerichte gehen davon aus, dass die Entwendung eines Fahrzeuges in der Regel grob fahrlässig herbeigeführt wird, wenn der Versicherte sein unverschlossenes Fahrzeug mit im Zündschloss steckenden Schlüssel verlässt und sich von seinem Fahrzeug entfernt (OLG Koblenz VersR 2001, 1278; OLG Hamm NZV 1991, 195; OLG Koblenz, Beschluss vom 15.12.2006 – 10 U 903/06; OLG Frankfurt MDR 2003, 632; LG Köln VersR 1993, 348; LG Traunstein VersR 1993, 47). Der Senat folgt dieser Rechtsprechung.

a) Vorliegend hat der Kläger grob fahrlässig i. S. v. § 61 VVG gehandelt, indem er sein Fahrzeug in Polen verließ, dabei den Schlüssel stecken ließ, um das Auto herum auf die Beifahrerseite ging und sich dort mit einem Passanten unterhielt. Grobe Fahrlässigkeit besteht bei Steckenlassen des Zündschlüssels ohne Eingriffsmöglichkeit gegen den Diebstahl (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., Rn. 12 zu § 61; OLG Koblenz, Beschluss v. 15.12.206 – 10 U 903/06). Besonders der Sachverhalt, der dem Urteil des OLG Hamm vom 26.10.1990 (NZV 1991, 195) zugrunde liegt, ähnelt dem vorliegenden. In jenem Fall hatte der Versicherungsnehmer das versicherte Fahrzeug in einer Parkbox in der …Straße in … mit der Fahrzeugfront zur Straße abgestellt, um an der nur wenige Schritte entfernten Trinkhalle eine Zeitung zu kaufen. Beim Verlassen des Fahrzeuges ließ er die Fahrertür unverschlossen und die Zündschlüssel im Lenkradschloss stecken. Als er sich unmittelbar vor dem Kiosk befand, hörte er hinter sich das Geräusch einer zuschlagenden Fahrertür und das Starten des Motors. Er drehte sich um und sah, dass eine fremde Person in seinem Fahrzeug saß. Obwohl er sofort herbeieilte, konnte er die Fahrertür nicht öffnen, da der Täter den Wagen von innen verriegelt hatte. So in etwa liegt es hier. Der Anscheinsbeweis spricht dafür, dass der Kläger die Fahrzeugschlüssel in seinem Pkw stecken ließ und das Fahrzeug unverschlossen auf der Straße stehen ließ und sich dann mehrere Schritte von dem Fahrzeug auf den Bürgersteig hin entfernte, um einen Passanten nach dem Weg zu fragen. Anders lässt sich der Tathergang nicht erklären, denn in der kurzen Zeit hätte der Täter ein verschlossenes Fahrzeug nicht aufbrechen und kurzschließen können. Dafür spricht auch die eigene Aussage des Klägers vor der polnischen Polizei. Der Zeuge … bekundete vor dem Landgericht, dass er die Aussage des Klägers, er habe den Schlüssel stecken lassen, richtig beurkundet habe. Dies ist ein entscheidender Punkt, an den der Zeuge sich erinnerte. Der Kläger hat die Richtigkeit des polnischen Protokolls erstinstanzlich nicht bestritten. Der Zeuge … bestätigte diesen Hergang, konnte sich allerdings nicht mehr genau daran erinnern, ob der Kläger den Zündschlüssel stecken ließ. In der Berufungserwiderung führt der Kläger selbst aus, mit großer Wahrscheinlichkeit habe er den Schlüssel stecken lassen. Damit steht dies zur Überzeugung des Senats fest (§ 286 ZPO), was wiederum bedeutet, dass der Kläger den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat (§ 61 VVG). Entscheidend ist, dass dem Kläger aufgrund seiner Entfernung von dem Fahrzeug die jederzeitige sofortige Eingriffsmöglichkeit auf das Fahrzeug fehlte.

b) Die Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 61 VVG verlangt, dass sich der Versicherungsnehmer bei der Herbeiführung des Versicherungsfalles grob fahrlässig verhalten hat. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiven schweren und subjektiven nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus; diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten muss (ständige Rechtsprechung des BGH vgl. NJW 1989, 1354).

Objektiv stellt das Unterlassen jeglicher Sicherungsmaßnahmen beim Verlassen eines Fahrzeuges in der Regel einen groben Pflichtverstoß dar. Die vorliegenden Umstände vermögen eine andere Wertung nicht zu begründen. Unerheblich ist, dass das versicherte Fahrzeug nur für kurze Zeit verlassen werden sollte und der Kläger sich auch nur wenige Schritte von ihm entfernte, um sich bei einem Passanten nach dem Weg zu erkundigen. Wie das Tatgeschehen zeigt, reicht ein kurzer Augenblick dazu aus, dass sich ein geschickter Täter des Wagens bemächtigen konnte. Trotz seiner räumlichen Nähe zum Fahrzeug war der Kläger nicht in der Lage, es so zu kontrollieren, dass eine Ingebrauchnahme durch einen Unbefugten unmöglich war. Das Fahrzeug war nämlich seinen Blicken und zumindest seiner Aufmerksamkeit zeitweilig entzogen, was sich darin zeigt, dass er nach eigenen Angaben das Einsteigen des Täters in das Fahrzeug nicht optisch wahrgenommen hat.

Der Kläger hat auch subjektiv grob fahrlässig gehandelt, denn er hat das, was jedem in gegebener Situation einleuchtet, außer Acht gelassen und damit ein Verhalten gezeigt, das einfache Fahrlässigkeit übersteigt. Jedermann ist bekannt, dass Fahrzeugdiebstähle in Polen gang und gäbe sind. Er hätte erkennen können und müssen, dass sein leichtfertiges Absehen von jeglicher Fahrzeugsicherung die Gefahr einer Fahrzeugentwendung i. S. d. § 12 (1) I b AKB deutlich erhöhte, solange er nicht sicher sein konnte, wegen seiner räumlichen Nähe zum Fahrzeug und ständige Aufmerksamkeit jederzeit eine wirksame Kontrolle durch die Möglichkeit rechtzeitigen Eingreifens zu haben. Unter diesen Umständen hat ein Augenblicksversagen, das das Unrechtsurteil der groben Fahrlässigkeit nicht verdient (BGH NJW 1989, 1354), nicht vorgelegen, da der Kläger – wie bereits ausgeführt – in Polen besondere Aufmerksamkeit an den Tag legen musste. Dies war kein alltäglicher Vorgang, der jedem passieren kann. Gerade in Polen muss damit gerechnet werden, dass Personen unterwegs sind, die gezielt nach Möglichkeiten zum Fahrzeugdiebstahl insbesondere von Luxusfahrzeugen – wie hier einem Audi A8 – Ausschau halten oder spontan eine passende Gelegenheit ausnutzen.

OLG Rostock, Urteil vom 7. 11. 2008, Az: 5 U 153/08
Vorinstanz: LG Rostock, Urteil vom 31.01.2008, Az: 10 O 291/06

Praxishinweis:
Dem vom OLG Rostock zu entscheidenden Fall lag noch das alte Versicherungsvertragsgesetz zu Grunde. Ein Versicherungsnehmer nach alter Rechtslage hatte keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeiführte. Lediglich wenn ihm leichte Fahrlässigkeit vorzuwerfen war, hatte er Anspruch auf volle Entschädigung. Eine der wichtigsten Neuregelungen der VVG-Reform zum 01.01.2008 war die Abschaffung dieses „Alles-oder-Nichts-Prinzips“ nach § 61 VVG a.F. Gem. § 81 VVG ist eine Versicherung leistungsfrei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich herbeiführt.  Bei grob fahrlässigen Verstößen des Versicherungsnehmers kann die Versicherung die Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens kürzen. Wie die Quote hier ausgefallen wäre, darüber kann man nur spekulieren. Angesichts der Bedeutung die das OLG Rostock dem „Tatort“ beigemessen hat, dürfte die Quote aber wohl weit jenseits von 50 Prozent liegen.

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